Chinas Wirtschaft strauchelt: Die fetten Jahre sind vorbei

Dem Reich der Mitte droht nach vier Dekaden anhaltenden Wirtschaftswachstums eine ökonomische Flaute. Die Krise ist vor allem hausgemacht.

Studentinnen mit Chinafähnchen.

Allein im August strömten über 11 Millionen Uniabsolventen auf den chinesischen Arbeitsmarkt Foto: Ren Yong/Zuma Press/imago

Wer dieser Tage Xi Jinpings Reden lauscht, muss manchmal an seinem Hörvermögen zweifeln. Zu radikal hat sich die offizielle Parteipropaganda in den vergangenen Jahren gewandelt. War die Führung in Peking zuvor geradezu besessen von der Idee, das jährliche Wirtschaftswachstum in China so hoch wie möglich zu halten, tut der amtierende Staatschef das Streben nach kurzfristigem Wohlstandsgewinnen als reine Dekadenz ab. „Wir müssen historische Geduld wahren“, sagte der 70-Jährige in einer am Mittwoch veröffentlichten Ansprache, die sich wie eine Durchhalteparole an die Bevölkerung liest.

China befindet sich derzeit vor der größten ökonomischen Herausforderung der vergangenen Dekaden: Die Volkswirtschaft kriselt, fast sämtliche der wichtigen Indikatoren fallen geradezu alarmierend aus. Spätestens diesen Sommer lässt sich der Ernst der Lage nicht mehr übertünchen: Im zweiten Quartal ist das chinesische Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum – durch Lockdowns und „Null-Covid“-Politik geprägten – Vorjahreszeitraum nur um 0,8 Prozent gestiegen.

Die vage Hoffnung, dass das Land nach Lockerung der Pandemie-Maßnahmen im vergangenen Dezember rasch wieder zur gewohnten Wachstumsgeschwindigkeit zurückkehren würde, hatte sich nicht erfüllt: Ein erster Erholungseffekt dauerte nicht einmal zwei Monate, dann verpuffte er.

Fast sämtliche ökonomischen Gradmesser liegen hinter den Erwartungen zurück: Die monatlichen Neukredite sind so niedrig wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr, die ausländischen Direktinvestitionen befinden sich auf dem tiefsten Stand seit den 90ern. Selbst die Exporte – eine der zuverlässigsten Wirtschaftssäulen der Volksrepublik – sind im Juli aufgrund der schwachen globalen Nachfrage um nahezu 15 Prozent gefallen.

Xi Jinping schuf ein repressives Gesellschaftsklima

Trotz Coronapandemie und Weltwirtschaftslage sind es allerdings zumeist selbst verschuldete Gründe, warum die chinesische Wirtschaft hinter ihrem Potenzial zurückbleibt. Einer der größten Vorwürfe, der freilich nur mehr von ausländischen Geschäftsleuten offen geäußert werden kann, richtet sich direkt gegen Xi Jinping: Nach Jahrzehnten der pragmatischen Reformpolitik setzt Xi wieder verstärkt auf ideologische Kontrolle.

In die meisten Privatfirmen, auch internationale Konzerne, sind Parteizellen der KP eingezogen, deren Mitglieder in wöchentlichen Sitzungen die Lehre ihres Staatschefs studieren oder Selbstkritik üben. Die meisten öffentlichen Aufträge und günstigen Kredite gehen nur an die bürokratischen Staatsunternehmen. Und darüber hinaus hat Xi ein repressives Gesellschaftsklima geschaffen, in dem unternehmerische Innovation und Kreativität zwar weiter existieren, jedoch gegen immer stärkere Widerstände.

So steht die Jugend des Landes zunehmend ohne Perspektive da. Im Frühjahr hatte die Arbeitslosigkeit der unter 24-Jährigen allein in den Städten erstmals die historische 20-Prozent-Marke durchbrochen. Im Juni stieg der Wert noch mal deutlich auf 21,3 Prozent an. Im August schließlich strömten allein über 11 Millionen Universitätsabsolventen auf den überhitzten Arbeitsmarkt. Wie viele von ihnen bislang ein festes Einkommen gefunden haben, lässt sich nicht mehr seriös beantworten: Das nationale Statistikamt hat im August angekündigt, die Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen bis auf Weiteres zu „suspendieren“, um die „Methodik zu optimieren“.

Chinesisches System ist weit vom Kollaps entfernt

Dabei sind die Risse im System nicht mehr zu übersehen, etwa in den unzähligen Bauruinen, die sich vor allem in den Außenbezirken der Provinzstädte finden lassen. Die anhaltende Immobilienkrise führt dazu, dass derzeit hunderttausend chinesische Familien um die Errichtung ihrer bereits gekauften Apartments bangen müssen.

Trotz aller Negativschlagzeilen ist das chinesische System weit von einem Kollaps entfernt. Aufgrund der schieren Größe des Marktes wird die Volksrepublik zudem auch in Zukunft eine global wichtige Rolle einnehmen. Das Tempo jedoch, mit dem sie sich entwickelt, flacht deutlich schneller ab als zuvor prognostiziert: Die Wirtschaftsberatung Capital Economics mit Sitz in London schätzt, dass sich das chinesische Wachstum bis 2030 bei rund 2 Prozent einpendeln dürfte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.