piwik no script img

Bundestag debattierte über §218„Mit diesem Gesetz können wir Geschichte schreiben“

Ein fraktionsübergreifender Antrag könnte Abtreibungen grundsätzlich legalisieren. Nur CDU/CSU und AfD lehnten dies im Bundestag generell ab.

Interessiert bei der Debatte: überwiegend Frauen Foto: Liesa Johannssen/reuters

Berlin taz | Der Bundestag hat am Donnerstagabend in erster Lesung einen Gesetzentwurf von 328 Abgeordneten aus SPD, Grünen und Linken debattiert, der die grundsätzliche Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen vorsieht. Am Ende könnte vielleicht sogar eine knappe Mehrheit möglich sein.

Die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge stellte den Gruppenantrag vor. Schwangerschaftsabbrüche sollen in den ersten zwölf Wochen rechtmäßig sein und nicht mehr im Strafgesetzbuch geregelt werden. Abgeschafft werden soll auch die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Abtreibung. Krankenkassen sollen Abtreibungen finanzieren dürfen.

Dies sei ein „ausgewogener und alle Rechte berücksichtigender Gesetzentwurf“, so Wegge, „der in diesem Hause mehrheitsfähig sein sollte.“ Denn vieles bleibe unverändert: Abtreibungen nach der 12. Woche bleiben grundsätzlich rechtswidrig und strafbar. Die Beratungspflicht bleibe auch. Sogar der Paragraph 218 bleibe erhalten, „um die Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens in der Systematik des Strafgesetzbuchs zu betonen“.

Wegge bekam für ihre fulminante Rede langen Applaus. Auch sonst waren viele Beiträge von Pathos geprägt. „Mit diesem Gesetz können wir Geschichte schreiben“, erklärte Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). „Geben wir den Frauen ihre Körper zurück!“, rief Leni Breymaier (SPD). „Kein Gesetz, kein Mann und keine Religion darf über unsere Körper bestimmen“, variierte Heidi Engelhardt (SPD).

Konservative wollen mal wieder nichts ändern

Dagegen verteidigte die CDU/CSU die geltende Rechtslage. „Auch derzeit ist das Selbstbestimmungsrecht der Frau gewährleistet“, erklärte Elisabeth Winkelmeier-Becker. Ein Schwangerschaftsabbruch sei nicht strafbar, wenn er in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft nach einer Beratung und drei Tagen Wartezeit ab Beratung durchgeführt wird. „Die Frau kann nach der Beratung frei entscheiden und muss sich nirgends rechtfertigen“, betonte Winkelmeier-Becker.

Allerdings berücksichtige die aktuelle Rechtslage, welche Abtreibungen grundsätzlich als rechtswidrig (aber straflos) einstufe, auch die Interessen des ungeborenen Kindes, so Winkelmeier Becker, „das Ungeborene entwickelt sich als Mensch, nicht zum Menschen“. Eine Abtreibung müsse etwas anderes sein als eine normale Heilbehandlung.

Auch die AfD bekannte sich zur aktuellen Rechtslage: „Die AfD trägt den gesellschaftlichen Konsens zu Paragraph 218 mit“, sagte Beatrice von Storch, auch wenn sie persönlich das „furchtbar“ finde. Die AfD fordere also keine Verschärfung der Rechtslage.

Die AfD-Abgeordnete Storch verwies als einzige offensiv auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1993, in der es hieß: „Der Schwangerschaftsabbruch muß für die ganze Dauer der Schwangerschaft grundsätzlich als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein.“ Die Abgeordneten des Gruppenantrags gingen darauf nicht ein.

Schlechte Versorgung

Die An­trag­stel­le­r:in­nen argumentierten vor allem mit der sich immer weiter verschlechternden Versorgungslage, für die sie das strafrechtliche Verbot verantwortlich machen. Die Zahl der Arztpraxen, die zu Abtreibungen bereit sind, habe sich in den letzten 20 Jahren halbiert. In jedem fünften Landkreis bestehe kein Angebot für Schwangerschaftsabbrüche.

Auch die Wartefrist wurde von den Gruppen-Antragstellerinnen kritisiert. „Sie verzögert den Schwangerschaftsabbruch unnötig, teilweise ist deshalb ein medikamentöser Abbruch nicht mehr möglich“, argumentierte die Grüne Kappert-Gonther. „Die Wartezeit sorgt für großen Stress und unnötige Risiken“, betonte SPD-Frau Engelhardt.

Unions-Abgeordnete verteidigten dagegen die Frist. „Die dreitägige Wartefrist zwischen Beratung und Abtreibung stellt sicher, dass die Frauen über das Beratungsgespräch noch einmal reflektieren können“, erklärte Susanne Hierl (CSU).

Dorothee Bär (CSU) warf den Antragstellerinnen vor, einen „spalterischen Kulturkampf“ führen zu wollen. Dies wies Sonja Eichwede (SPD) zurück: „In aktuellen Umfragen sprechen sich über 80 Prozent der Befragten für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs aus, da kann von einer Spaltung der Bevölkerung nicht die Rede sein.“

Wohl auch deshalb fühlten sich die konservativen Abgeordneten in der Defensive und kritisierten immer wieder die Tonlage der Debatte. Es bestehe kein Anlass für „Triumphgeheul“, erklärte Nina Warken (CDU). Und Dorothee Bär (CSU) kritisierte die „martialische Tonalität“ von SPD-Frontfrau Carmen Wegge, der Bundestag sei „kein poetry slam“.

Wo noch gestört werden kann

Sollte es in dieser Wahlperiode noch zu einer Abstimmung über den Gesetzentwurf kommen, bräuchte der Antrag eine einfache Mehrheit. Bei 328 Un­ter­zeich­ne­r:in­nen ist dies nicht ausgeschlossen, die absolute Mehrheit liegt bei 367 Abgeordneten. Bei Abwesenheit oder Enthaltung kann die einfache Mehrheit aber deutlich niedriger liegen.

Für das BSW beschwerte sich Sevim Dagdelen, dass die zehn Abgeordneten der Wagenknecht-Gruppe den Antrag auch gerne mit eingebracht hätten, aber zurückgewiesen wurden. Sie wollen bei der Abstimmung dennoch zustimmen. Die Abgeordneten Gyde Jensen und Kristine Lütke (beide FDP) erklärten, dass sie den Antrag zwar inhaltlich unterstützen, aber eine Abstimmung in dieser Wahlperiode ablehnen, weil bei vielen Abgeordneten die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen sei. Heidi Reichinnek (Linke) kommentierte das: „Wer nach einer jahrzehntelangen Diskussion zu diesem Thema immer noch keine Meinung hat, für den ist Politik vielleicht nicht ganz das Richtige.“

Nach der achtzig-minütigen Debatte wurde der Gesetzentwurf in die Ausschüsse verwiesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. Die Moderation      
  • Ist auch irgendwer von den heroischen Frauenbefreiern darauf eingegangen, dass nach der geplanten Neuregelung eine Abtreibung ohne Beratungsschein etc. ebenfalls rechtswidrig bleibt und auch strafbar sein soll - letzteres allerdings nur für die Person, die die Abtreibung durchführt (so nämlich die geplante Neufassung des § 14 SchKG, die auch verfassungsrechtlich ein "sine qua non" sein dürfte)?

    Prognose: Wenn das durchgeht, werden noch weniger Ärzte Schwangerschaftsabbrüche anbieten, weil diese Gesetzeslage es völlig allein ihnen aufbrummen würde, "Nein" zu sagen, wenn eine Schwangere einen Abbruch will, OHNE die hergebrachten Bedingungen zu erfüllen. Geholfen wird damit niemandem.

    Ich weiß auch nicht, was daran emanzipatorisch sein soll, dass man die Schwangeren derart durch "Entantwortung" von der finalen Entscheidung entfernt. Bislang sitzen sie noch mit im Boot, wenn die gesetzlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Neu dürften sie zwar "frei" ihre Entscheidung pro Abtreibung treffen, aber die ist Makulatur, wenn der abtreibende Arzt nach härteren Kriterien zu entscheiden hat, ob er sie auch umsetzt. Ich finde das eher paternalistisch als ermächtigend.

  • 6G
    626348 (Profil gelöscht)

    Das Urteil vom BVerfG von 1993 ist irrelevant, weil damals es halt immer noch sehr männlich dominiert gewesen ist. Und Männern scheint es ein graus zu sein, wenn eine Frau selbst entscheiden könnte. §§ 218ff dienen ja auch nicht dem Schutz des ungeborenen Lebens, sondern einzig der Kontrolle. Vor allem wenn man bedenkt, dass ein Fötus bis zur ~23. Schwangerschaftswoche nicht alleine lebensfähig ist. Bis dahin sollte der Schwangerschaftsabbruch eine reine Entscheidung der Schwangere (und ihres Arztes) sein.

    • @626348 (Profil gelöscht):

      Lesen Sie das Urteil mal durch und fragen sich,

      a) welche Argumente, die heute auf dem Tisch liegen dort nicht schon eingeflossen sind und

      b) ob seine Argumente für den Schutz des ungeborenen Lebens wirklich ihre Stichhaltigkeit verlieren, wenn man das Element "Kontrollbedürfnis über den weiblichen Körper" weglässt.

      Es ist immer einfach, eine Gegenmeinung mit der Unterstellung rhetorisch zu disqualifizieren, sie basiere nur auf bösen (oder zumindest nicht mehr zeitgemäßen) Absichten. Aber die Mindestanforderung an so eine ad-personam-Diskussionsführung sollte sein, dass man diese Gegenmeinung auch argumentativ widerlegen kann. Und das dürfte hier schwerfallen: Das - vom BVerfG völlig zu Recht anerkannte - Anrecht der Schwangeren auf Selbstbestimmung über ihren Körper und ihr Leben (als Ausfluss der Würde des Menschen) kann und muss zwar maßgeblich in die Abwägung einfließen. Es kann aber nicht per se den Schutzanspruch des ungeborenen Lebens (AUCH ein Ausfluss aus der Würde des Menschen) aus der Welt schaffen oder unterbuttern. Das hat sich seit 1993 nicht geändert.

  • Da die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vollkommen ignoriert wird geht es offensichtlich nicht darum eine verfassungskonforme Alternative zu finden, sondern um ein paar Prozente im Wahlkampf.



    Hat ja bei Harris schon so gut geklappt...

    Ohne medizinische Indikation gibt es keinen Grund die Krankenkassen fuer eine Abtreibung zahlen zu lassen, Embryonen sind doch keine Krankheit. Bei einer Vergewaltigung zahlt der Vergewaltiger, ersatzweise tritt der Staat in Vorleistung.

  • Das Problem engagierten Journalismus' ist zuweilen, dann bei Herzblutthemen die Genauigkeit zu vergessen.



    "Abtreibung grundsätzlich legalisieren" im Aufreißer ist grob falsch, wie der Text selbst später zugibt: "Abtreibungen nach der 12. Woche bleiben grundsätzlich rechtswidrig und strafbar." Was ja Gründe hat, u.a. das Grundgesetz nach der derzeitigen verfassungsjuristischen Sichtweise. Und vielleicht auch mal ganz emotional die Dankbarkeit der Menschen, selbst eben nicht abgetrieben worden zu sein.

    • @Janix:

      Das geschieht nicht nur bei engagiertem Journalismus oder Herzblutthemen, sondern regelmäßig bei Überschriften: "Deutsche verbrauchen mehr Benzin" ... Als andere Staaten? Als im letzten Jahr? Als Apfelsaft?



      Kein Tag vergeht ohne eine derartige, unscharfe bis sinnverstümmelnde Überschrift ... noch nicht aufgefallen?