Bundeswehreinsatz im Innern: Dein Freund und Helfer in Flecktarn
Noch gilt der Bundeswehreinsatz im Innern als Tabu. Doch die Union möchte, anders als die SPD, bald den Ernstfall proben lassen.
Was genau die Sicherheitskräfte proben werden, ist erst teilweise bekannt. Als erste Stufe ist eine Übung der Stabsstellen geplant: Polizei und Bundeswehr trainieren auf der Führungsebene, welche Alarmierungsketten im Ernstfall greifen müssten. In einer zweiten Stufe sollen später auch Soldaten zu einer sogenannten Vollübung ausrücken. Laut Berliner Morgenpost ist geplant, dass eine Feldjägerhundertschaft Gebäude und Straßen absichert.
Ein Plan, der innerhalb der Koalition noch für Ärger sorgen könnte: Während die Union die Inlandseinsätze vorantreibt, hat die SPD Vorbehalte. „Wenn die Beteiligten die hohen Hürden der Verfassung für Inlandseinsätze wahren, ist gegen Übungen nichts einzuwenden“, sagt der SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold. „Wenn die Union versuchen sollte, die Hürden zu senken und Inlandseinsätze zur Routine zu machen, wäre das für uns aber nicht akzeptabel.“
Die Hürden, von denen Arnold spricht, verteilen sich über zwei Grundgesetzartikel und zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Für verschiedene Szenarien machen sie ganz unterschiedliche Vorgaben.
Der einfachste Fall ist die technische Amtshilfe. Dass Soldaten zum Beispiel bei Hochwasser Sandsäcke schleppen, ist schon lange Praxis und weitestgehend unumstritten. Gewalt dürfen die Soldaten in solchen Einsätzen nicht anwenden. Kämpfen dürfen sie dagegen in Einsätzen nach Artikel 87a. Danach darf die Regierung die Bundeswehr „bei der Bekämpfung militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen“. Damit der Artikel greift, muss aber der Bestand des Landes in Gefahr sein – einzelne Terroranschläge reichen nicht aus.
Autos kontrollieren und Pistole ziehen
Bleiben noch die Absätze 2 und 3 des Artikels 35, um die es bei den geplanten Übungen voraussichtlich geht. Ihnen zufolge dürfen Soldaten die Polizei bei „einem besonders schweren Unglücksfall“ unterstützen – nicht nur technisch, sondern auch als eine Art Hilfspolizei mit sogenannten hoheitlichen Befugnissen. Also Tätigkeiten, die eigentlich der Polizei vorbehalten sind. Die Bundeswehr könnte nach dem Urteil des Verfassungsgerichts von 2006 „beispielsweise gefährdete Grundstücke absperren und Verkehrsregelungen treffen“. Kann heißen: Autos kontrollieren und die Pistole ziehen, wenn sich ein Fahrer widersetzt.
Art. 35 Abs. 1: Die Bundeswehr leistet Amtshilfe – bei Hochwasser schleppen Soldaten zum Beispiel Sandsäcke.
Art. 35 Abs. 2: Bei einem „besonders schweren Unglücksfall“ kann ein Bundesland die Bundeswehr anfordern. Die Soldaten dürfen Aufgaben der Polizei übernehmen.
Art. 35 Abs. 3: Betrifft das Unglück mehrere Länder, kann auch die Bundesregierung den Einsatz beschließen.
Art. 87a Abs. 4: Bei „Gefahr für den Bestand“ von Bund oder Ländern darf die Bundeswehr gegen „militärisch bewaffnete Aufständische“ kämpfen.
Dem Urteil zufolge sind solche Einsätze grundsätzlich auch nach Terroranschlägen erlaubt. Als „schwerer Unglücksfall“ gelten demnach gravierende Flugzeugunglücke oder Schäden an Atomkraftwerken. Militärische Waffen dürfe die Bundeswehr in diesen Fällen aber nicht anwenden. Der Schützenpanzer bliebe also in der Kaserne.
Eine Einschränkung, die die Union lange beseitigen wollte. Als Innenminister schaffte es Wolfgang Schäuble 2008 sogar, dass die SPD im Koalitionsausschuss einer entsprechenden Grundgesetzänderung zustimmte. Diese Verständigung des schwarz-roten Führungspersonals sorgte aber für eine kleine Palastrevolution in der SPD: Die Bundestagsfraktion stellte sich quer. Damit schien das Thema vom Tisch.
Bis im Juli 2012 das Verfassungsgericht den Fans eines Einsatzes im Innern eine neue Chance eröffnete. Mit einer Neuinterpretation des Grundgesetzes korrigierten die Richter einen wichtigen Punkt ihrer bisherigen Rechtsprechung: Für Artikel 35 müsse ein Unfall oder Anschlag zwar „katastrophische Dimensionen“ annehmen. Der Einsatz militärischer Waffen wäre dann aber nicht mehr grundsätzlich verboten.
Wie verheerend ist das Szenario
Ins neue Weißbuch der Bundesregierung zur Zukunft der Bundeswehr schrieb die Union mit Zustimmung der SPD-Ministerien, Inlandseinsätze mit hoheitlichen Aufgaben kämen „auch bei terroristischen Großlagen in Betracht“. Solche Einsätze müssten Polizei und Streitkräfte „im Rahmen von Übungen“ vorbereiten. Genau das passiert jetzt. Zwei Fragen sind dabei besonders spannend: Werden die Soldaten mit militärischen Waffen ausrücken? Und wie verheerend ist das Szenario, für das sie üben werden? Anders gefragt: Wie katastrophal müssen die Folgen eines Anschlags sein, damit die Bundeswehr eingreifen darf?
„Ich kann mir wenige Szenarien vorstellen, die der Definition des Verfassungsgerichts gerecht werden“, sagt die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic.
Der SPD-Abgeordnete Arnold legt die Latte nur etwas tiefer: „Ein Indikator ist, dass die Polizei sichtbar und nachweislich mit der Lage überfordert ist. Ich denke eher an den 11. September und keinesfalls an den Amoklauf in München“, sagt er.
Allgemeiner bleibt Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg. „Eine solche Situation könnte zum Beispiel sein: eine großflächige, lang andauernde, sogar länderübergreifende Terrorlage mit zeitgleich stattfindenden Terroranschlägen“, sagt er.
Die Hürde für einen Bundeswehreinsatz im Innern liegt also noch immer hoch. Sie lag aber auch schon mal höher.
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