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Corona und KlimaschutzKeine Impfung gegen CO2

Bernhard Pötter
Kommentar von Bernhard Pötter

Warum greifen wir zu drastischen Maßnahmen gegen das Coronavirus, aber nicht in der Klimakrise? Weil das zwei ganz verschiedene Probleme sind.

Corona-Hotspot Heinsberg in NRW, hier wurde sofort gehandelt Foto: Roberto Pfeil/dpa

I n der Finanzkrise nach 2008 beschwerte sich die Umweltbewegung: „Wäre die Welt eine Bank, hättet Ihr sie längst gerettet!“ In der Coronakrise heißt es nun: Während der „extrem handlungsstarke“ Staat keine Rücksicht auf „kurzfristige Wirtschaftsinteressen“ nehme und die Freiheit schnell und drastisch einschränke, sei „in der Klimafrage seit 40 Jahren so gut wie nichts passiert“, schrieb an dieser Stelle der Publizist Fabian Scheidler. Die Greenpeace-Klimaexpertin Lisa Göldner hofft, dass „der Umgang mit der Coronakrise uns viel über die Bewältigung der Klimakrise lehren kann“. Und die Ökoszene schmollt: Warum wird gegen Corona so viel entschlossener gehandelt als gegen die Erderhitzung?

Dafür gibt es einen Grund: Corona- und Klimakrise sind grundsätzlich verschieden. Auch wenn die globale Temperatur steigt, hilft ein kühler Kopf, um Unterschiede zu sehen:

Bei Corona gibt es ein „Nach der Krise“. Beim Klima nicht. Deshalb sind harte Maßnahmen gegen das Virus leichter zu ertragen. Irgendwann wird es einen Impfstoff gegen Covid-19 geben. Die erhöhten CO2-Werte in der Atmosphäre werden uns dagegen noch Jahrhunderte begleiten. Die Erderhitzung, nach geologischen Mustern rasend schnell, vollzieht sich für uns Menschen in Zeitlupe. Deshalb reagieren wir mit Verzögerung.

Gegen ein Virus hilft eine Impfung – und das Problem zu Hause aussitzen. Aber wer klimaneutral leben will, kann nicht auf Antikörper hoffen, sondern muss komplett anders produzieren, heizen, essen und sich fortbewegen. Das geht nicht in der Quarantäne, das erfordert viel Aufwand und gemeinsame Organisation.

Bernhard Pötter

ist taz-Redakteur für Wirtschaft und Umwelt mit Schwerpunkt auf Energie- und Klimapolitik. Er begleitet die deutsche und internationale Energiewende und die Debatten über die Erderhitzung seit über 20 Jahren. Sein aktuelles Buch "33 Fragen und Antworten zum Klimawandel" erscheint im Mai beim Piper Verlag.

Der Feind namens Corona ist da draußen. Die Gegner beim Klimaschutz sind der innere Schweinehund und die mächtigsten Lobbygruppen. Da sind wir vorsichtiger mit rabiaten Maßnahmen.

Wissenschaft wird derzeit schnell zum Gesetz. Alle sind glücklich über die seriösen VirologInnen. Die Daten der Klimawissenschaften werden dagegen seit Jahrzehnten ignoriert, relativiert und beschimpft, weil sie die Existenzberechtigung von Energiekonzernen, Agrar- und Autoindustrie und ihre profitablen Verbindungen zu Politik und Gesellschaft untergraben. Dabei wissen wir viel besser, was man gegen den Klimawandel zu tun hätte als gegen das Virus. Aber der Kampf gegen Corona ist kein Angriff auf eine billionenschwere Industrie – sondern kommt dem Geschäftsmodell der Pharmaindustrie entgegen.

Wir sind hilflos gegen ein tückisches Virus. Aber gegen Umweltveränderungen sind die meisten BewohnerInnen der Industrieländer relativ geschützt. Eine verlängerte Badesaison erschüttert uns weniger als wochenlanges Homeoffice.

Die Beispiel zeigen: Die aktuelle und die latente Krise sind kaum zu vergleichen, also auch die Gegenmaßnahmen nicht. Das Virus ist der Wolkenbruch, gegen den man hektisch Dämme aufschaufelt. Klimawandel und Artensterben sind der langsam und stetig steigende Wasserpegel, der irgendwann die Dämme aufweicht.

Wer einen Ausnahmezustand für den Klimaschutz herbeifantasiert, verdeckt Chancen für eine Kurswende

Das bedeutet keineswegs, dass wir beim Klima ruhig bleiben können. Ganz im Gegenteil müssen wir schnell und beherzt handeln. Aber wer etwa die CO2-Emissionen weltweit im nächsten Jahrzehnt halbieren will – noch mal: In zehn Jahren halbieren, was bisher praktisch immer gewachsen ist –, der muss entschieden, aber auch sehr klug vorgehen. Der kann nicht darauf setzen, dass ähnlich brachiale Methoden wie gegen Corona auch gegen CO2 durchzusetzen und über Jahrzehnte durchzuhalten sind. Ausgangssperren für ganze Regionen, der Zusammenbruch des Flugverkehrs, die drohende Pleite für Tausende von Unternehmen und Millionen von Existenzen dürfen bei UmweltschützerInnen auch keine klammheimliche Freude aufkommen lassen.

Der Absturz der Volkswirtschaft und das seuchenbedingte Ende von Wachstum und Konsum führen nicht zur ersehnten „großen ökologischen Transformation“ der Industriegesellschaften, sondern zu einem Chaos, wo Mut und neue Ideen, die wir dringend brauchen, keine Chance haben. Die Mittel der Virus-Apokalypse sind keine Kur gegen die Klimakrise.

Tagträume von einer Ökodiktatur

Diese Debatte ist sogar gefährlich. Denn wer Ausgangssperre, Hamsterkäufe, Tausende von Toten und permanente Bedrohung kommunikativ mit dem Begriff „Klimaschutz“ verbindet, ruiniert die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft. Deren Bremsern, die das Rasen auf der Autobahn für den Inbegriff der Menschenwürde halten, passen solche Tagträume einer Ökodiktatur nur zu gut ins Konzept. Wer einen Ausnahmezustand für den Klimaschutz herbei fantasiert, verdeckt auch Chancen für eine Kurswende. Es stimmt ja nicht, dass „fast nichts passiert ist“. Im Gegensatz zur Finanzkrise nach 2008 sind heute die erneuerbaren Energien nahezu weltweit die günstigste Form der Energieerzeugung; die Folgen von Klimakrise und Artenverlust sind viel deutlicher; der Druck aus der Wirtschaft, von Banken, Versicherungen, Städten und der Zivilgesellschaft für Lösungen ist ungleich größer.

Sicher können wir aus der Coronakrise etwas für den Klimaschutz lernen: Globale Kooperation ist besser als Abschottung, Solidarität und Vorsicht sind überlebenswichtig, Entschleunigung macht zufriedener als Turbokonsum. Und um die vielen Krisen zu lösen, haben wir jetzt zum ersten Mal die Mittel: Wir haben das Wissen, die technischen Möglichkeiten, die ExpertInnen und auch das Kapital.

Was fehlt, ist der politische Schwung und Druck, die notwendigen und machbaren Veränderungen gegen alte Interessen durchzukämpfen. Dafür aber braucht es breite gesellschaftliche Koalitionen, möglichst europa- oder weltweit. Eine Transformation der Industriegesellschaften erreicht man durch Aufklärung, politische Allianzen, den Appell an Eigeninteressen und Verantwortung für die Zukunft. Aber nicht durch Klima-Notstands-Gesetzgebung.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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14 Kommentare

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  • Eine nachvollziehbare Meinung. Dennoch sehe ich die Corona-Krise auch als Chance Forderungen für ein Klimafreundliches Wirtschaften und staatliche Kompetenzen im Umgang mit der langfristigen Klimakrise jetzt vehement einzufordern bzw. als Maßnahme gegen die nächste dann dauerhafte Katastrophe und ein Leben im Krisenmodus zu sehen. Leider bewegt sich die drohende Klimakatastrophe eben nicht mehr im Schleichgang sondern wie seriöse Berechnungen zeigen haben wir noch zehn Jahre um radikal umzulenken sonst ist der Kipppunkt erreicht an dem sich dann auch mit drastischen Änderungen nichts mehr retten lässt. Dann hätten wir die Situation einer dauerhaften unbequemen und für viele tödliche Krise und können durch drastische Maßnahmen nichts mehr retten. Ein worst case Szenario. Sinnvolle Forderungen die wir jetzt stellen können:



    1) ein Konjunkturprogramm nach der Corona Krise dass die nächste Krise abwendet, also massive staatliche Investitionen in Klimafreundlichere Energien und Verkehrsmittel die dabei auch massenhafte Arbeitsplätze schaffen, wesentlich mehr als in den fossile Branchen wegfallen. Es darf KEINE Subventionen mehr für letztere geben.



    2) Die Weichen und Rahmenbedingungen müssen vom Staat gestellt werden sonst verpufft individuelles Klimafreundliches Handeln. Corona zeigt dass Transparenz und klare Ansagen von den meisten angenommen und umgesetzt werden.



    3) Positive Effekte des Umsteuerns zeigen. Wir können die nächste (dauerhafte) Krise abwenden. Wir beweisen gerade dass uns Gesundheit mehr Wert ist als kurzfristige Gewinne. Keiner will in 30 Jahren Massenflucht, Versorgungsengpässe, Millionen von Toten durch Hunger, verschärfte Ressourcenkriege und zusammenbrechende Wirtschaften und Staaten erleben. Wir sind JETZT handlungsfähig und können das abwenden.



    4) Regionale und internationale Kooperation kann Krisen besser abwenden als geschlossen nationalstaatliches Handeln auf Kosten anderer. Auch das wird die Auswertung der Coronakrise zeigen.

  • Bei der Klimakrise ist es auch ein Einmalaufwand. Wenn die ganzen Solarparks und Batteriefabriken für die die klimaschonende Energiebereitstellung erst mal stehen, muss auch nicht mehr so viel investiert werden.

    • @meerwind7:

      Aha. Und wie kommen Kreti & Pleti klimaneutral nach Malle? Fliegen die auf einem Windrad hin oder schwimmen die auf einem Solarpanel?

      Die CO2 neutrale Transformation der Gesellschaft (Bevölkerung & Wirtschaft) ist eine Herkulesaufgabe, bei der man den Beteiligten reinen Wein einschenken sollten und nicht behaupten sollte mit einem "Einmalaufwand" sei alles getan.

  • So unterschiedlich ist das gar nicht. Bei der Frage, warum Corona in Italien und auch jettz Spanien so stark einschlägt, wurde ein Argument bislang nicht erwähnt: Das ist eine Atemwegserkrankung und dürfte bei vorbelasteter Lunge deutlich komplizierter Verlaufen als bei gesunder. Hier sollte geprüft werden, inwieweit Ozon, NOx, Feinstaub etc mit Corona-Sterblichkeit korrellieren.

    • @MaR:

      Oder weil diese Länder ein noch schlechteres Krankensystem haben als wir. Weniger Intensivbetten, schlechteres Management usw. Außerdem wird in Italien jeder Tote auf Corona untersucht, was in Deutschland nicht gemacht wird.

  • "Die Idee der ökosozialen Marktwirtschaft" ist ein naiver Wunschtraum. Wenn schon die soziale Marktwirtschaft nicht funktioniert, wo soll denn erst eine ökosoziale herkommen?

    Das Bewußtsein für Artensterben und Klimakatastrophe, hier so freundlich "Wandel" genannt, mag gewachsen sein, die Anzahl der Arten ist masssiv gesunken, die Zeit, die uns bleibt, die Spezie "homo sapiens" zu retten, ebenfalls.

    • @Saber Baser:

      Wie kommen Sie darauf, dass die soziale Marktwirtschaft nicht funktioniert? Alle bisherigen Erfahrungen belegen das Gegenteil.

  • Die Industrie und die Marktwirtschaft sind seit 40 Jahren schon weiter als viele Umweltverbände heute.

    Während wie in den 80ern noch immer davon redet, dass Umwelt keinen Preis haben darf und keine Macht den Lobbyisten hat noch nicht verstanden, wie ein Knappheiten organisierendes System funktioniert. Über Preise eben!

    Es nennt sich Öko Soziale Marktwirtschaft.

    Nichts anderes wird die Umwelt für uns alle retten, ohne uns zu ruinieren, wie es sich manch Misantroph wünschen mag.

    Wem Menschen nicht egal sind, der sollte den Widerstand gegen das aufgeben, allen nützt.

  • Danke für diesen sehr sachlichen Kommentar.



    Nur eine Aussage halte ich für zu pauschal, nämlich:



    "Aber der Kampf gegen Corona ist kein Angriff auf eine billionenschwere Industrie – sondern kommt dem Geschäftsmodell der Pharmaindustrie entgegen."



    DAS (?) Geschäftsmodell der Pharmaindustrie? Deren Geschäftsmodelle sind äußerst vielfältig - und ganz sicher sind Teile davon sozial und ethisch höchst fragwürdig. Die Corona-Viren hat diese Industrie aber ganz sicher nicht in die Welt gesetzt, und die Maßnahmen im "Kampf gegen Corona" hat keinem Pharmaunternehmen bisher Extraprofite verschafft. Das kann sich möglicherweise ändern, wenn Medikamente/Impfstoffe gefunden/entwickelt werden, die Heilung oder Prophylaxe ermöglichen, aber dann bleibt abzuwarten, wie Gesellschaft und Staat damit umgehen.

  • Sehr vernünftiger Kommentar.

    Abgesehen davon, dass "die meisten BewohnerInnen der Industrieländer relativ geschützt" [seien], wahrscheinlich so nicht stimmt. Klimawandel ist mehr als überschwemmte Strände oder Inseln.

    Die jetzige Krise zeigt auch, mit was für Schwierigkeiten für die Klimakrise zu rechnen ist: auf den Autobahnen wird (von manchen) deutlich schneller gefahren als sonst. Verkehrsreduktion und eventuell die günstigen Benzinpreise führen dazu, dass die Richtgeschwindigkeit auf der linken Spur anscheinend nicht unter 150 kmh sinken darf.

    • @fly:

      Wenn man sich die Sterbequoten der afrikanischen Staaten und anderer 3. Welt-Staaten ansieht (teilweise 20 - 50 % der Infizierten) würde ich die Aussage, dass wir hier in den Industriestaaten relativ geschützt (durch unser Gesundheitssystem) sind, schon als richtig annehmen.

      Die Frage ist, wovor wir geschützt sind. Sicherlich nicht vor der Ansteckung, aber doch wohl relativ gut vor dem Tod.

      In Anbetracht dieser Todesquoten sind sogar die 10 % in Italien noch ein "relativ guter Schutz". So morbide und zynisch das im Einzelfall auch klingen mag.

  • Mich würde es nicht wundern wenn als "Nebeneffekt" der Coronakrise zumindest für dieses Jahr die Ziele beim CO2-Ausstoß erreicht werden, und zwar global.



    Schon sehr lange nicht mehr wurden so wenig Klimaschädliche Gase freigesetzt wie zur Zeit.

  • Natürlich könnten aber manche in der jetzigen Krise möglichen Maßnahmen auch gegen die Klimakrise helfen. Man könnte einen Großteil der Tourismusindustrie, insbesondere das Kreuzfahrtunweses sowie den Flugverkehr versenken, indem man den entsprechenden Firmen eben keine staatliche Unterstützung angedeihen, sondern etliche sang-und klanglos untergehen lässt.

    • @Adam Weishaupt:

      Eine gute Idee, aber ich bin mir sicher, daß die größten Rettungsringe wieder der Automobil- und der Luftfahrtindustrie zugeworfen werden. Dank Corona sind Brände in Australien und andere mutmaßliche Klimakrisenfolgen wunderbar in den Hintergrund getreten. Das werden die Lobbyisten zu nutzen wissen.