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Castorf-Interview im „Spiegel“Kammerspiel für einen Regisseur

Theaterregisseur Frank Castorf will sich nicht die Hände waschen und ruft daher zur Revolution auf. Dabei hat er nur das Stück nicht verstanden.

Mag plötzlich sogar Trump, weil der „aus der Reihe tanzt“: Frank Castorf Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Eingesperrt in zu enge Segmente, mit der Außenwelt über Monitore kommunizierend, produzieren wir als Event getarnte Eintönigkeit. Ohne verbindliche Textvorlage improvisieren wir uns durch überlange Abende. Leben wie immer in einer Castorf-Inszenierung.

Frank Castorf aber ist unzufrieden. Selber wie ein disparater Schauspieler unter fremder Regie ratlos am Bühnenrand brabbelnd, gibt er seine Hilflosigkeit zu Protokoll. Hinter einer Bezahlschranke weggeschlossen, erschien am Dienstagmorgen beim Spiegel ein Interview, in dem der Regisseur sich ideell zu den Aluhüten und Rechtsradikalen gesellt, die vor seiner früheren Spielstätte, der Volksbühne in Berlin, gegen irgendwie alles demonstrieren.

Gegen Hygienevorschriften, gegen Abstandsgebot, gegen Virologen und besonders gegen Angela Merkel, von der Frank Castorf sich nicht sagen lassen will, dass er sich die Hände waschen müsse. Der trotzige Ton ist kein Versehen, ein kindlicher, fast anrührender Versuch der Provokation, bei dem der erfahrene Regisseur jedoch nicht zu bemerken scheint, welch überhöhte Rolle er der Kanzlerin zuweist.

Das bisweilen peinliche Wohlbehagen liberalerer Linker beim Anblick der unaufgeregten Naturwissenschaftlerin im Kanzlerinnenamt ist nichts gegen die bizarre Figur der verhassten Übermutter, die ihre Kritiker*innen projizieren. Das ist doch was Spannendes, Ödipales bestimmt. Könnte sich ja mal ein Theatermacher der Sache annehmen – aber nein, der quatscht lieber davon, wie schwer es für ihn war, ein Fläschchen Desinfektionsmittel zu kaufen.

„Aus der Reihe tanzen“

Und wo Castorf schon einmal am Reden ist, darf er noch wie immer erzählen, dass die DDR schlimm war und es außerdem eine namenlose „Krankheit“, einen „Wahn“ gibt, der „uns“ bis nach Stalingrad geführt hätte. Castorf mag außerdem Trump, „weil der aus der Reihe tanzt“.

Dass Politik eine Inszenierung ist, mag da herausklingen, wenn man dieses kleine Kammerstück für einen Journalisten und einen Regisseur wohlwollend interpretieren will. Obendrauf gibt’s noch die Kalenderweisheit, dass der Tod zum Leben gehört. Castorf hat keine Angst davor und ruft deshalb zum „republikanischen Widerstand“ auf. Damit er sich wieder nach einem Suppenhuhn über die Fleischtheke beugen darf.

Verbeugung. Vorhang. Keine Pointe. Wie immer.

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26 Kommentare

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  • Habe das Castorf Interview gelesen. Es wirkt trotzig, mackerhaft "spätpubertär"

    Sein Anti Corona Model wäre wohl das von Schweden.

    Die Schweden erkennen aber so langsam ihr Desaster und rudern zurück.

  • Die Corona Krise verzerrt einiges zur (manche) überraschenden Kenntlichkeit. Ein Theatermensch der sich exponiert, wird Kritik aushalten können, auch den Hinweis, dass kindische Reflexe nicht immer davon zeugen jung geblieben zu sein. Gut geschriebener Kommentar Herr Kretschmar, danke!

  • Was soll das sein? Jemanden öffentlich zur Sau machen, nur weil die Person ein Problem mit der Corona-Propaganda hat? Eingangs dem Leser schonmal klarmachen, dass es sich um einen durchgeknallten Nazi mit Aluhut handelt, dann durch den Hinweis auf die "Bezahlschranke" nochmals Missgunst erhöhen (da kann Herr Castorf sicher nichts dafür) und dann straight durch den Kakao ziehen, ohne auf seine Punkte einzugehen. Natürlich hat Castorf seine etwas anstrengende und kindlich trotzige Art und seine Inszenierungen sind teils uneträglich lang, so what, das wäre doch nichts neues, worüber man schreiben müsste. Also was soll dieser Text?

    • @domsk:

      Ich sach's mal so: Die „neue Normalität“ bringt eben auch ein ganz „neues Niveau“ mit sich. Als ob die Zeiten nicht schon bescheiden genug wären. (;-))

  • Wie ein kleines Kind, das Kacka macht und sich danach nicht die Hände waschen will.

    Wie verrückt das alles geworden ist. Auf der einen Seite Leute wie Palmer, die im schneller werdenden Takt herausposaunen, wessen Leben lebenswert ist und wessen nicht.

    Auf der anderen Seite Leute wie Castorf, den man auf seiner Reise zu den Spinnern, die vor seiner einstigen Wirkungsstätte demonstrieren, beobachten kann.

    • @Jim Hawkins:

      Haben Sie das Interview mit ihm gelesen?

      • @OSCILLATEWILDLY:

        Aufgrund der Zahlschranke, nein.

        Aber die Zitate in diesem Artikel und auch in anderen sprechen für sich.

        Haben Sie es denn gelesen?

        • @Jim Hawkins:

          Nein. Aber ich habe mich auch nicht über Herrn Castorf lustig gemacht bzw. über ihn geurteilt.

  • Noch viel zu milde. Da ist keine Hilflosigkeit sondern Hybris. Da ist auch nichts anrührendes, dafür aber ganz viel Lächerlichkeit. Schon der Versuch zu provozieren wäre sehr unerwachsen und sehr unempathisch angesichts der tatsächlichen Probleme. Castorf meint das alles wahrscheinlich aber völlig ernst. Was er wahrscheinlich wirklich überhaupt nicht merkt, ist, dass er Selbstentmündigung betreibt, indem eine überhaupt nicht stattfindende Entmündigung völlig überhöht. Dass er Wahn behauptet, während das einzig wahnhafte aber seine eigenen Ohnmachtsgefühle sind. Das ist grotesk unerwachsen. Wenn ein Castorf dann auch noch glaubt einem Trump sein "aus der Reihe tanzen" zugute halten zu müssen, so deutet dies darauf hin, dass Castorf längst überhaupt nicht mehr zur Konstruktion sondern hlchstens noch zur Dekonstruktion fähig ist. Castirf hat sich hier aber nur selber dekonstruiert, er hat sich auch nicht nur politisch und persönlich unmöglich gemacht, sindern auch künstlerisch leer und nutzlos. Was wir Castorf verdanken ist immerhin, dass so macher Linke sich vielleicht doch mal überlegt, wofür er stehen möchte. Ob er seinen pubertären, antiautoritären Reflexen nachgeben will wie ein Castorf? Ob er in jedem Demonstrationsverbot gleich einen Staatsstreich sehen muss? Warum sich neuerdings Teile der Linken wie FDP- oder AFD- Wähler anhören und überall gleich Freiheit und Demokratie in Gefahr wähnen wollen? Und natürlich auch, inwieweit das eigene Denken und Handeln wirklich noch dem Gedanken der Solidarität mit den Schwächeren folgt.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Hätte es nicht besser ausdrücken können. Danke.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Volle Zustimmung.

  • Ein auf eine Art sehr überheblicher Kommentar, der diejenigen Menschen, die den Umgang mit diesem 'Virus', von dem tatsächlich nach wie vor nichts richtig bekannt ist, in Frage stellen oder ablehnen, in die Ecke der Aluhüte (was gibt es gegen die einzuwenden?) und Rechtsradikalen stellt. Ich bin vieles. Aber nicht rechtsradikal. Dieses Vorgehen gegen Kritiker wird immer problematischer meiner Ansicht nach.

    • @OSCILLATEWILDLY:

      Geht mir ähnlich. Ich finde es beklemmend, wie sehr die Medien auf Linie sind und nur das eine Narrativ zulassen, und auch die sonst ach so wachen und kritischen Geister auf einmal abweichende/kritisch hinterfragende Stimmen -und zwar nicht von "Spinnern" sondern von erfahrenen Medizinern, Virologen, Psychologen, Soziologen - als rechtsradikales Verschwörungsgeschwurbel abtun.

      • @domsk:

        Ja. Das alles ist sehr beklemmend.

      • @domsk:

        Sie müssen sich einfach ein bisschen in Geduld üben.

        Jeden Tag prescht doch schon ein anderer vor.

        Schäuble, Merz, Palmer. Noch ist das nicht der Konsens, aber es eine Position, die nicht als abartig oder faschistisch gilt.

        Man kann ganz einfach sagen, dieses Leben ist mehr wert als dieses.

        Dafür kommt man nicht ins Gefängnis. Das müsste Sie doch froh stimmen. Wenn sich noch mehr prominente Stimmen in der Richtung melden, haben Sie zwar noch nicht die Hegemonie, aber doch eine kraftvolle Position.

        Und das mit einer Thematik, die es so seit dem Nationalsozialismus nicht mehr gegeben hat.

        Aber: Stecken die Leute sieben Wochen in ihrer Bude fest, kommen sie eben auf gute, alte Gedanken.

    • @OSCILLATEWILDLY:

      Erst einmal ist es so nicht ganz richtig, dass über den Virus nichts richtig bekannt ist. Man weiss von Tag zu Tag mehr, natürlich noch längst nicht genug, zum Beispiel um ein effizientes Medikament zur Behandlung zu entwickeln. Aber man weiß, dass Händewaschen sehr viel Sinn macht. Ich fände es ohnehin bedenklich, wenn sich jemand grundsätzlich aus Trotz nicht die Hände wäscht, das hört sich nach Kleinkind an. Selbst die verstehen den Sinn.



      Zweitens ist bei einigen Linken (und ich würde mich selbst als ziemlich links-politisch bezeichnen) eine starke Überschneitung mit Rechtsradikalen zu beobachten. Protest, Kritik ist alles richtig und demokratisch, aber wenn schon die Linke nicht mehr solidarisch sein möchte (in diesem Fall geht es um die Vermeidung vieler Toter, Schwerkranker, vermutlich sogar lebenslang an Folgeschäden Leidender), wer wird es dann noch sein? Ich finde das Pochen auf rein individueller Freiheit ("schreibt mir doch keiner das Händewaschen vor") unglaublich egozentrisch.

      • @Michaela Schonhöft:

        es gibt eben rinks und lechts dumme und arrogante Typen!

    • @OSCILLATEWILDLY:

      Das kann man nicht losgelöst von der Qualität der Kritik an den Maßnahmen pauschalisieren. Die von Castorf war erbärmlich.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    ein rebell ohne grund.



    wenn rebellen bessere menschen wären, würde die grundlosigkeit schon etwas stören. aber so isses egal.

  • Wenn alte Männer sich wie pubertierende Kinder verhalten, um ein bisschen Aufmerksamkeit zu erhaschen, kommt das dabei raus. Von Castor stammt passenderweise auch der Film "Der Idiot".

    Und nein, Herr Castorf: Hass, Volksverhetzung und Rassismus ist nicht "aus der Reihe tanzen"!

    • @tazzy:

      "Der Idiot" ist ein Roman von Fjodor Dostojewski. Castorf hat ihn für das Theater inszeniert. Sie sollten das Buch mal lesen.

      • @OSCILLATEWILDLY:

        ...und dabei auch bitte lernen, dass der "Idiot" bei Dostojewski nicht im entferntesten das ist, was Sie offenbar unter einem Idioten verstehen.

  • Schlimm! All diese verschiedenen Meinungen. Und jeder darf über alles reden. Muss mal gesagt werden. Mögen wir gar nicht. Jetzt bleiben wir aber wieder ganz bei der Wissenschaft.

  • Ich finde es schon deprimierend, dass all diese alten weissen Knacker dann doch irgendwann bei den Aluhüten landen. Trump tanzt aus der Reihe, na super...

  • Also macht Merkel alles richtig.

  • Ein wenig mehr Nachdenklichkeit statt kindlichem Trotz hätte ich schon von ihm erwartet. Schade, schon wieder einer, der sich selbst klein macht.