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Corona-Schutzimpfung in ÖsterreichJetzt doch keine Impfpflicht

Wien setzt die Pflicht zur Impfung aus – noch bevor deren Durchsetzung überhaupt versucht wird. Zuletzt ließen sich weniger Menschen immunisieren.

Stephansdom Wien: Die Impfpflicht in Österreich kommt nun doch nicht Foto: Leonhard Foeger/reuters

Wien taz | Österreichs Coronapolitik schlägt Kapriolen. Just an dem Tag, an dem mit 47.795 Neuinfektionen ein neuer Höchstwert erreicht wurde, gaben Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die Suspendierung der Impfpflicht bekannt – noch bevor deren Durchsetzung auch nur versucht worden war.

Sie folgten damit den Empfehlungen der Impfpflichtkommission, deren erster Bericht gleichzeitig veröffentlicht wurde. Edtstadler begründete den Schritt damit, dass „viele Argumente dafür sprechen, dass dieser Grundrechtseingriff nicht gerechtfertigt ist“. Gemeint ist die stabile Lage auf den Intensivstationen sowie der meist milde Verlauf der meisten Omikron-Infektionen.

Johannes Rauch, nach dem Rücktritt von Wolfgang Mückstein vergangene Woche von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) als Gesundheitsminister nominiert, war noch keine 24 Stunden im Amt, da musste er schon eine Grundsatzentscheidung vertreten. Allerdings nicht gegen seine Überzeugung: Rauch, damals noch Landesrat in Vorarlberg, war über die Impfpflicht nicht glücklich gewesen – genauso wenig wie sein Vorgänger Mückstein, der bei einem Treffen mit den Landeshauptleuten im Oktober von der ÖVP überrumpelt wurde.

In Österreich gilt die Impfpflicht seit dem 1. Februar. Ab dem 16. März sollte die Polizei bei Routinekontrollen auch den Impfstatus überprüfen. Beeindruckt haben die vergleichsweise hohen Strafen aber niemanden. Im Gegenteil: Seit Inkrafttreten des Gesetzes lassen sich noch weniger Menschen impfen. Daran hat auch die Verfügbarkeit des sogenannten Totimpfstoffs Novavax nichts geändert.

Aufhebung der Schutzmaßnahmen

Die Kommission hält den Zwang für Ungeimpfte und Ungenesene allerdings weiter für sinnvoll. Das betrifft rund eine Million Erwachsene, die seit fünf Wochen in Konflikt mit dem Gesetz stehen. Viele von ihnen gehen weiter jedes Wochenende auf die Straße, um gegen „Impfdiktatur“ und „Coronawahnsinn“ zu demonstrieren. Jüngste Gemeindewahlen in Tirol, bei denen die neue Impfgegnerpartei MFG mit teils zweistelligen Ergebnissen in zahlreiche Gemeinderäte einzog, dienten als Warnsignal vor allem an die konservative ÖVP, die viele ihrer Bastionen im Rutschen sieht.

Auch die Aufhebung fast aller Schutzmaßnahmen am vergangenen Samstag ist wohl der Einsicht geschuldet, dass die Menschen nach zwei Jahren Pandemie zermürbt und lebenshungrig sind. Die Nachtclubs, die pünktlich um 00.00 Uhr am Samstag öffneten, wurden förmlich überrannt.

Die Spaßbremse spielt weiterhin Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der nicht bei allen Öffnungsschritten mitzog. In Wiens Lokalen gelten weiterhin die 2G-Regel und Maskenpflicht in allen Geschäften. Wenige Tage später sah er sich durch die explodierenden Infektionszahlen bestätigt. „Das Aufheben der Schutzmaßnahmen war ein Fehler (…) Wir werden den konsequenten Weg in Wien weiter beschreiten“, so Ludwig auf Twitter.

Minister Rauch hat jetzt bis zum Sommer Zeit, vor der drohenden Herbstwelle eine neue Impfstrategie zu entwerfen. Das Gesetz ist ja nur ausgesetzt, nicht aufgehoben.

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