Chaotischer Wahltag in Berlin: Der Wähler ist zu langsam

Laut Landeswahlleitung war die Abstimmung gut vorbereitet – trotz Schlangen und fehlender Stimmzettel. Viele hätten schlicht zu lange gebraucht.

Menschen stehen vor einem Wahllokal Schlange

Eine Schlange für sechs Kreuze: Lange Wartezeiten vorm Wahllokal in Prenzlauer Berg Foto: picture alliance/dpa/Hauke-Christian Dittrich

BERLIN taz | Der Satz der Landeswahlleiterin Petra Michaelis sorgt dann doch für Erstaunen auf der Pressekonferenz am Montag nach dem Wahltag: „Ich denke, dass sich die Wartezeiten durchaus im Rahmen des Üblichen bewegten.“ Auf Nachfrage rudert sie zurück: Bisher sei es bei Wahlen schon üblich gewesen, dass Menschen bis um 18 Uhr das Innere der Wahlkabinen erreicht hätten.

Dem war am Super-Wahlsonntag in Berlin nicht so. Zumindest nicht überall: ReporterInnen berichteten von chaotischen Zuständen vor den Wahllokalen, von teilweise mehrstündigen Wartezeiten und fehlenden oder falschen Stimmzetteln. In der taz-Redaktion meldeten sich im Laufe des Nachmittags immer wieder Menschen, die Ähnliches berichteten. Wann genau die letzte WählerIn am Sonntag ihre Stimme abgeben konnte, blieb unklar am Montag.

Michaelis betonte aber, dass das Bundeswahlrecht „in Kauf nehme“, dass Menschen auch dann noch ihre Stimme abgeben können, wenn bereits die ersten Prognosen und Hochrechnungen laufen. Das sei keine Rechtsgrundlage, auf der man eine Wahl anfechten könne. Es gelte die Regelung: „Wer sich bis 18 Uhr in die Schlange vor ein Wahllokal einreiht, darf wählen.“ So war es am Sonntag auch in Berlin gehandhabt worden.

Die Landeswahlleitung mochte am Montag jedenfalls kein selbstverschuldetes Organisationschaos erkennen. Man sei „gut vorbereitet“ und mit einem „guten Gefühl“ in den Wahltag gegangen. Angesichts der „vielen großen Herausforderungen“, die absehbar gewesen seien – die Vielzahl der Abstimmungen, der am Wahltag stattfindende Marathon, die Hygieneauflagen wegen der Pandemie – hätten die Bezirke zum einen die Zahl der Wahllokale deutlich erhöht. Auch seien mehr HelferInnen im Einsatz gewesen: 34.000 statt der sonst üblichen rund 21.000, sagte Michaelis.

Suche nach WahlhelferInnen

Allerdings vermochte sie nicht zu sagen, wie viele der WahlhelferInnen in letzter Minute noch abgesprungen waren. Der Bezirk Pankow hatte am Samstagabend über den RBB noch den Aufruf gestartet, sich doch bitte spontan als WahlhelferIn zur Verfügung zu stellen, weil sich etliche Freiwillige abgemeldet hätten.

Freia Königer, Wahlhelferin in einem Briefwahllokal in Lichtenrade, berichtete der taz von mangelnder Personalreserve und schlecht eingearbeiteten Zähl-Teams. „Für viele war es der erste Einsatz – wir hatten lediglich eine Online-Schulung bekommen und mussten quasi jeden Prüffall nachlesen.“ Sie selbst sei nachts um halb eins nach Hause gegangen. Einer Wahlhelferin sei von der Wahlleitung ein Bußgeld angedroht worden, als sie um kurz nach 23 Uhr ihren Posten verlassen wollte, um noch einen Zug zu bekommen. „Man hat uns gesagt, dass es einfach keine Reserve gäbe, viele hatten sich wohl abgemeldet.“

Belastbare Zahlen und Gründe für die Missstände werde nun eine „Bestandsanalyse“ in den kommenden Tagen gemeinsam mit den Bezirkswahlleitungen ergeben. Vorher, sagte Michaelis und konterte damit Fragen nach einem möglichen Rücktritt ihrerseits, sehe sie auch keinen Grund, persönliche Konsequenzen nach dem Wahlsonntag zu ziehen.

Petra Michaelis, Wahlleiterin

„Ich hatte darum geben, dass sich die Wählerinnen und Wähler im Vorfeld vertraut machen mit den Stimmzetteln.“

Unklar blieb am Montag auch, warum in einigen Wahllokalen überhaupt Stimmzettel fehlen konnten – und wo sich die fehlenden Stimmzettel befanden. Man habe mit einer Reserve von 10 bis 20 Prozent an zusätzlichen Stimmzetteln pro Wahllokal geplant. Allerdings sei es üblich, so Geert Baasen, Leiter der Geschäftsstelle der Landeswahlleitung, dass die teilweise auch erst im Laufe des Tages in den Wahllokalen ankämen. Möglicherweise hätten die Bezirkswahlämter unterschätzt, dass die Logistik wegen des Marathons eingeschränkt gewesen sei, sagte Michaelis.

Wer aus Sicht der Landeswahlleitung noch Schuld war an den langen Schlangen vor den Wahllokalen: die Wählerin und der Wähler selbst. Teilweise hätten die Menschen sehr lange für die Entscheidungsfindung in der Wahlkabine gebraucht, sei ihr von den Wahlleitungen der Bezirke zugetragen worden, sagte Michaelis. „Deswegen hatte ich darum geben, dass sich die Wählerinnen und Wähler im Vorfeld vertraut machen mit den Stimmzetteln.“ Aber mit dieser Bitte sei sie „offenbar an Grenzen gestoßen“.

Ob die Wahl in Berlin angefochten werden kann und eventuell sogar wiederholt werden muss, sei derzeit ebenfalls noch nicht klar. Man sei dabei, die „zahlreichen Beschwerden“ und eingegangenen Mails durchzuarbeiten, sagte Michaelis. Bisher sei noch nicht bekannt, dass ein Wähler oder eine Wählerin Beschwerde eingelegt hat, weil er oder sie an der Wahl – etwa wegen fehlender oder vertauschter Stimmzettel – gehindert wurde.

Ein Wähler berichtete der taz, er habe im Wahllokal 717 im Wahlbezirk 7 in Pankow keine Erststimme für die Abgeordnetenhauswahl abgeben können. Er sei etwa zwei Stunden dort gewesen, um seine Stimme abgeben zu können – in dieser Zeit hätte es keine Wahlscheine für die DirektkandidatInnen fürs Abgeordnetenhaus gegeben. In dem Wahlkreis gewann die Grüne Julia Schneider mit 30,7 Prozent deutlich vor Sandra Brunner (Linke) mit 20,2 Prozent.

Ein juristischer Grund für eine Wahlanfechtung wären „mandatsrelevante Wahlfehler“, hieß es am Montag seitens der Landeswahlleitung. Sollten sich also Verschiebungen bei den errungenen Mandaten ergeben können, weil Menschen nicht abstimmen konnten, könnte die Wahl angefochten werden.

Dieses eher theoretische Szenario dürfte nur in Bezirken mit sehr knappem Wahlausgang überhaupt relevant werden. Ein Beispiel ist der Wahlbezirk Pankow 3: Hier liegt die Grünen-Direktkandidatin für das Abgeordnetenhaus, Oda Hassepass, 0,1 Prozentpunkte vor dem Zweitplatzierten Klaus Lederer (Linke).

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