CDU nach der Wahl: Merz und die Scheinriesen
Die CDU steht in Sachsen und Thüringen vor schwierigen Koalitionsverhandlungen, die an den Kern ihrer Identität gehen könnten.
Doch dann ist er schnell bei der Bundesregierung, die schuld an der Misere sei. Die Ampelregierung: „ein totales Fiasko“. Das zentrale Problem: „der Zuwanderungsdruck“. Notwendig seien Zurückweisung von Geflüchteten an der deutschen Grenze. Auch Kretschmer, der danach spricht, ist fix bei seiner Forderung nach einer Obergrenze von 30.000 Geflüchteten jährlich. Selbstkritisches mit Blick auf die hohen Ergebnisse der AfD? Fehlanzeige.
Doch anders, als Merz suggeriert: Der klassische Wahlsieger ist die CDU nicht, auch wenn sie künftig möglicherweise nicht nur in Sachsen, sondern auch in Thüringen den Ministerpräsidenten stellen wird und in beiden Ländern in etwa ihr Wahlergebnis von vor fünf Jahren halten konnte.
Wahlsieger sind die Populisten. Die rechtsextreme AfD, die in Thüringen deutlich vor und in Sachsen nur knapp hinter der CDU liegt. Und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das aus dem Stand zweistellig – und zum Schlüsselfaktor bei der Koalitionsbildung in beiden Bundesländern geworden ist.
Die CDU ist eher eine Art Scheinriese, der nicht unbedingt aus Überzeugung gewählt worden ist. Sein Erfolg hängt zu einem gehörigen Teil davon ab, dass die Wähler*innen einen zu großen Einfluss der AfD verhindern wollten. Das jedenfalls hat etwas mehr als die Hälfte von ihnen als Grund für die eigene Entscheidung in Nachwahlbefragungen so angegeben.
Weniger Kompetenz zugetraut
Auch die Kompetenzzuschreibungen für die Christdemokrat*innen haben im Vergleich zu vor fünf Jahren auch in Schlüsselbereichen wie Wirtschaft und Sicherheit abgenommen; beim Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik liegt die AfD laut Infratest dimap sogar deutlich vor der CDU. Was durchaus Anlass für selbstkritisches Nachdenken sein könnte.
Besonders Kretschmer hat im Wahlkampf darauf gesetzt, die Wahl rechts der Mitte zu gewinnen – dazu hat er scharf gegen die Ampel und vor allem die Grünen polemisiert und drastische Verschärfungen in der Migrationspolitik gefordert, die sich im Sound mitunter kaum von der AfD unterschieden. Hinzu kamen seine Forderungen nach Friedensverhandlungen mit Russland und Kürzungen bei den Waffenlieferungen an die Ukraine.
Funktioniert hat das nicht. Die CDU, das zeigen Wählerwanderungen, hat Zehntausende Wähler*innen an AfD und BSW verloren, gerettet haben Kretschmer die Stimmen von ehemaligen Grünen-, SPD- und Linken-Wähler*innen, auch konnte er einen Teil derer mobilisieren, die beim letzten Mal nicht zur Wahl gegangen sind.
Eine der Folgen: In Sachsen hat die Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen keine Mehrheit mehr. Zwar wollte Kretschmer die Koalition mit den Grünen ohnehin nicht fortsetzen, wie er im Wahlkampf nicht müde wurde zu betonen, aber möglicherweise wird er sie irgendwann vermissen.
Denn stattdessen ist er jetzt – wie auch sein Kollege Voigt in Thüringen – von Sahra Wagenknecht abhängig, die schon vor der Wahl Forderungen für eine Zusammenarbeit formuliert hat, über die zwar nicht in den Landtagen in Dresden oder Erfurt entschieden wird, die aber an den Kern der CDU-Identität gehen: die Westbindung Deutschlands.
Die CDU steht nun in beiden Ländern vor sehr schwierigen Verhandlungen. Dass für sie eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen ist, betonen Kretschmer und Voigt im Konrad-Adenauer-Haus noch einmal.
Beide machen auch klar, dass sie die neuen Regierungen anführen wollen. Aber wie es zu diesen kommen soll – da werden sie schmallippig. „Das wird nicht leicht, das geht nicht schnell“, sagt Kretschmer. „Wir werden ausloten, welche Lösungen unter den schwierigen Rahmenbedingungen möglich sind“, sagt Voigt. Beide wollen „Gespräche führen“, zunächst mit der SPD, dann mit dem BSW.
Eine Stimme fehlt
In Sachsen läuft es – zumindest rein rechnerisch – auf ein Bündnis mit BSW und SPD hinaus. In Thüringen ist die Lage noch komplizierter, dort reicht ein solches Dreierbündnis nicht einmal mehr aus: Einer Koalition aus CDU, BSW und SPD fehlt im neuen Landtag eine Stimme zur Mehrheit.
Die kann eigentlich nur von der Linken kommen. Nur gibt es da diesen Unvereinbarkeitsbeschluss, den die CDU 2018 auf ihrem Bundesparteitag verabschiedet hat – für die AfD, aber eben auch für die Linkspartei. Die Thüringer CDU-Fraktion hat den zweiten Teil allerdings bereits großzügig umgangen, als sie jahrelang die rot-rot-grüne Minderheitskoalition von Ministerpräsident Bodo Ramelow toleriert hat, auch wenn das so nicht heißen durfte. „Der Beschluss gilt“, sagt Merz. Damit umzugehen sei Aufgabe der Landesverbände. Was sich so anhört, als hätte Voigt in Thüringen weiterhin eine gewisse Beinfreiheit.
Aber zunächst müssen der Thüringer und der Sachse sich erst einmal mit dem BSW einig werden. Dabei will Namensgeberin Sahra Wagenknecht vielleicht gar nicht regieren, weil es sich aus der Opposition heraus besser Bundestagswahlkampf machen lässt. Sie hat Forderungen formuliert, die die zentralen Werte der CDU in Frage stellen.
Sie will Friedensverhandlungen mit Russland. Und keine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland. Auch von der Nato hält Wagenknecht bekanntlich nicht viel. „Eine Zusammenarbeit bedeutet nicht, dass man die eigenen Überzeugungen aufgibt“, sagt Kretschmer dazu auf Nachfrage. Wie diese unterschiedlichen Überzeugungen in einer Koalition ganz praktisch gelöst werden könnten, dazu sagt er nichts. Ohnehin ist ihm und auch Voigt eine gewisse Ratlosigkeit anzumerken.
Für die CDU birgt die Zusammenarbeit mit BSW und Linken eine gewaltige Sprengkraft. Während manche, wie der ehemalige Generalsekretär Mario Czaja, nun fordern, den Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken aufzuheben, schreibt etwa der frühere Geschäftsführer der Mittelstandvereinigung Thorsten Alsleben, der eng mit Czajas Nachfolger Carsten Linnemann verdrahtet ist, auf X: „Eine Koalition der CDU-Thüringen mit zwei SED-Erben- und Pro-Putin-Parteien wäre absoluter Irrsinn, parteischädigend für die Bundes-CDU. Dieses Opfer ist Thüringen nicht wert.“ Der CDU stehen aufreibende Auseinandersetzungen bevor.
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