Bundestagsdebatte zum Armutsbericht: Armes Deutschland
Jeder Sechste in Deutschland ist armutsgefährdet. Bei der Debatte um den Armutsbericht versucht die Koalition gar nicht mehr, Einigkeit vorzutäuschen.
Und tatsächlich steckt politischer Sprengstoff in dem Bericht: Obwohl die Wirtschaft brummt und die Arbeitslosigkeit niedrig ist, ist der Anteil der Menschen gewachsen, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens von gegenwärtig 20.342 Euro pro Jahr zur Verfügung haben. Das Medianeinkommen ist der Wert, welcher in der Mitte steht, wenn man alle Jahreseinkommen der Größe nach ordnet. 13 Millionen Menschen, also jeder Sechste, haben demnach nur 12.205 Euro im Jahr zur Verfügung und gelten als armutsgefährdet. 2,5 Millionen Kinder wachsen laut Bericht in armen Familien auf.
Die Haushalte in der unteren Hälfte der Verteilung verfügen laut Bericht nur über rund 1 Prozent des gesamten Nettovermögens, während die vermögensstärksten 10 Prozent der Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens besitzen
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles SPD bekannte sich in ihrer letzten Rede in dieser Legislatur zu dem Bericht, der in fünfter Folge von einer Bundesregierung in Auftrag gegeben und vorgestellt wurde. „Der Armut- und Reichtumsbericht bleibt richtig und wichtig“, so Nahles. Und natürlich gebe es noch viel zu tun. Aber da gibt es ja schon Ideen – das sozialdemokratische Wahlprogramm sei voll davon.
Überhaupt ließ kein Redner, ob von SPD, Linkspartei oder Grünen, am Ende seiner Redezeit die Gelegenheit für einen kleinen Werbeblock aus, sprich den Verweis auf das eigene Wahlprogramm. Die SPD will in Bildung investieren und die sachgrundlose Befristung – nun also doch – abbauen, die Linke will eine Kindergrundsicherung einführen und eine Mindestrente, ähnlich wie die Grünen.
Union von „SPD-Gejammer“ genervt
Nur die Union sah da etwas alt aus. Das Wahlprogramm der CDU wird erst am Montag vorgestellt. Ob Begriffe wie Alters- oder Kinderarmut darin auftauchen, ist allerdings fraglich. In der Debatte warf etwa der CDU-Abgeordnete Kai Whittaker, ein alerter Absolvent der London School of Economics, seiner Vorrednerin Katja Kipping von der Linksfraktion vor, eine billige Dreigroschenoper aufzuführen. „Aber ich verstehe sie ja“, sagt er mitfühlend. „Armut ist Ihr Geschäftsmodell.“
Whittaker sagte, dass Armut in Deutschland eigentlich ein Randphänomen sei. Die Löhne seien in den letzten Jahren stärker gestiegen als die Gewinne, die Zahl der „Working Poor“ sei niedrig und der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit misst, sei einer der niedrigsten im OECD-Vergleich. Der SPD warf er innere Zerrissenheit vor – wolle sie sich über das Erreichte freuen oder nur Jammern.
Das parierte der Abgeordnete Martin Rosemann vom Noch-Koalitionspartner SPD per Nachfrage: ob es genüge sich nur auf den Lorbeeren auszuruhen. Über Whittakers „krude Vorstellungen“ empörte sich auch die SPD-Abgeordnete Daniela Kolbe.
Als Ex-Familienministerin Kristina Schröder dann in ihrer allerletzten Rede als Bundestagsabgeordnete über die Berechtigung des Titels „Armuts- und Reichtumsbericht“ philosophierte und zum Schluss kam, das seien doch zwei Phänomene, die nichts miteinander zu tun hätten – „Die Armen haben nichts davon, wenn man den Wohlhabenden etwas wegnimmt, um mehr Gerechtigkeit herzustellen“, hielt es Rosemann und einen weiteren SPD-Abgeordneten nicht mehr auf den Sitzen. Demonstrativ verließen sie den Saal, während die Union Schröder ebenso demonstrativ zum Abschied beklatschte.
Grüne und Linkspartei konnten sich zurücklehnen und genießen. Der Armuts- und Reichtumsbericht hatte für sie an diesem Tag seinen Zweck erfüllt.
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