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Corona in FrankreichWas nur die Augen wissen

Manchmal ist es durchaus von Vorteil, irgendwo eine Fremde zu sein. Zwischen Paris und Rom zum Beispiel kann die Stimmung ganz schön schwanken.

Schlechte Stimmung in Paris, da hilft auch kein lachender Teddyballon mehr Foto: picture alliance/dpa

E igentlich wollte ich heute an dieser Stelle über Rom schreiben. Nicht über die Anti-Lockdown-Demos, von denen ich bisher keine live erlebt habe. Sondern über die lustigen Gestalten, die einem hier begegnen, wenn man durch die Innenstadt läuft: Dieser Mann, der im rosafarbenen Bademantel, mit „Brillis“ in den Ohren, durch die Straßen nahe dem Ghetto schlendert.

Diese Frau, die jeden Morgen an einem Brunnen im historischen Zentrum sitzt und sich mit rotem Lippenstift einen fünfmal vergrößerten Mund aufmalt, nur um dann freundlich vor sich hin fluchend die Via della Scrofa auf und ab zu marschieren. Dieser Tailleur, der in derselben Straße gegen zehn Uhr mit einem gelb-schwarz gestreiften Ferrari vorfährt und sich offenbar selbst sehr gut aussehend findet.

Dieser Priester, der jeden Mittag in einem kleinen Restaurant der Via del Pellegrino sitzt und bei Polpette und Pasta gemütlich ein Fläschchen Wein kippt. All die Pudel, die in den Cafés neben ihren Besitzerinnen auf einem Stuhl hocken und bei jedem vorbeiziehenden Teller aufgeregt mit dem Schwanz wedeln … Kurzum: Es sollte um das amüsante Alltagsschauspiel gehen, dass man hier beobachten kann, wenn man fremd ist und noch keinen anderen Zugang zur Stadt hat als seine Augen.

Doch nun war ich zwischenzeitlich in Paris – wohlgemerkt vor dem französischen Lockdown – und muss deshalb kurz aus der anderen Hauptstadt berichten. Denn dort sind die Gestalten, die man trifft, alles andere als lustig. Normalerweise antworten die Leute einem ja auf die Frage „Wie geht’s dir?“ reflexartig „Gut“ und gehen erst dann ins Detail. Jetzt ist die Antwort bei jedem, selbst bei denen, denen es wirklich gut geht, sofort: schlecht, deprimiert, alles furchtbar.

Luxusbereich in der Krise

Die eine Freundin, die in den letzten Jahren gut damit beschäftigt war, Modenschauen für große Marken zu organisieren, erzählt bei einem schnellen Glas vor 21 Uhr (die Sperrstunde), dass sie ihren Job los ist: „Keiner weiß, ob und wann es mit den Schauen wieder richtig losgeht, der gesamte Luxusbereich (einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Frankreichs) steckt in der Krise.“

Mein Cousin, der seit ein paar Monaten die Website einer Wochenzeitschrift leitet, berichtet bei einem Mittagessen, die Redaktion sei neuerdings voll bewacht und sie hätten Morddrohungen erhalten. Marianne, so heißt die Zeitschrift, war eine der wenigen, die nach dem Mord am Lehrer Samuel Paty dem Aufruf gefolgt ist, die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo noch einmal zu drucken: „Hätten es alle gemacht, wäre es anders“, meint er wütend, „ich hoffe, dieser Anschlag wird endlich ein Weckruf sein. Man kann das Problem nicht weiter ignorieren.“

Wie nicht ignorieren, ohne gleich pauschal anzuklagen, fragt sich eine andere Freundin. Sie ist Dokumentarfilmerin, ihr Herz schlägt weit links, sie fühlt sich in den überaggressiven Debatten beengt, in denen das rechte Lager dem linken vorwirft, mit den Islamisten zu „kollaborieren“, und das linke dem rechten an den Kopf knallt, sie seien allesamt „islamophob“: „Warum kann man nicht anerkennen, dass es schwieriger ist, als,Mehdi aus Saint-Denis' durchs Leben zu gehen denn als,Jean-François aus Neuilly', und trotzdem finden, dass der Terrorismus mit allen Mitteln bekämpft werden muss? Wieso muss man entweder die Realität des Rassismus leugnen oder die des Islamismus?“

Meine Tante, sie ist Jüdin, überlegt mittlerweile, ganz nach Israel auszuwandern. Eine marokkanische Freundin hat die Koffer für ihre fünfköpfige Familie schon gepackt: „Ich fühle mich hier nicht mehr sicher, der Gewaltpegel ist geisteskrank hoch. Mir reicht’s. Ich gehe.“

Zurück in Rom beobachte ich die Figuren des Innenstadttheaters und alles scheint mir trotz Covid-19, trotz Krise, trotz Demonstrationen, ganz leicht und weich und hell. „Am Ende ist es dort genauso wie hier, du siehst es nur nicht“, sagen mir französische Freunde. Wahrscheinlich stimmt das. Wahrscheinlich ist das der große Vorteil, nun wirklich eine Fremde zu sein.

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2 Kommentare

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  • 7G
    75787 (Profil gelöscht)

    In dieser Kolumne wird die gesellschaftliche Polarisierung sehr anschaulich dargestellt und gewissermaßen ganz nebenbei wird sie gestellt - die Kardinalfrage (die in Politik und Gesellschaft allerdings viel zu selten gestellt wird):

    „Warum kann man nicht anerkennen, dass es schwieriger ist, als,Mehdi aus Saint-Denis' durchs Leben zu gehen denn als,Jean-François aus Neuilly'."

    • @75787 (Profil gelöscht):

      Der zitierte Satz geht ja weiter. Und zwar:



      "... und trotzdem finden, dass der Terrorismus mit allen Mitteln bekämpft werden muss?"

      Und erst jetzt wird die Bedeutung klar, nämlich die damit verbundene Frage, ob Rechtsextremismus oder islamistischer Terror nicht ihre Ursachen haben in einer Welt, die permanent Ungleichheit, Verachtung für andere Kulturen und Andersdenkende produziert, verbunden mit ökonomischer Ausbeutung und Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Interessen.



      Im Gegensatz zur möglichen Klimakatastrophe sind die Reichen dieser Welt und ihre Helfer von Verachtung, Ausbeutung und Unterdrückung nicht betroffen.



      Wenn der französische Präsident betont, dass es um Meinungsfreiheit geht im Kampf gegen den islamistischen Terror, dann hat er zwar recht, jedoch geht es auch um die Deutungshoheit, die für die Mehrheit der Gesellschaft nicht gegeben ist. Und das bestärkt das Gefühl, nur die Rolle des Verlierers einnehmen zu können, zumal das ja auch größtenteils der wirtschaftlichen Situation derjenigen entspricht, die mit den herrschenden Verhältnissen nichts am Hut haben.



      Worüber wundern wir uns? Alles spricht von der Spaltung der Gesellschaft in arm und reich, also über Gewinner und Verlierer. Und dann beklagen wir die Folgen ohne an die Ursachen zu erinnern?