Christlich, extrem, antieuropäisch: Rechte Graswurzeln
An ihren Rändern verbünden sich AfD und CDU mit Abtreibungsgegnern und fundamentalistischen Christen. Entsteht eine deutsche Tea Party?
Wenn etwas ihre Unmut erregt, gründet Beatrix von Storch eine Bewegung. Als Studentin kämpfte sie für die Wiedergutmachung der Bodenreformen in der DDR, später gegen Abtreibungen, Finanzhilfen für Griechenland in der Eurokrise und wider die Gleichstellung von Frauen und Männern. „Ich finde es gut, wenn sich Menschen in die Politik einmischen, damit endlich wieder Politik für die Mehrheit gemacht wird“, sagt sie. 2011 gab sie sogar ihren Job auf, um Vollzeitaktivistin zu werden. Lange war sie in keiner Partei und sie war stolz darauf. Heute ist sie die profilierteste Politikerin der Alternative für Deutschland.
Sie ist die konservative Frontfrau der Partei. Ihr Netzwerk von Initiativen und Online-Medien hat die Demonstrationen gegen den Bildungsplan in Baden Württemberg maßgeblich mitorganisiert. Der Plan sah vor, dass Schüler etwas über homosexuelle Lebensweisen lernen.
Inzwischen sind solche Töne in der AfD häufiger zu hören: „Gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind keine Ehen”, sagt Frauke Petry, die Spitzenkandidatin der AfD in Sachsen, wo in einer Woche der Landtag gewählt wird. Die Partei dürfte dort laut Prognosen zum ersten Mal in einen Landtag einziehen. Die Bundespartei fordert einen Stopp aller staatlichen Maßnahmen, die auf die Gleichstellung von Mann und Frau zielen. Und AfD-Vorstand Bernd Lucke sagt Abtreibung sei ein „Frevel“.
Den Ministerpräsidenten stört das nicht
Mit Erzkonservativen, die auf die Straße gehen, begann in den USA der Aufstieg einer rechten Bewegung. Sind Anti-Homo-Proteste und AfD erste Anzeichen einer deutschen Tea Party? Eine Spurensuche in der taz.am wochenende vom 23./24. August 2014. Christine Preißmann ist Autistin und Psychotherapeutin. Ihre Patienten profitieren. Und: Der rote Kretschmann: Ein Portrait von Bodo Ramelow, der vielleicht der erste Ministerpräsident der Linken wird Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
In Sachsen stört das den amtierenden Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich nicht so sehr, dass er Koalitionsverhandlungen mit der AfD ausschließen würde. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel rät in dieser Woche sogar ausdrücklich dazu solche Koalitionen mit der Alternative für Deutschland „unvoreingenommen“ zu prüfen.
Gegründet worden war die Partei im Februar 2013 eigentlich als Partei von Euroskeptikern, von Professoren, Journalisten und unzufriedenen CDU-Mitglieder, die nicht mehr für die südlichen EU-Länder zahlen wollten, von denen viele auch rauswollen aus der europäischen Gemeinschaftswährung.
Eine ähnliche Entwicklung spielte sich vor fünf Jahren in den USA ab. Auch hier schlossen sich Unzufriedene wegen finanzpolitischen Forderungen - nach niedrigeren Steuern und gegen zu viel Geld für Krisenbanken - zusammen. Sie nannten sich Tea Party. Inzwischen geht es bei der Tea Party nicht mehr nur um Steuern, sondern vor allem um die Anliegen der christlichen Rechten: Demonstrationen gegen Abtreibung, gegen neue Gesetze zur Homo-Ehe, gegen Einwanderung aus Mexiko. Über die Republikanische Partei drang die Tea Party ins politische System vor.
Treibt die AfD andere Parteien?
Bedeutet die Ideologisierung der AfD, dass sie zum Kern einer deutscher Tea Party werden könnte? Und wäre sie ebenso wie die rechte außermparlamentarische Opposition in den USA in der Lage, Einfluss auf die große konservative Partei des Landes zu nehmen, indem sie diese mit ihren Forderungen vor sich hertreibt? Dass das funktionieren kann, hat die Linkspartei am anderen Ende des Parteienspektrums eine Weile mit der SPD vorgeführt.
Ein Team von taz-Autoren hat sich auf die Spuren einer deutschen Tea Party begeben, in Sachsen, Baden-Württemberg und Berlin. In der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 23./24. August erzählen sie von frommen Männern, die auf Stadtfesten Föten aus Plastik verteilen, und von Initiativen, die Geld dafür zahlen, dass Mütter nicht abtreiben.
Linke Parteien könnten auch in einem anderen Aspekt ein Vorbild für die AfD werden. Ob Antifa-Gruppen, Globalisierungsgegner oder Gewerkschaften – linke Parteien sind mit Geflechten von Initiativen und Gruppen verbunden,die für Anliegen der Parteien mobilisieren können, sie im Wahlkampf unterstützen. Die Parteien wiederum tragen Anliegen ihrer Unterstützer in die Politik und geben ihnen dort einen Resonanzraum.
Kampagne in der EU
Als Graswurzelbewegungen gibt es solch ein Spektrum in Deutschland auch bei der Rechten: fromme Christen, gut organisiert, mit eigenen Medien, denen die Moderne viel zu modern ist. Mit Verbindungen zur AfD, aber auch an die Ränder der CDU.
„Das ist eine Bewegung“, sagt Ulli Jentsch vom Antifaschistischen Pressearchiv Apabiz in Berlin. „Sie hat einen professionellen Kern und geht in die Breite.“ Gemeinsam mit zwei Kollegen hat er ein Buch über „Lebensschutz“-Organisationen geschrieben, über christlichen Fundamentalismus und Antifeminismus. Es erscheint im September und heißt: „Deutschland treibt sich ab.“ Für die Autoren manifestiert sich der politische Auftrieb der deutschen Lebensschützer vor allem an den erfolgreichen Kampagnen auf europäischer Ebene in den vergangenen Jahren.
Eine dieser Kampagnen war die gegen den so genannten Estrela-Report - die linke portugiesische Europaabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter heißt Edite Estrela. Estrela hielt es in dem Papier unter anderem für wünschenswert, dass die EU bei der Entwicklungszusammenarbeit mit Regierungen darauf dringt, dass Mädchen in deren Ländern nach einer Vergewaltigung möglichst risikofrei abtreiben lassen können. Außerdem forderte sie eine „Sexualerziehung in einer sicheren, tabufreien und interaktiven Atmosphäre zwischen Schülern und Erziehern“.
Von traditionellen Medien wurde der Estrela-Report kaum beachtet, doch im Internet organisierten christlich-konservative Lobbygruppen wie European Dignity Watch den Widerstand gegen das Papier, das dann im Oktober 2013 mit sieben Stimmen Mehrheit in Europa-Parlament scheiterte. Auch Beatrix von Storch hat dagegen gekämpft. „Was soll das sein, eine tabulose, interaktive Sexualausbildung durch den Lehrer?“, fragt sie. Für sie ist das staatliche Einmischung und grenzt an eine Einladung zum Missbrauch.
„Linke Kreise wollten das“
„Der Unterschied zwischen dem Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche und dem im linken Milieu zum Beispiel um Cohn-Bendit oder der Odenwaldschule ist der“, sagt sie dann noch, „ein katholischer Priester, der so etwas tut, weiß, dass er eine schwere Schuld auf sich lädt. Er bildet sich nicht ein, etwas Gutes zu tun. Er will auch nicht, dass der Missbrauch legalisiert wird. Linke Kreise wollten das und behaupteten sogar, den Kindern etwas Gutes zu tun. Denken Sie nur an die Gespaltenheit Ihrer eigenen Redaktion in dieser Frage.“
Beatrix von Storch ist eine Kämpferin. Mit ihren Organisationen wie Zivile Koalition und Initiative Familienschutz hat sie die Erfahrung gemacht, dass sie die große Politik aufmischen kann. Sie ist ihre eigene Tea Party und sie könnte das sicherlich – das Zusammenführen von organisierten sittenstrengen Christen, klassischen Konservativen und Euro-Skeptikern in und um die AfD.
Glauben Sie, dass sich gerade eine konservative Bewegung formiert, die einen wirklichen Einfluss auf die große Politik haben kann? Auf die Gesellschaft, in der wir zusammen leben?
Diskutieren Sie mit!
Die Titelgeschichte „Sie glauben daran“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 23./24 August 2014.
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