piwik no script img

Comeback nach schwerer VerletzungZurück in der Luft

Im März stürzte Daniel-André Tande von der Schanze in Planica. Nun springt er wieder und will noch einmal die ganz großen Weiten angreifen.

Wieder in Form: Daniel-André Tande macht Meter in der Luft Foto: Gepa/imago

Dass Skispringen als Wintersportart so beliebt ist, liegt auch an der Faszination Fliegen. Wie gerne würde jeder Mensch einmal durch die Lüfte gleiten? Daniel-André Tande ist einer, der dies besonders gut kann. 2018 wurde der Norweger auf der riesigen Heini-Klopfer-Schanze in Oberstdorf Skiflug-Weltmeister. Auch am 25. März dieses Jahres wollte der 27-Jährige bei einem Probesprung auf der Skiflugschanze in Planica wieder elegant zu Tal schweben. Doch kurz nach dem Absprung verlor er die Kontrolle über seine Ski, knallte bereits bei 78 Metern auf den Vorbau und rutschte stattdessen regungslos den Hang hinunter.

Er zog sich einen Schlüsselbeinbruch zu, die Lunge musste punktiert werden. Weil die Ärzte auch vier Hirnblutungen festgestellt hatten, wurde er mehrere Tage in ein künstliches Koma versetzt. „Meine Familie und meine Freundin waren besorgt, weil eine der Blutungen im vorderen Bereich meines Gehirns war – das ist der Bereich, der für die Persönlichkeit verantwortlich ist“, sagt er, „wäre die Blutung zu stark gewesen, hätte ich als eine andere Person wieder aufwachen können.“ Diese Veränderung blieb aus.

Ganz im Gegenteil. Daniel-André Tande ist nach wie vor der alte. 177 Tage nach seinem Sturz hatte er sein Comeback. Auf dem Midtstubakken oberhalb Oslos kehrte er wieder auf die Schanze zurück. Eigentlich war das Ergebnis völlig zweitrangig, doch Tande wäre nicht Tande, wenn er bei der Jagd nach weiten Sprüngen nicht nach dem Maximum streben würde. Nach Platz neun am Samstag ließ er Platz vier am Sonntag folgen. Danach sagte er: „Natürlich habe ich auf etwas bessere Sprünge gehofft, aber es ist ein Anfang.“ Bei seinem Comeback sei er nicht nervöser als sonst gewesen, sondern ganz entspannt.

Nicht wirklich überrascht von Tandes Leistungen war Norwegens Cheftrainer Alexander Stöckl. „Was ich auf den Schanzen in Oslo und Lillehammer, auf denen Daniel trainiert hat, gesehen habe, springt er wirklich auf einem sehr hohes Niveau“, sagte Stöckl in einem Videogespräch, „er ist körperlich sehr gut in Form.“ Sein Vorteil sei gewesen, dass er, weil er nicht springen konnte, die vergangenen drei Monate in der Rehabilitation ein ordentliches Kraft- und Techniktraining in der Halle gemacht habe. „Er hat sich wirklich optimal auf den ersten Sprung vorbereitet“, erklärt der Trainer.

Nicht nur körperlich hat sich der Mannschafts-Olympiasieger vorbereitet, parallel dazu hat er auch mit einem Psychologen vom Olympia-Stützpunkt in Oslo über das erste Mal danach gesprochen. Und natürlich wurde seine Rückkehr von einem medizinischen Team begleitet, das regelmäßig Tests und MRT-Bilder gemacht hat. Vor dem ersten Sprung sollte jegliches Risiko möglichst ausgeschlossen werden. „Die Experten waren sehr defensiv in ihrer Beurteilung, wann er wieder springen darf“, sagte Stöckl, „Daniel wäre schon nach einem Monat wieder gesprungen.“

Keine Erinnerung

Ein Vorteil für Daniel-André Tande ist sicherlich, dass alle Erinnerungen an seinen Sturz gelöscht wurden. „Das letzte, woran ich mich erinnere, ist ein Spaziergang mit meiner Schwester und ihrem Freund am Tag vor unserer Abreise nach Slowenien“, hatte er bereits im Mai gesagt, „ich denke, das ist auch gut so.“

Immer wieder gab es in der Karriere des stets froh gelaunten Skispringers, der unter Höhenangst leidet, Rückschläge. 2017 war ihm der Sieg bei der Vierschanzentournee eigentlich nicht mehr zu nehmen. Doch im letzten Sprung löste sich ein Clip seiner Bindung. Nur mit viel Mühe konnte er einen Sturz verhindern. Ihm blieb nur Platz drei in der Gesamtwertung. Strahlender Sieger wurde der Pole Kamil Stoch.

Im Sommer 2018 litt er am Stevens-Johnson-Syndrom. Bei dieser Immunkrankheit, oftmals eine allergische Reaktion auf ein Medikament, werden die Schleimhäute, Augen und Nase angegriffen. Bei Tande war vor allem der Mund betroffen, weshalb er über einen Schlauch ernährt werden musste. „Die Wahrscheinlichkeit, am Stevens-Johnson-Syndrom zu erkranken, ist geringer, als im Lotto zu gewinnen“, sagte er und ergänzte: „Das ist meine Art von Glück.“

Nach seinen erfolgreichen Sprüngen auf dem Midtstu­bakken darf sich Tande durchaus als Glückskind betrachten. Dies sieht auch seine Mutter Trude so. Für sie geht jedoch das große Zittern weiter. „Ich habe vor jedem Sprung Angst“, erzählte sie einmal, „wenn Daniel oben auf dem Turm losfährt, kann ich eigentlich nicht hinschauen.“ Ihr Filius wird darauf auch in Zukunft keine Rücksicht nehmen und sich weiter am perfekten Flug von den Schanzen versuchen. „Ich möchte die Schanze wieder bewältigen und weite Flüge zeigen“, sagt er. Auch in Planica.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!