Bundestagsdebatte zum Paragraf §219a: Die FDP setzt auf Vermittlung

Es gibt eine Mehrheit gegen den Paragrafen 219a. Doch die SPD nimmt Rücksicht auf die Union – und die teilt sich ihre Argumente mit der AfD.

Mehrere Menschen stehen mit Plakaten vor dem Bundestag

„My body, my choice – mein körper, meine Wahl“: Protest gegen §219a vorm Bundestag im Dezember Foto: dpa

BERLIN taz | Auf dem Platz vor dem Reichstag fliegen am Donnerstagnachmittag Kreppbandrollen durch die Luft. „Hast du noch welches?“, rufen junge und ältere Menschen einander zu, dann helfen sie sich gegenseitig, zwei Klebebandstreifen wie zum Kreuz über den Mund zu ziehen. Einige von ihnen tragen Arztkittel, andere schwenken eine den Mittelfinger zeigende Gebärmutter aus Pappe durch die Luft. „§219a“ steht auf den zugeklebten Mündern; der Paragraf verbiete ihnen den Mund, suggerieren die Demonstrierenden.

Später wird der Bundestag erstmals über Paragraf 219a Strafgesetzbuch diskutieren – über das Verbot der „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“. Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung hat zu einer Kundgebung aufgerufen. Auch Ricarda Lang, Sprecherin der Grünen Jugend, steht an diesem eiskalten Nachmittag vor dem Reichstag hinter einem Banner mit den Worten: „Mein Körper, meine Entscheidung – weg mit 219a“. Neben ihr treten Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter und die neue Parteichefin Annalena Baerbock von einem Bein aufs andere, um sich warmzuhalten. „Unsere Partei steht geschlossen hinter einer kompletten Abschaffung“, sagt Ricarda Lang. Auch Abgeordnete von Linken und SPD sind da.

Paragraf 219a verbietet nicht nur das Werben für Schwangerschaftsabbrüche, sondern auch die öffentliche Information von Ärzt*innen darüber, dass sie welche vornehmen. Im November 2017 war die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden, weil sie auf ihrer Webseite den Schwangerschaftsabbruch als Leistung aufführt.

Es ist bereits nach 21 Uhr, als die ursprünglich für den Nachmittag anberaumte Bundestagsdebatte dann beginnt. Und es ist spannend; denn theoretisch gibt es eine Mehrheit für die Reform des Paragrafen. Grüne, Linke, SPD: Alle drei Fraktionen haben einstimmig Gesetzentwürfe beschlossen, die eine Streichung des Paragrafen vorsehen. Die FDP will den Paragrafen reformieren. Um Erfolg zu haben, braucht es aber die Stimmen aller vier Fraktionen.

Die AfD beklatscht die Union

Diskutiert wird aber nur über die Gesetzentwürfe von Grünen, Linken und FDP. Die SPD hat ihren Gesetzentwurf nicht eingebracht – aus Rücksicht auf die Union, dem wohl künftigen Koalitionspartner. Die Grüne Ulle Schauws tritt ans Podium, ordnet ihre Papiere, blickt sich um. „Paragraf 219a verhindert, dass Frauen, die ungewollt schwanger und in einer Notlage sind, sich schnell und umfassend informieren können“, sagt sie. Auch die Grünen wollten nicht, dass Werbung für Schwangerschaftsabbrüche erlaubt sei. Aber der Paragraf stelle auch die sachliche Information unter Strafe. „Es ist an der Zeit, dass wir endlich parlamentarisch über diesen veralteten Paragrafen des Strafgesetzbuches debattieren“, sagt Schauws.

Wer diese Debatte partout nicht führen will, wird schnell deutlich: Union und AfD. Beide Parteien stützen sich auf dieselben Argumente; die AfD applaudiert immer wieder der Union, deren Abgeordnete schauen betreten zur Seite, wenn ein*e Abgeordnete*r der AfD spricht. Mariana Harder-Kühnel (AfD) und Silke Launert (CSU) beginnen ihre Redebeiträge sogar exakt gleich: Mit Zitaten aus dem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Damit meinen sie in diesem Fall nicht die Würde der Frauen.

„Man muss alle betroffenen Interessen berücksichtigen“, sagt der CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth. Die Gesetzentwürfe, die eine Streichung des Paragrafen fordern, ließen aber „einen Grundrechtsträger außer Acht: das ungeborene Kind“. Das Bundesverfassungsgericht habe klare Vorgaben zu dessen Schutz gemacht und betont, dass Schwangerschaftsabbrüche als Unrecht anzusehen und deswegen zu verbieten seien.

Die FDP setzt auf Vermittlung

So ist es in Deutschland derzeit in der Tat geregelt: Abtreibungen sind in Deutschland rechtswidrig, aber straffrei, wenn der Abbruch innerhalb der ersten 12 Wochen nach Empfängnis passiert, die Frau zuvor in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle beraten wurde und sie eine Bedenkfrist von drei Tagen hat verstreichen lassen. Nicht verboten sind Abtreibungen, wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist oder etwa nach einer Vergewaltigung. Wenn Ärzt*innen über ihr Tun informieren dürften, würde das die Beratung konterkarieren, argumentiert die Union. Zudem würde dann für Abtreibungen geworben wie für Schönheits-OPs. Überzeugende Argumente dafür, inwiefern sachliche Information dem vom Verfassungsgericht geforderten Schutz des ungeborenen Lebens entgegensteht, liefert die Fraktion nicht.

„Das ist doch total irre“, ruft Cornelia Möhring von der Linksfraktion aufgebracht, schwenkt ihre Faust durch die Luft. „Ich kenne keine Frau, die sagen würde: Coole Werbung, jetzt mach ich mal ’nen Schwangerschaftsabbruch!“ Die FDP wiederum setzt auf Vermittlung: §219a soll weiter im Strafgesetzbuch existieren, aber in modernisierter Form, sodass nur noch grob anstößige Werbung oder Werbung für strafbare Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stehen – nicht mehr aber die sachliche Information, erklärt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae, die Hände aufs Pult gestützt.

Besonders die Redebeiträge der SPD aber sind es, auf die viele Gegner*innen des §219a an diesem Abend gebannt warten. Denn seit die SPD erklärt hat, ihren eigenen Antrag nicht einzubringen, fürchten viele: Die SPD knickt schon jetzt ein vor dem künftigen Koalitionspartner. „Die Position der SPD ist klar“, betont aber Eva Högl, stellvertretende Fraktionsvorsitzende. „Der Paragraf muss gestrichen werden.“ Wenn das nicht möglich sei, müsse er zumindest geändert werden. Das Urteil gegen Hänel habe ganz deutlich gezeigt, „dass wir als Gesetzgeber Handlungsbedarf haben.“

Für „Informationsfreiheit und Rechtsklarheit“

Högl plädiert für eine fraktionsübergreifende Lösung: Bei einer Gewissensentscheidung wäre die SPD-Fraktion nicht an den Koalitionspartner CDU/CSU gebunden. Ihr Fraktionskollege Johannes Fechner macht eindeutige Gesprächsangebote in Richtung FDP: Er sei optimistisch, dass man sich in den anstehenden gemeinsamen Gesprächen der Fraktionen auf einen Text für einen gemeinsamen Gruppenantrag einigen könne.

Sie sei erschrocken, wie fern der Realität sich die Union bewege und wie egal ihnen das Selbstbestimmungsgrecht der Frauen sei, sagt die Linke Möhring nach der Debatte. Gefreut habe sie sich aber über die klaren Worte von Eva Högl. „Das lässt hoffen.“ Die Gesetzentwürfe liegen jetzt im Rechtsausschuss, dem Gesundheitsausschuss sowie dem Ausschuss für Senioren, Familie, Frauen und Jugend, in dem auch die Grüne Ulle Schauws Mitglied ist. Sie sei gespannt auf die Arbeit, sagt sie.

In der kommenden Woche wollen sich zudem alle an einer Veränderung interessierten Fraktionen wieder treffen, um über die Optionen zu diskutieren. Um einen Gruppenantrag einzubringen, braucht es die Stimmen von fünf Prozent aller Abgeordneten. Um ihn aber auch durchzubringen, braucht die Stimmen von SPD, FDP, Linken und Grünen. Schauws ist zuversichtlich. „Eine Einigung im Sinne der Stärkung der Informationsfreiheit für Frauen und Rechtsklarheit für Ärztinnen und Ärzte bleibt das Ziel.“

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