Corona-Streit zwischen USA und China: Kalter Krieg viral
Vor allem die US-Regierung deutet an, das Coronavirus könne aus einem Labor in Wuhan stammen. Plausibler ist jedoch ein anderer Ursprung.
Sie beschuldigen den jeweils anderen. Bereits vor Wochen hatten chinesische Diplomaten die krude These verbreitet, das Virus könne von US-Soldaten nach China eingeführt worden sein. In Wuhan hatte im Herbst ein militärischer Sportwettbewerb stattgefunden, zu dem auch US-Soldaten eingeflogen waren. Mittlerweile sind Chinas Medien längst von jenem Narrativ abgerückt. In den sozialen Medien hält sich die Theorie jedoch hartnäckig, von den Zensoren weiter geduldet.
In den USA rückt seit Tagen die sogenannte Laborthese wieder in den Fokus. Sie kursiert schon länger im Web in mehreren Versionen. Eine besagt, das Virus stamme aus einem Biowaffenlabor und sei absichtlich oder versehentlich über eine erkrankte Praktikantin an die Öffentlichkeit gelangt. Dagegen spricht unter anderem, dass jenes Biowaffenlabor nahe Wuhan weit außerhalb des Stadtzentrums liegt und damit weit entfernt von jenem Markt, auf dem der erste Infektionsstrang dokumentiert ist.
Auch die Wissenschaft schließt die These weitestgehend aus: Laut einer im Fachmagazin Nature publizierten Studie sei es äußerst unwahrscheinlich, dass Sars-CoV-2 von Menschenhand kreiert wurde. „Wir glauben nicht, dass irgendein laborbasiertes Szenario plausibel ist“, heißt es in dem Bericht.
Alternative Laborthese
Im Fachmagazin Lancet veröffentlichten 27 internationale Wissenschaftler, darunter Christian Drosten von der Berliner Charité, ein Statement: „Wir stehen zusammen dafür ein, jegliche Verschwörungstheorien zu verurteilen, die behaupten, dass Covid-19 keinen natürlichen Ursprung hat.“ Zitierte Analysen des Genoms zeigten deutlich und übereinstimmend, dass das Virus von Wildtieren stamme.
Doch hat die Washington Post interne Dokumente der US-Botschaft in Peking eingesehen, die eine alternative Version der Labortheorie nahelegen. Demnach haben 2018 Washingtoner Diplomaten wiederholt das Wuhan Institut für Virologie besucht, da sie über dortige Sicherheitsstandards besorgt waren. Das Institut operiert unter der höchsten Sicherheitsstufe BSL-4 wie etwa 50 Forschungseinrichtungen weltweit.
Gezielt wiesen US-Wissenschaftsdelegationen auf die dortige Forschung zu Coronaviren an Fledermäusen hin, und dass bei Missachtung der Vorschriften ein sarsähnlicher Erreger entweichen könne. Wie schnell solche Fehler passieren können, weiß Washington aus eigener Erfahrung: 2015 hatte das US-Militär versehentlich lebende Anthraxproben an mehrere Labore im Land sowie eine US-Militärbasis in Südkorea verschifft.
Auch wenn es für die Laborthese keine handfesten Beweise gibt, spielt sie der US-Sender Fox rauf und runter. Als US-Präsident Donald Trump am Mittwoch von einem Journalisten darauf angesprochen wurde, sagte er: „Wir hören die Geschichte immer öfter.“ Seine Regierung untersuche sehr genau, was passiert sei. Außenminister Mike Pompeo forderte, Peking müsse endlich „reinen Tisch machen“.
Wissenschaft nur mit Genehmigung
Peking reagierte empört: Man solle die Frage nach dem Ursprung der Wissenschaft überlassen, sagte Außenamtssprecher Zhano Lijian. Doch den wissenschaftlichen Wahrheitsdrang versucht China genau zu lenken. Diese Woche erließ die Regierung eine Direktive, dass jetzt alle chinesischen Wissenschaftler, die zu dem Virus publizieren wollen, eine staatliche Genehmigung brauchen. Als wahrscheinlich gilt nach wie vor, dass das Virus erstmals im Huanan-Markt in Wuhan auf Menschen übergesprungen ist.
Als Ursprung wird eine Fledermausart vermutet, wobei mehrere Zwischenwirte für das Virus infrage kommen. Einen sogenannten „Patient Zero“ gibt es bisher jedoch nicht. Von daher lässt sich letztlich nicht beweisen, ob der Markt in Wuhan tatsächlich der Ursprung von Sars-CoV-2 ist. Die Tiere und Virusproben hat die Regierung sofort zerstört, ehe unabhängige Virologen diese untersuchen konnten.
Für Peking ist die Debatte unangenehm, weil die ersten Wochen – im Gegensatz zur späteren hocheffizienten Virusbekämpfung – von Vertuschungen und Fehlentscheidungen geprägt war. Aus dem Außenministerium heißt es bis heute, Vertuschungen habe es „niemals“ gegeben. Dabei ist längst bekannt, dass die Behörden Mediziner in Wuhan, die frühzeitig vor einer „neuartigen Lungenseuche“ warnen wollten, zum Schweigen brachten.
Neu ist ein internes Dokument der Nationalen Gesundheitskommission in Peking, über das die Nachrichtenagentur AP kürzlich berichtet hat: Bereits am 14. Januar hatte Kommissionsleiter Ma Xiaowei vor der „schwerwiegendsten Herausforderung seit Sars“ gewarnt. Doch erst knapp eine Woche später bestätigte die Regierung, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden könne.
Auf diese Details stützen sich die vor allem in den USA vorangetriebenen Initiativen, die mit Sammelklagen China für den wirtschaftlichen Schaden aufkommen lassen wollen. Eine ähnliche Kampagne führt die Bild-Zeitung. Chinas Botschaft in Berlin wies dies als „infam“ zurück.
Mitarbeit: Andrew Müller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe