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Bundesweite WarnstreiksWann die Räder stillstehen

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Wenn die mächtigen Gewerkschaften im Verkehr streiken, ist das Land blockiert. Beschäftigte in anderen Branchen werden dagegen leider kaum wahrgenommen.

Warnstreik von Verdi bei den Verkehrsbetrieben in Essen am 2. Februar Foto: Markus Matzel/imago

A uch nach mehr als 160 Jahren scheint die alte Zeile aus Georg Herweghs „Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ nichts von ihrer Aktualität verloren zu haben: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.“

Erst zwei mehrtägige Streiks bei der Deutschen Bahn, dann die beiden jeweils eintägigen Arbeitsniederlegungen an den Flughäfen und im ÖPNV: Eindrucksvoll haben GDL und Verdi seit Jahresanfang de­mons­triert, wie machtvoll Gewerkschaften immer noch sein können. Steht Deutschland vor einer Renaissance des Arbeitskampfes?

Tatsache ist, dass sich die Gewerkschaften kämpferischer geben als noch vor ein paar Jahren. Das ist allerdings auch dringend erforderlich. Angesichts der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten ist der Leidensdruck vieler Beschäftigter hoch, während die Bereitschaft der Arbeitgeberseite, ihnen wenigstens Reallohnverluste zu ersparen, gering ist. Hinzu kommt vielfach noch die Ignoranz der Arbeitgeber gegenüber als unzumutbar empfundenen Arbeitsbedingungen. Das lässt zumindest Warnstreiks in vielen Fällen unvermeidbar erscheinen.

Das ist das eine. Das andere ist, dass die Macht der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren nicht größer, sondern kleiner geworden ist. Auch wenn sich der DGB vor allem dank der Verdi-Zuwächse erstmals 2023 wieder über ein kleines Mitgliederplus freuen konnte, sollte das nicht vernebeln, dass insgesamt die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken ist. Und das bei insgesamt steigenden Beschäftigtenzahlen.

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Zudem arbeiten nur noch 51 Prozent der Beschäftigten in einem tarifgebundenen Unternehmen. So täuschen öffentlichkeitswirksame Streiks wie die im Verkehrssektor darüber hinweg, dass mehr als 80 Prozent der Beschäftigten noch nie in ihrem Berufsleben an einem Streik teilgenommen haben.

Ob in der Druck- oder der chemischen Industrie, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Systemgastronomie oder im Dachdeckerhandwerk: In diesem Jahr stehen unzählige Tarifauseinandersetzungen an. Von Ausnahmen wie der Metall- und Elektroindustrie oder Volkswagen abgesehen, dürften nur wenige von einer breiten Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen werden – selbst wenn es hier und da zu Warnstreiks kommen sollte.

Ein Beispiel dafür ist die festgefahrene Tarifrunde im Einzelhandel, wo es seit Mitte vergangenen Jahres keinerlei Bewegung gibt. Die Arbeitgeber haben einfach auf stur geschaltet, weil Verdi zwar immer wieder zu Warnstreiks aufruft, der Gewerkschaft jedoch die Macht fehlt, die Supermärkte dichtzumachen. Bei zu schwachen Armen stehen die Räder nicht still. Das gilt leider für viele Branchen.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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6 Kommentare

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  • Es bleibt den Beschäftigten frei sich zu organisieren um stärker zu werden und Forderungen durchzusetzen. Ansonsten ist der Arbeitsmarkt gerade günstig für Arbeitnehmer, also einfach mal umsehen, wo es etwas besseres gibt.

  • Lösung: Die starken Gewerkschaften solidarisieren sich mit den weniger lautstarken, aber genau so wichtigen Teilen der Gesellschaft.



    Politischer Streik ist in Dland verboten?!

  • Bei Streiks im ÖPNV wäre ich ohne Auto aufgeschmissen. Wie sollten die Kinder zur Kita kommen, wie ich zur Arbeit, 25 km laufen oder mit dem Fahrrad ist keine Option. Bei der derzeitigen Struktur und Taktung des ÖPNV im ländlichen Raum gibt es auch ohne Streiks zum Auto derzeit keine vernünftige Alternative wenn man nicht ewig zur Arbeit unterwegs sein will.

  • Die öffentliche Reichweite eines Streikes dürfte doch eher untergeordnete Bedeutung haben. Viel gewichtiger ist die Frage finanzieller Folgen eines Streikes für den Arbeitgeber. Schließen beispielsweise Kitas, dann tritt dies zwar die Eltern, für den Arbeitgeber ist das jedoch allenfalls lästig.

    • @DiMa:

      Ich hatte mal gelesen, dass in Japan bei Streiks einfach keine Fahrkarten mehr verkauft werden, die Busse aber fahren. Das würde die AG treffen.



      Wobei es so ist, dass der ÖD immer indirekt streikt. Wenn die Kitas dicht sind, beschweren sich die Eltern, das übt Druck auf die AG aus.



      In der freien Wirtschaft ist das dann anders.

      • @Kartöfellchen:

        Bei wem sollten sich den die Eltern der Kitas beschweren? Dem Träger sind Elternbeschwerden vollkommen egal, dem Bezirksstadtrat ebenso und alle anderen fühlen sich nicht zuständig. Nach Corona & Co ist man eher damit beschäftigt, den Arbeitsalltag neben den Kindern zu managen.