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Corona-Entwicklung in DeutschlandCleveres Kanzlerinnenmanöver

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Mit ihrem Podcast am Wochenende beschränkt sich Merkel auf den Appell an die Deutschen. Noch zögert sie mit strengen Verboten.

Kanzlerin Merkel blickt düster in den Spiegel und in die Zukunft Foto: Oliver Hoslet/ap

D er jüngste Auftritt von Angela Merkel wirkte etwas seltsam. In ihrem wöchentlichen Podcast warnte die Kanzlerin wortstark vor den Gefahren der Coronapandemie: Es sei eine „sehr ernste Phase“, in der „jeder Tag zählen“ würde. Doch dann folgte – nichts. Keinerlei Verbote wurden angekündigt, sondern alles bleibt weiterhin der einzelnen BürgerIn überlassen. Freiwillig sollen die Deutschen aufs Reisen verzichten und immer schön zu Hause sitzen.

Auch die Kanzlerin dürfte wissen, dass dieser Kurs scheitern wird. Bisher gibt es kein einziges Land in Europa, dem es gelungen wäre, die Zahl der Coronatoten einzudämmen, indem man allein auf die Freiwilligkeit der BürgerInnen setzt. Schon sehr bald dürfte es daher in Deutschland zu Verboten kommen.

Es ist also etwas seltsam, dass Merkel kostbare Zeit verstreichen lässt, obwohl „jeder Tag zählt“. Doch die Kanzlerin weiß, was sie tut. Zynischerweise muss sie warten, bis es so viele Corona­kranke in den Hospitälern gibt, dass eine ­deutliche Mehrheit der Deutschen akzeptiert, dass Verbote unumgänglich sind.

Noch ist die Kanzlerin im sogenannten Präventionsparadox gefangen: Wird durch frühe Verbote verhindert, dass sich die Pandemie verbreitet – dann werden ganz viele WählerInnen glauben, Corona sei gar nicht besonders gefährlich, und sich durch die Regierung gegängelt fühlen. Das kostet Stimmen, ist also für die Politik denkbar unattraktiv.

Stattdessen fährt Merkel einen Mittelkurs. Sie warnt so laut und häufig, dass es niemand überhören kann. Wenn die Infektionszahlen dann weiter steigen, kann sie gütig schweigen – und die Verbote durchsetzen, ohne dass sie es noch nötig hätte, ihre Widersacher in der Politik und unter den WählerInnen zu belehren. Dann weiß sowieso jeder, wer mal wieder recht hatte.

In der Coronakrise zeigt sich erneut, wie Merkel als Kanzlerin regiert hat: Sie ist extrem sachkundig und kennt sich in fast allen Themen bestens aus. Aber sie führt nicht, sondern sie moderiert die gegebenen Mehrheiten.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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11 Kommentare

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  • >> Bisher gibt es kein einziges Land in Europa, dem es gelungen wäre,



    >> die Zahl der Coronatoten einzudämmen,



    >> indem man allein auf die Freiwilligkeit der BürgerInnen setzt.

    Nach den Daten von Euromomo hat derzeit (19. Oktober 2020) in Europa



    nur Spanien und Belgien eine Übersterblichkeit.



    Belgien liegt jedoch nicht weit über der Grenze.

    Einige Länder haben sogar derzeit eine Untersterblichkeit



    (darunter das gescholtene Schweden).

    Es scheint als ob gerade Freiwilligkeit zum Ziele führt.

    >> Schon sehr bald dürfte es daher in Deutschland zu Verboten kommen.

    Das befürchte ich auch, aber mit der großen Zahl an Toten kann man derzeit nicht argumentieren.

    >> Zynischerweise muss sie warten, bis es so viele Corona­kranke



    >> in den Hospitälern gibt, dass eine ­deutliche Mehrheit



    >> der Deutschen akzeptiert, dass Verbote unumgänglich sind.

    In den insgesamt 1.160 Krankenhäuser mit intensivmedizinische Betten liegen derzeit (19. Oktober 2020)



    851 Corona-Intensivpatienten davon werden 389 beatmet. Nicht einmal ein Patient für jede Intensivstation.



    Quellen:



    www.sciencemediace...chland-und-europa/



    www.rki.de/DE/Cont...ob=publicationFile

    -- Zweiter Teil folgt --

    • @Ku Wert:

      >> Stattdessen fährt Merkel einen Mittelkurs. Sie warnt so laut und häufig,



      >> dass es niemand überhören kann. Wenn die Infektionszahlen dann



      >> weiter steigen, kann sie gütig schweigen – und die Verbote durchsetzen,



      >> ohne dass sie es noch nötig hätte, ihre Widersacher in der Politik und



      >> unter den WählerInnen zu belehren. Dann weiß sowieso jeder, wer mal wieder recht hatte.

      Weiter oben galt noch Todeszahlen und die auslastung der Intensivstationen als Parameter jetzt sind es Infektionszahlen?

      Wenn in Deutschland viel mehr Menschen sterben als gewöhnlich, sollte die Regierung handeln.



      Derzeit (19.Oktober 2020) herrscht in Deutschland eine gewöhnliche sterbezahl.



      Jeder Tod ist individuell tragisch. Aber unser leben ist endlich und es besteht kein



      _über das normale Maß_ hinausgehender Handlungsbedarf.

      Auch das Gesundheitssystem muss vor einer Überlastung geschützt werden.



      Wie weiter oben ausgeführt sind wir in Deutschland weit davon entfernt.

      Die Fallzahlen Steigen derzeit, da mehr getestet wird.



      In der 41 KW (5.-11. Okt 2020) wurden insgesamt 1.167.428 Test durchgefürt (Positivquote: 2,48%).



      (Zum Vergleich am Höhepunt der ersten Welle in der 14. KW waren es 392.948 Tests, Positivquote: 9,01%)



      Quellen:



      www.rki.de/DE/Cont...ob=publicationFile



      www.rki.de/DE/Cont...ob=publicationFile

      Eine Korrelation zwischen den Fallzahlen und den Sterbezahlen jedoch ist schwer zu erkennen.



      Quelle: google -> Corona Deutschland -> Statistik -> Fallzahlen/Tote

      Das dürfte insbesondere auch an der Zahl der Tests und der Teststrategie liegen.



      Die Teststrategie liegt derzeit darin jede Kontaktperson zu testen.



      Dabei werden viele gesunde getestet. Mit dem hochsensitiven PCR-Test ergeben sich



      viele Positive (darunter viele Falsch Positive).

      Ich halte diese Strategie nicht für Sinnvoll

  • Bilden Sie sich selbst eine Meinung:



    Obergrenze von 50 aktuellen Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner



    ---->



    Bei einer Durchseuchung (Prävalenz) von 2% (RKI vom www.rki.de/DE/Cont...ischenbericht.html 1,87%) sind von



    10.000 200 Personen positiv und 9.800 negativ



    ===========================



    - bezogen auf den 'besten' PCR-Test nimmt man 99% Sensivität an(www.aerzteblatt.de...ig-interpretieren), damit sind 198 Personen korrekt positiv und 2 Personen negativ



    - bezogen auf den 'besten' PCR nehmen wir 99% Spezifität an (die vom RKI genannten 'nahezu 100%' sind illusorisch, da der PCR Test ), damit sind 98 positiv (falsch positiv) und 9.702 negativ (korrekt negativ)



    Ein sehr guter PCR Test zeigt also bei einer aktuellen Prävalenz auf 100.000 getesten Personen 980 falsch positive Personen!



    ============================



    Zur Erläuterung der Begriffe:



    Die Sensitivität eines diagnostischen Testverfahrens gibt an, bei welchem Prozentsatz erkrankter Patienten die jeweilige Krankheit durch die Anwendung des Tests tatsächlich erkannt wird, d.h. ein positives Testresultat auftritt.



    Die Spezifität eines diagnostischen Testverfahrens gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass tatsächlich Gesunde, die nicht an der betreffenden Erkrankung leiden, im Test auch als gesund erkannt werden.



    =============================

  • „In der Coronakrise zeigt sich erneut, wie Merkel als Kanzlerin regiert hat: Sie ist extrem sachkundig und kennt sich in fast allen Themen bestens aus. Aber sie führt nicht, sondern sie moderiert die gegebenen Mehrheiten.“

    Das halte ich für eine krasse Fehleinschätzung. Merkel hat im Frühjahr geführt und einen schnellen Lockdown veranlasst.



    Danach sind ihr die Ministerpräsidenten, besondes Laschet, in den Arm gefallen und wollten sich lieber selber drum kümmern.



    Das hat leider definitiv garnicht funktioniert, vor allem nicht in NRW.



    Auch letzte Woche waren es die Ministerpräsidenten unserer kakophonischen Republik, die ein gemeinsames Vorgehen und eine Verschärfung verhindert haben.



    Krass, das frau das jetzt Merkel in die Schuhe schieben will ...

  • Ist halt das Problem jeder Mutti!



    Wenn die Kids nicht begreifen wollen, lässt man/Frau sie ein wenig vor die Wand laufen.



    Solange es möglich ist, noch "die Hand" dazwischen zu halten, damit die Buelen nicht "so schlimm" werden geht's ja noch!



    Immer der gleiche Mist! Ich will meine "Freiheit! usw. Als wenn das Virus sich davon auch nur einen Hauch weit beeindrucken liesse.



    .



    Warten wir's ab. Die wirklich HARTEN Indikatoren am Samstag im Supermarkt standen schon auf Sturm> Orkan!:-)



    Kein Klopapier, Nudel & Fleischtheke ausgeräumt!



    Wird ein harter Winter, die Haufrauen fliegen tief! :-)



    Gr Sikasuu

  • "Sie ist extrem sachkundig und kennt sich in fast allen Themen bestens aus. Aber sie führt nicht, sondern sie moderiert die gegebenen Mehrheiten."

    Das menschgewordene neoliberale Politikmodell. Der Markt wirds richten.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Noch zögert sie mit strengen Verboten."

    Wenn ich sehe, was hier in Berlin alles toleriert wurde, ist es kein Wunder dass die Infektionszahlen rasant steigen.



    Nun sollen alle wegen einzelner Idioten betraft werden. Das ist grundfalsch!!!

  • Die Folgen dieses "cleveren" Maneuvers lassen sich dann in 2 Wochen an den Neudiagnosen und in 4 Wochen in den Krematorien anschaulich sehen.

    Währenddessen in Neuseeland: Im Eden Park Stadion mischen die All Blacks Australiens Wallabies auf. 46.049 Zuschauer*innen erleben ein atemberaubendes Match; der Jubel der neuseeländischen Fans ist nicht zu stoppen.

    Konservativismus tötet.

  • Wir haben ein unglaubliches Glück, diese Kanzlerin zu haben. Ich hätte nie gedacht, das mal sagen zu müssen. Die übliche Politikerkaste wäre damit völlig überfordert.

    Ist auch kein Zufall, dass laut Umfragen der Großteil der Welt im Zweifel Merkel haben wollte und Deutschland beneidet. Dass im Westen mit Angela Merkel und Jacinda Ardern zwei Frauen die sind, die eigentlich alle gerne als Staatslenker hätten, kann einem auch zu denken geben.

    Mir hängen jedenfalls all diese scheingroßen zynischen Männer immer mehr zum Hals raus. Und das sage ich als Mann.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - klärt auf -

    “ Verbranntes Kind scheut Feuer.



    Die "Mutti" lässt Verbrennen zu.



    Das ist doch ungeheuer.







    "Manöver"? FeldherrInnenhügel!, nur ist es kein Manöver, es ist eine Schlacht.



    Besser wurde die "Methode Merkel" ("Phh! Ihr werdet schon sehen..") nie beschrieben.



    Nur: "Zynischerweise muss sie warten,.." sollte besser heißen:



    "Zynischerweise wartet sie..." “

    kurz - Lassemer das Warten auf weniges zu lang - auf Bumerang -

    Nö. Mutti - Warten auf Weißnichtwas

    Ein Leierkasten wringt sich aus.



    Es klingt nach Leben und Sterben.



    Im Schutt im Winkel hinterm Haus



    Liegen häßliche Scherben.

    Am Fenster quält sich ein winziges Tier,



    Läuft immer dieselbe Schleife.



    Es klingelt. - Ein Armer bietet mir



    Schnürsenkel an. Oder Seife.

    Es ist nichts neu und nichts verstellt



    An meinen Gegenständen.



    Nichts lockt mich hinaus in die Außenwelt.



    Nichts hält mich hinter vier Wänden.

    - Joachim Ringelnatz . 1883 - 1934 - Danke

  • Hmm, beides ist notwendig, aber in einer Demokratie halte ich letzteres für die stärkere Notwendigkeit.