Corona-Entwicklung in Deutschland: Bessere Zahlen sind überfällig
Zur Beurteilung der Coronalage sind differenzierte Informationen nötig. Erst jetzt werden Daten auch zu Alter und Impfung Erkrankter eingeholt.
E s ist eine unglaubliche Ankündigung: In Zukunft soll tagesaktuell erfasst werden, wie viele Coronapatient*innen im Krankenhaus aufgenommen werden, wie alt sie sind und ob sie geimpft sind. Was daran unglaublich ist? Dass diese Entscheidung erst eineinhalb Jahre nach Beginn dieser Pandemie gefallen ist. Dass es diesen Wert nicht gab, war bisher ein großes Problem bei der Beurteilung der Coronalage – und leider symptomatisch für die Datenlage in Deutschland.
Aus welcher Altersgruppe sind wie viele Menschen geimpft? Darüber gibt es nur extrem grobe Angaben. Wie viele davon aufgrund einer Vorerkrankung zur Risikogruppe gehören, ist völlig unklar. Welche Gruppen lassen sich aus welchen Gründen auf eine Infektion testen? Wer liegt mit einer Corona-Infektion wie lange im Krankenhaus? Und wie viele Menschen, die in der offiziellen Statistik als genesen gelten, leiden unter Langzeitfolgen der Erkrankung?
Anders als in vielen anderen Ländern werden in Deutschland dazu bisher keine systematischen Daten erhoben. Dass es zumindest zu den Krankenhauseinweisungen demnächst bessere Zahlen geben soll, ist ein erster wichtiger Schritt, um die Lage in Zukunft besser beurteilen zu können. Dazu wird bisher vor allem die Inzidenz genutzt, also die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen. Die wird auch in Zukunft ein wichtiger Indikator bleiben, denn hier sieht man am schnellsten, wie sich die Lage entwickelt.
Doch natürlich verändert sich mit der fortschreitenden Impfkampagne die Bedeutung dieser Zahl: Weil vollständig Geimpfte nur selten schwer erkranken, führt die gleiche Inzidenz bei einer hohen Impfquote zu weniger Intensiv- und Todesfällen. Und weil die Impfquote bisher stark vom Alter abhängig ist, wird es wichtiger, nicht auf den Gesamtwert zu schauen, sondern etwa zur Beurteilung der Situation in Schulen verstärkt auf die Inzidenz unter Kindern und Jugendlichen.
Hilfreich wäre zudem, bei allen Zahlen künftig zu wissen, ob die Betroffenen geimpft waren. Das ermöglicht nicht nur eine bessere Beurteilung der Lage. Es würde auch jeden Tag zeigen, wie wirksam die Impfungen sind – und wie groß das Risiko für Ungeimpfte bleibt. Das dürfte deutlich mehr dazu beitragen, die Impfkampagne am Laufen zu halten, als Diskussionen über eine mögliche Impfpflicht, die eher für Misstrauen sorgt.
Denn eins ist klar: Um die hohe Impfquote zu erreichen, die erforderlich ist, um eine vierte Welle zu verhindern, müssen die Impfungen nicht nur für alle noch leichter zugänglich werden. Vor allem müssen die Menschen vom Nutzen der Impfung überzeugt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen