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Cem Özdemir über Angriff auf Erk Acarer„Rote Linie längst überschritten“

Türkische Faschos fühlten sich hierzulande pudelwohl, sagt Cem Özdemir. Für den regimekritischen Journalisten Erk Acarer hätte es noch schlimmer kommen können.

Cem Özdemir hat eine Initiative für ein Verbot der rechtsradikalen Grauen Wölfe gestartet Foto: Michael Trammer/imago
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Herr Özdemir, der regierungskritische türkische Journalist Erk Acarer, der hier im Exil lebt, ist in Berlin angegriffen worden. Was wissen Sie über den Fall?

Cem Özdemir: Ich habe mit ihm, aber auch mit seinem Kollegen Can Dündar gesprochen, der ebenfalls am Fall des „Aussteigers“ und Ex-Mafia-Paten Sedat Peker arbeitet. Der lässt gegenwärtig eine Bombe nach der anderen platzen, die die Verwicklungen Ankaras in Drogen- und Waffenhandel, Auftragsmorde und Zusammenarbeit mit Islamisten dokumentieren. Darin dürfte wohl die Ursache für den Angriff liegen.

Acarer selbst geht von einem Angriff von Anhängern des türkischen Präsidenten Erdogan aus, das LKA ermittelt. Wie schätzen Sie das ein?

Tätlicher Angriff auf Erk Acarer

Nach einem tätlichen Angriff auf den in Berlin im Exil lebenden türkischen Journalisten Erk Acarer ermittelt der Staatsschutz der Polizei. Acarer sei am Mittwochabend im Hinterhof seines Wohnhauses im Bezirk Neukölln von drei Männern attackiert und verletzt worden, erklärte die Polizei in der Hauptstadt am Donnerstag. Das Opfer selbst verdächtigte türkische „Sicherheitskräfte“, Politiker und Journalisten in Deutschland reagierten empört und besorgt.

Laut Polizei war der 48-Jährige nach Aussagen von Augenzeugen im Hof eines Mehrfamilienhauses von drei Männern attackiert worden, wobei zwei Täter ihn schlugen und traten. Der dritte Mann soll währenddessen die Umgebung beobachtet haben. Nachbarn wurden auf das Geschehen aufmerksam und machten sich bemerkbar. Daraufhin flüchteten die Verdächtigen vom Ort des Geschehens.

Das Opfer sei anschließend wegen Kopfverletzungen ambulant im Krankenhaus behandelt worden, teilte die Polizei mit, wobei sie Acarers Namen selbst nicht nannte. Der 48-Jährige vermute, das Motiv für die Attacke sei seine Tätigkeit als Journalist, hieß es seitens der Behörde weiter. Die Ermittlungen liefen und würden von Staatsschützern des Landeskriminalamts geführt.

Erstmal hat Erk Acarer großes Glück gehabt, dass die Täter von ihren Waffen keinen Gebrauch machen konnten. Es hätte noch schlimmer kommen können. Es ist ein Zeichen, dass der Terror des Erdogan-Regimes auch nicht vor Deutschland halt macht.

Was heißt das für den Einfluss von Erdogan in Deutschland?

Türkei-Stämmige schauen, wer in Deutschland mehr zu melden hat, wenn es um ihre Sicherheit und ihre Zukunft geht. Angesichts von Staatsverträgen mit Ditib, Milli Görüs und Co in unterschiedlichen Bundesländern, möglichen Rundfunkbeiratssitzen für Islamisten, Erdogan-TV über Kabel ohne einen einzigen Oppositionssender und einer Kuschelpolitik von Frau Merkel und Herrn Maas gegenüber Ankara kann ich die Angst nur allzu gut nachvollziehen. Die Bundestagswahl ist auch eine Entscheidung darüber, ob Erdogan hier Platz hat oder nicht. Laschet und Scholz stehen für Appeasement. Die Grünen und ich für klare rote Linien, deren Überschreitung Konsequenzen haben muss. Die rote Linie ist seit Langem überschritten.

Was bedeutet das für die türkische Community?

Dieser Akt soll Angst und Schrecken verbreiten unter den Exilanten und allen, die in Opposition zum ultranationalistisch-islamistischen Mafia-Regime in Ankara stehen. Niemand glaubt daran, dass Berlin willens oder in der Lage ist, Ankara adäquat zu antworten. Ich übrigens auch nicht.

Bild: Jürgen Heinrich/imago
Im Interview: Cem Özdemir

Der Grünen-Politiker ist seit Dezember 2021 Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Am Freitag eröffnet der 57-Jährige zum ersten Mal die weltgrößte Agrarmesse „Grüne Woche“ in Berlin.

Was bedeutet das für Sie persönlich?

Ich habe meine Entscheidung getroffen, als ich die Initiative für die Armenienresolution gestartet habe und jüngst für ein Verbot der rechtsradikalen Grauen Wölfe. Es gibt kein Zurück. Meine persönlichen Dinge habe ich geregelt und ansonsten vertraue ich auf Polizei und BKA und darauf, dass immer genug Leute nachwachsen, die sich Ultranationalismus, Fundamentalismus und Mafia entgegenstellen. Ansonsten habe ich natürlich auch Verantwortung für meine Familie und mein Team.

Reicht der Schutz, den die deutschen Sicherheitsbehörden bieten?

Ist die Frage ernst gemeint? Fragen sie doch die Exilanten, was passiert, wenn sie beispielsweise von türkisch-nationalistischen Taxifahrern bedroht werden. Nichts. Die türkischen Faschos hierzulande fühlen sich pudelwohl und sind sich ihrer Sache sehr sicher.

Acarer wurde in der Türkei angeklagt. Welche Rolle spielt er als Journalist?

Es geht um die gefährlichste Enthüllung für Erdogan und sein Bündnis mit der organisierten Kriminalität. Er schreibt all die Dinge, die dort nicht mehr ohne Gefahr für Leben und Sicherheit geschrieben werden können. Ein mutiges Zeichen wäre es, wenn Berlin die Whistleblower hier aufnehmen würde und ihnen die Möglichkeit geben würde, hier auszupacken. Erdogan lässt gerade Jagd auf sie machen.

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11 Kommentare

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  • @KHALED CHAABOUTÉ

    ...wobei mir Russland als "links" zu verorten irgenwie gewagt erscheint; dennoch stelle ich überrascht fest, wieviele Traditionalisten hier und da unterwegs sind, die irgendwo 1918 steckengeblieben sind :)

    (Ich meine nicht Sie, aber Ihre Aneinanderreihung hat das jedenfalls evoziert).

    • @tomás zerolo:

      Für die Transatlantiker, von denen diese Feindbildverortung ausgeht, ist Russland genau so links einzuordnen wie die Sowjetunion, egal ob politisch Bewanderte diese Einteilung auch teilen.

      • 8G
        83379 (Profil gelöscht)
        @Khaled Chaabouté:

        Russland ist rechts, wobei links und rechts mir persönlich echt so egal sind, Feind ist wer keine Demokratie ist.

  • Tja, so kommt es halt, wenn der Feind stets links steht und die Schurkenstaaten stets nur Russland, China, Belarus oder Venezuela heißen...

  • Bei der Kundgebung zum Jahrestag der Ermordung von Celalettin Kesim wurde die Zusammenarbeit von NPD und Grauen Wölfen thematisiert. Ob der VS das mitgeschnitten hat?

  • Der Journalist Acarer forscht wie Can Dündar über den Mafia-Paten Sedat Peker. Beide leben gefährlich. Erk Acarer wurde vor kurzem in Berlin angegriffen. Ein Beispiel für Pekers militanten Nationalismus ist seine Rede, die er auf facebook nach dem Militärputsch am 17. Juli 2016 gepostet hat: „Die einfachen Soldaten sind unsere Brüder, aber ihre Generäle sind Vertreter, sie sind Ungläubige, sie haben dieses Land an die USA und Israel verraten. Sie sind die Hunde der USA und von Israel. Wir werden dieses Land nicht den Zionisten überlassen.Wir werden eine neue türkisch-islamische Welt schaffen. Wir werden mit der türkischen Nation der gesamten islamischen Welt vorstehen. Wir werden mit allen Türken zusammen an das Tor an der Chinesischen Mauer klopfen. Unter der Führung des Korans werden wir die türkisch-islamische Führung ausbauen und den Staat Turan gründen.“ Das ist militanter Nationalismus und islamischer Fundamentalismus in einem.

    Bezüglich des Journalisten Erk Acarer, der von drei Männern in einem Berliner Hinterhof verletzt wurde, bleibt festzuhalten, dass Erdogans langer Arm auch im Ausland keine Anstalten scheut, Systemkritiker einzuschüchtern und zu verfolgen. Erst vor kurzem wurde der Schuldirektor Orhan Inandi vom türkischen Geheimdienst in Kirgisien entführt und in die Türkei verbracht - ihm wird von der türkischen Regierung Nähe zur Gülen-Bewegung vorgeworfen. Diese Gesetzlosigkeit der Erdogan-Regierung hat Methode – über 100 „Gülenisten“ wurden aus etwa 30 Ländern zwangsweise in die Türkei entführt.

    Christian Schauer, Alzenau

  • Faşizme karşı omuz omuza!

  • Der verlinkte Artikel zum Angriff taz.de/Angriff-auf...n-Berlin/!5520277/ ist vom 30.07.2018, in diesem Artikel wird dies mit keinem Wort erwähnt, jedoch Bezug zum jetzt Ex-Mafia-Boss Sedat Peker genommen. Wann ist der Angriff, der in beiden Artikeln gleich geschildert wird, denn nun geschehen?

  • Größte rechtsextreme Bewegung in Deutschland, die Grauen Wölfe...

    www.deutschlandfun...:article_id=492759

  • "Die türkischen Faschos hierzulande fühlen sich pudelwohl"

    Ja, das ist entsetzlich. Aber... nur die türkischen?

    Wenn "Antifaschist*in" schon fast als "Staatsfeind" gehandelt wird?

    • @tomás zerolo:

      Da haben Sie Recht. Faschisten werden bei uns scheinbar egal welcher Coleur mit Samthandschuhen angepackt.



      Das ist schon traurig...