China und seine Narrative zu Corona: Die Mär von der Nullinfektion
Die Regierung in Peking hat den Anschein erweckt, das Land sei bald frei vom Coronavirus. Doch neue Indizien wecken Zweifel an den Statistiken.
![Mann und Baby je hinter Plastikhauben Mann und Baby je hinter Plastikhauben](https://taz.de/picture/4054024/14/25032835-1.jpeg)
Mehrere Tage lang hat die Nationale Gesundheitskommission keine einzige Neuinfektionen vermeldet, sondern nur einige wenige aus dem Ausland „importierte Fälle“. Doch die werden bei Einreise ohnehin sofort in 14-tägige Quarantäne gesteckt. So entstand der Eindruck, China sei kurz davor, virusfrei zu werden.
Am Sonntag berichtete das relativ kritische chinesische Magazin Caixin, in Wuhan würden weiterhin täglich mehrere asymptomatische Fälle auftauchen: Personen, die zwar positiv auf Covid-19 getestet werden, aber keine Symptome aufweisen. Doch diese werden nicht in Chinas Statistik aufgenommen. Laut Caixin sei aber ein neuer Patient vom Dienstag ein Arzt, der von einem „asymptomatischen Fall“ angesteckt wurde.
„Es macht absolut keinen Sinn für mich, dass eine Person zwar positiv ist, aber nicht gezählt wird, solange sie nicht krank ist“, zitiert die Nachrichtenagentur Bloomberg den Virologen Nigel McMillan von der US-amerikanischen Griffith-Universität. Wissenschaftlich deute alles darauf, dass auch asymptomatische Fälle das Virus weitergeben können.
Positiv Getestete ohne Symptome ansteckend oder nicht?
Die meisten Länder, darunter Südkorea, Japan und Deutschland, zählen alle positiv getesteten Personen in der Statistik. Länder mit unzureichenden Testkapazitäten erfassen meist nur die wirklich schwer Infizierten. Welche Rolle Angesteckte ohne jede Symptome bei der Verbreitung spielen, ist noch weitgehend unerforscht.
Die Hongkonger South China Morning Post berichtete, dass in China ein Drittel aller positiv getesteten Personen entweder keine oder nur stark verzögerte Symptome aufweisen. 43.000 von ihnen sollen bis Ende Februar in Quarantäne gesteckt worden sein.
Diese Information beruht auf gesperrten Regierungsdokumenten und wäre ohne mutige Whistleblower nicht bekannt geworden. In einer Pressekonferenz versuchten Mitarbeiter des Zentrums für Seuchenbekämpfung die Öffentlichkeit zu beruhigen: „Asymptotische Personen werden in China die Infektionen nicht weiterverbreiten“, sagte Wu Zuyou. Diese Personen seien schließlich alle aufgespürt und unter Quarantäne.
Experten bezweifeln aber, dass es der Regierung gelungen ist, sämtliche Fälle ausfindig zu machen. Fest steht: Bis Ende Februar hat China 43.000 positiv getestete Patienten ohne Symptome in Quarantäne gesteckt.
Die drei Phasen der chinesischen Propaganda
Chinas propagandistische Strategie zum Virusausbruch lässt sich in drei Phasen unterteilen: Bis zur dritten Januarwoche, als die Regierung plötzlich die Stadt Wuhan abriegelte, diskreditierte sie alle Medienberichte über die Gefahren des Virus als „Gerüchte“. Dabei wusste Peking bis dato längst, dass jenes neuartige Coronavirus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann.
Den gesamten Februar ging Präsident Xi Jinping in Deckung: Er delegierte alle Verantwortung an lokale Kader aus Wuhan und Hubei.
Mitte Februar schließlich kehrte die Kommunistische Partei ihr Propagandanarrativ um: Sie veröffentlichte rückwirkend eine lange Rede Xis von Anfang Januar, die ihn nun als starken Führer und Krisenmanager der ersten Stunde inszenierte.
Zugleich flachte die Infektionskurve außerhalb der Quarantänegebiete ab, wenig später auch in Hubei und Wuhan.
„Ab Anfang März, als der Ausbruch in China unter Kontrolle gebracht wurde und sich stattdessen in anderen Ländern ausbreitete, wurde Chinas Position viel aggressiver“, sagt Yun Sun vom Washingtoner Stimson Center. Peking versuche demnach gezielt, die Überlegenheit des eigenen Systems durch den „Misserfolg“ der Bekämpfung des Virus in anderen Ländern unter Beweis zu stellen.
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