Chaotischer Wahltag in Berlin: Respektlosigkeit vor dem Wähler
Die Landeswahlleitung mag vorerst keine Verantwortung für die Pannen übernehmen. Dabei ist es keine Lappalie, wenn Menschen nicht wählen können.
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M an muss sich schon fragen, wo die Landeswahlleiterin den Wahlsonntag verbracht hat, ob sie überhaupt in Berlin war. Denn es grenzte schon an Realitätsverweigerung, wie Petra Michaelis am Montag in der Pressekonferenz nach der Wahl den Tag zusammenfasste. Die Wartezeiten seien in durchaus üblichem Rahmen gewesen, sagte die Landeswahlleitung, auch wenn sie dass später noch etwas relativierte. Überhaupt schien die Landeswahlleitung am Tag nach der Wahl vor allem eines zu sein: erschreckend fakten- und zahlenbefreit.
Wo die fehlenden Stimmzettel in manchen Wahllokalen eigentlich waren? Die Landeswahlleitung wusste es nicht. Wie viele WahlhelferInnen noch in letzter Minute abgesprungen waren? Auch das müsse man gemeinsam mit den Wahlleitungen in den Bezirken nun in Ruhe prüfen. Ob WählerInnen die Wahl anfechten, weil sie ihre Stimme nicht abgeben konnten? Man arbeite sich jetzt erst mal durch die „zahlreichen Mails“, die eingegangen seien. Ansonsten sei man aber wirklich „gut vorbereitet“ und mit einem „wirklich guten Gefühl“ in den Tag gegangen.
Offensichtliche Pannen
Da kann man sich als WählerIn schon fragen: Meint die Landeswahlleitung das ernst? Es zeugt jedenfalls von einer gewissen Respektlosigkeit gegenüber der demokratischen Willensbildung, wenn die verantwortliche Wahlleitung sich trotz offensichtlich gravierender Pannen erst einmal selbst ein tolles Zeugnis ausstellt – und sich dann noch dermaßen unvorbereitet den Fragen der Öffentlichkeit stellt.
Denn es ist ja durchaus keine Lappalie, wenn Menschen ihre Stimme nicht abgeben können. Selbst wenn die Wahl dadurch juristisch nicht anfechtbar ist, weil die Unregelmäßigkeiten in der Summe zu klein sind: Dass Michaelis dann auch noch die Schuld bei der WählerIn suchte, die einfach zu lange in der Wahlkabine gebraucht habe und deshalb lange Schlangen provozierte – das war schlechter Stil. Die Landeswahlleitung wirkte fast ein wenig beleidigt ob der Kritik an der Wahlorganisation. Ihre Position stelle sie jedenfalls nicht in Frage, sagte sie am Montag. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass das jemand tut.
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