piwik no script img

Merz-Pläne zu AbschiebungenSpiel mit dem Feuer

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Friedrich Merz nimmt bewusst in Kauf, dass seine Pläne rechtswidrig sind. Er zeigt damit reine Skrupellosigkeit.

Rechtsstaatlichkeit ist ihm egal – Friedrich Merz Foto: Christoph Reichwein/dpa

H at es schon einmal einen aussichtsreichen Kanzlerkandidaten gegeben, der mit der Ankündigung eines Rechtsbruchs seinen Wahlkampf bestritt? Friedrich Merz will alle Flüchtlinge an den deutschen Grenzen zurückweisen. Das verstößt so eindeutig gegen EU-Recht, dass auch Merz dies gar nicht leugnet. Dennoch will er in diesem Punkt keinerlei Kompromisse eingehen. Er wird von Woche zu Woche radikaler. Nur zur Erinnerung: Deutschland kann Asylsuchende an der Grenze nicht einfach zurückweisen, sondern muss sie zunächst aufnehmen, um den EU-Staat herauszufinden, der für das Asylverfahren zuständig ist. In der Regel ist das ein Staat an den EU-Außengrenzen.

Stattdessen will Merz alle Flüchtlinge an der Grenze einfach in die unmittelbaren Nachbarstaaten zurückweisen, etwa nach Österreich. Er rechtfertigt das damit, dass das EU-Recht „dysfunktional“ sei, und redet von einem „Recht auf Vorrang des nationalen Rechts“ – das es natürlich nicht gibt, sonst könnte die EU als Rechtsgemeinschaft überhaupt nicht funktionieren.

Natürlich würde es sehr bald Gerichtsurteile geben, dass die Merz-Maßnahmen rechtswidrig sind. Was würde Merz dann tun? Will er die Gerichtsurteile ignorieren, weil sie „dysfunktional“ sind? Wird er eine Kampagne gegen die Gerichte starten? Das Thema kann schnell eine explosive Wucht entfalten, die CDU/CSU spielt mit dem Feuer.

Und welche Vision hat Friedrich Merz von Europa, wenn er einfach mal so den Vorrang des EU-Rechts beiseite­schiebt? Ausgerechnet in einer Zeit, in der wir eine starke EU gegen Trump, Putin und Xi besonders brauchen, stellt der skrupellose Merz alles infrage. Die CDU wird zur Antieuropapartei und geht auch hier auf AfD-Kurs.

Dass Merz seine Pläne notfalls mit der AfD durchsetzen will, hat zu Recht für viel Empörung gesorgt. Viel zu wenig noch wird aber die Rechts- und EU-Feindlichkeit seiner Vorschläge kritisiert. SPD und Grüne haben bisher standgehalten, das zeigt, dass sie über den Wahltermin hinausdenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Hat es schon einmal einen aussichtsreichen Kanzlerkandidaten gegeben, der mit der Ankündigung eines Rechtsbruchs seinen Wahlkampf bestritt?

    Ja. Martin Schulz mit Blick auf das 2% Ziel der Ausgaben für die Nato. Er hat angekündigt, dieses Ziel nicht einhalten zu wollen.

    • @Strolch:

      Das 2%-Ziel war noch nie verbindliches Recht. Bitte nicht Trump auf den Leim gehen! Freilich dürften HEUTE viele zentrale Forderungen der übrigen Kanzlerkandidat_:*Innen nicht wirklich in den aktuellen Rechtsrahmen passen, wenn man näher hinschaut: Die migrationspolitischen Wünsche von Weidel oder Wagenknecht sind ja eher noch rigoroser als die von Merz, ihre umweltpolitischen Agenden absehbar verfassungswidrig. Und was Scholz oder Habeck an fiskalpolitischen Füllhorn-auf-Pump-Vorstellungen mitbringen, wäre auch explizit erst nach Änderung der Verfassung (und, wenn's hart auf hart kommt, auch der Maastricht-Kriterien) möglich.

  • Die AfD ist trotz (oder wegen?) der "Empörungskultur" und Demos immer größer und größer geworden. Mit reiner "Empörungskultur" kreigt man sie also leider nicht kleiner.



    Und jetzt fängt man diese "Empörungskultur" mit Merz und der CDU an. Ich prophezeie, das dies der CDU eher nutzen als Schaden wird.



    Arbeitet mit Merz zusammen, versucht ihn auf den Boden der Tatsachen zurück zu bringen. Kommt ihm entgegen, aber verhindert auch seine wilden Vorhaben. Das bringt mehr als sich nur zu empören.



    Denn eines dürfte klar sein, er ist der nächste Kanzler.

  • Gar lecker ist die süße Macht d'rum Mancher manche Lüge sacht.

  • Merz ist als Kanzlerkandidat völlig ungeeignet, ebenso wie Scholz. Er macht vielleicht, so wie er agiert, eine bella figura, aber als Kanzler ... ?! Die treibende Kraft hinter Merzens geballten Fäusten ist jedoch Söder, der versucht die AFD-Wähler einzusammeln, in einen stockkonservativen Block, versammelt zum Kulturkampf gegen den freien Geist. Pöppelnde Politik für pöppelnde Wähler. Deutschland ist auf einem ganz schlechten Weg. Vielleicht wäre es gut, am heutigen Auschwitz-Gedenktag, sich daran zu erinnern welchen Anteil der deutsche Konservatismus an der Machtergreifung Hitlers hatte und wie der heutige deutsche Konservatismus den Verbotsantrag gegen die AFD verweigert.

  • Das Rechtsargument ist weniger dramatisch - oder sollte es zumindest aus Sicht einer politischen Gegenseite sein, die ähnlich abschätzig über die geltende nationale und EU- Rechtslage in Sachen Fiskaldisziplin redet und entsprechend unvereinbare Vorschläge für zukünftiges Regierungshandeln propagiert. Dass jemand, der sich nicht nur um die Führung der Exekutive sondern auch - bzw. primär - um Stimmen für die Gesetzgebung bewirbt, an der geltenden Rechtslage hier und da etwas zu ändern beabsichtigt, ist völlig natürlich. Wie realistisch diese vollmundigen Versprechungen hüben wie drüben angesichts der sich abzeichnenden Mehrheitsverhältnisse sind, muss der Wähler beurteilen und wäre auch ein geeigneteres Sujet für die Kommentarspalte.

    Denn beängstigend ist in der Tat die ständige Radikalisierung der Ankündigungen. Das hat etwas Trumpeskes und ist leider zunehmend (nur noch) AfD-kompatibel. Das bedeutet, dass Merz im Zweifel entscheiden muss, WELCHES Versprechen er bricht - das der harten Migrationspolitik oder das der Brandmauer. Im Moment scheint eher die Brandmauer zu wackeln, und ich würde mir wünschen, dass er dass recht kurzfristig in Umfragen zu spüren bekommt.

  • Fritzchen's Abstecher zu Onkel Donald nach Entenhaus.



    Ich weiß, Spott bewirkt gar nichts. Aber befreit ein wenig. In Erinnerung der "Birne".

  • Gibt es nicht den Spruch: Wenn Unrecht zu Recht wird, dann wird Widerstand zur Pflicht. Die EU Gesetze werden von großen Teilen der Länder ignoriert, zu Lasten Deutschlands.

  • Friedrich Merz will mit aller Macht Kanzler werden,



    dafür scheint ihm fast jedes Mittel recht zu sein.



    Ich bin mir sicher das wir uns nach der Wahl noch um gucken.



    Eigentlich bliebe für ihn nur die AfD als Koalitionspartner übrig.



    Grüne und SPD dürften das nicht mit gehen, obwohl ich mir bei der SPD nicht ganz so sicher wäre.

  • Vielen Dank für diesen Kommentar, der den Nagel einfach auf den Kopf trifft!

    Umso bemerkenswerter erscheint es mir, dass sich so jemand ernsthaft als neuer Kanzler sehen will… einfach nur unglaublich.

  • Die CDU/CSU war früher auch nicht immer die Rechtsstaatspartei, die Europa begriffen hatte. Aber auch nicht so offen das Gegenteil vor sich her tragend.



    Carl Schmitt sollte vorbei sein, Herr Merz!

  • Mittlerweile glaube ich nicht mehr an einen Ausrutscher. Merz hat genau dengleichen Durchbruch durch die Brandmauer schon im Sommerinterview im Juli 2023 versucht, damals hätte ihn das fast die Kanzlerkandidatur gekostet. Diesmal fühlt er sich offenbar fest genug im Sattel und hat die Merkelreste und christlichen Haltungen in seiner Partei ausreichend vernichtet. Er weiß natürlich, dass SPD und Grüne dem Verfassungsbruch nicht zustimmen können. Und er weiß, dass die AfD es sofort tut. Damit kann er sich dann vor die Wähler stellen und sagen: "Seht her, es geht eben nicht anders! Wenn Ihr mich jetzt wählt, dann wählt Ihr auch die Brandmauer ab, Ihr habt die Wahl!" Damit sind nach der Wahl dann alle parteiinternen Kritiker wie Wüst und Günther verstummt und er kann mit der AfD den Klassenkampf von Reich gegen Arm seiner kühnsten Blackrock-Phantasien umsetzen. Er glaubt so fest an sich, dass er meint, das ÖVP-Schicksal bleibt ihm erspart. Er irrt.

  • Danke für die klare Positionsbestimmung,



    Obwohl - beim letzten Satz habe ich meine Zweifel

  • Ja Merz Pläne verstoßen gegen EU Recht, sie sind aber die einzig logische Konsequenz auf das Verhalten unzähliger anderer EU Staaten - da werden seit JAHREN Ankommende einfach Richtung Deutschland durchgewunken, teils mit Fahrkarten für Züge ausgestattet - diese Praxis wurde zur Hochzeit der Mittelmeerflucht Richtung italienische Inseln mehrfach nachgewiesen.



    Und wenn wir gerade schon bei Italien sind - 2024 stellte Deutschland knapp 13.000 Übernahmegesuche an Italien, um dort erstregistrierte Migranten dorthin zurückzuführen.



    In über 10.000 Fällen wurde das von Italien auch positiv beschieden, also anerkannt, tatsächlich zurückgeführt wurden:



    3. In Worten - drei.

  • Nach zwischenzeitlich durchgeführten Umfragen sind 2/3 der Bevölkerung für die Gesetzesvorlage der CDU.



    Damit ist klar, dass sogar etliche Menschen des links-/grünen-Spektrums diese Maßnahme unterstützen.



    Zumindest Olaf Scholz, wenn nicht auch Robert Habeck agieren in diesem Punkt gegen den Wählerwillen ihrer eigenen Klientel.

  • Reines Wahlkampfgetöse. Das weiß Merz und das weiß auch die taz. Bis zur Wahl noch ein paar Stimmen von der AfD abfischen, um nach der Wahl zu sagen, dass Experten herausgefunden haben, dass die Plaäne "leider, leider" doch nicht umsetzbar seien.