Chaos bei der Flüchtlingsunterbringung: Mit Kakerlaken im Baumarkt
In Hamburg häufen sich die Pannen bei der Unterbringung. Wiederholt werden Schutzsuchende in leere, schmutzige Hallen verlegt.
Osama, 25 Jahre alt, geflohen aus dem Bürgerkrieg in Syrien, wurde am Montag aus dem Stadtteilkulturzentrum Hamburghaus zu einem leerstehenden Baumarkt in Hamburg-Eidelstedt gebracht. Dabei sei es im Hamburghaus ganz okay gewesen, sagt er. „Anders als hier, wo wir uns mit 500 Leuten zwei Toiletten teilen mussten.“ Mittlerweile wurden zehn mobile Toiletten auf den Parkplatz gestellt.
Vor ihrer Ankunft hatte sich offenbar niemand dafür zuständig gefühlt, den Baumarkt für eine Unterbringung von Flüchtlingen herzurichten. Noch nicht einmal Betten standen bereit. „Wir mussten auf dem Boden schlafen“, sagt Mohammed aus Syrien. Er holt sein Handy hervor und zeigt Fotos von Kakerlaken. „Die krabbeln dort rum, niemand hat das Gebäude vor unserer Ankunft gereinigt“, sagt er. Bundeswehrsoldaten und ehrenamtliche Helfer versuchten vergeblich, das Chaos in den Griff zu bekommen. Seitens der Stadt kümmerte sich zunächst niemand um die Bewohner.
Die Hamburger Innenbehörde behauptet, die Halle sei besenrein gewesen und bedauert, dass sie nicht ausgestattet war. Im Übrigen verweist sie auf eine Notlage. „Im Moment kann unser Anspruch nur sein, Obdachlosigkeit zu vermeiden“, sagt Behördensprecher Frank Reschreiter. Denn nach 6.700 Flüchtlingen, die allein im August nach Hamburg kamen, sei die Zahl im September noch einmal gestiegen: auf rund 10.000.
Warum die Menschen aus ihrer alten Unterkunft geholt wurden, bevor die neue vorbereitet war, kann der Innenbehörden-Sprecher nicht sagen. Bei bis zu 600 Ankömmlingen am Tag sei es einfach schwer, zu reagieren. „Da läuft nicht immer alles rund“, sagt Reschreiter.
In der vergangenen Woche hatte es einen ähnlichen Vorfall gegeben, bei dem Flüchtlinge in einer leeren Halle in Hamburg-Bergedorf landeten und aus Protest gegen die Zustände in der Unterkunft im Freien kampierten. In der Folge hatten zehn leitende Mitarbeiter des städtischen Trägers Fördern & Wohnen dem rot-grünen Senat vorgeworfen, konzeptlos zu handeln. „Notmaßnahmen, die darin gipfeln, dass alle bisherigen Standards der öffentlichen Unterbringung über Bord geworfen werden, stören den sozialen Frieden in den Unterkünften“, schrieben sie in einem offenen Brief.
Während in Hamburg Fördern & Wohnen fast alle Unterkünfte betreibt, sind in Bremen Wohlfahrtsverbände wie der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und die Innere Mission zuständig. Finanziert und gebaut werden die Einrichtungen von der Stadt Bremen.
Hamburg wird neben dem Roten Kreuz demnächst einen weiteren Wohlfahrtsverband einbinden. Der professionelle Träger für diese Aufgaben sei aber laut Innenbehörde weiter Fördern & Wohnen.
Wegen der vielen Flüchtlinge greift auch Bremen, wo im September 3.300 Flüchtlinge ankamen, zu ungewöhnlichen Maßnahmen. „Wir belegen zunehmend Sporthallen, weil das die einzigen Möglichkeiten sind, die kurzfristig zur Verfügung stehen“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Auch Bremen lebe von der Hand in den Mund, sagt Schneider. Aber: „Wir hatten bisher zumindest immer eine Matratze.“
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