Bundestag beschließt Gesetz: Endlich Selbstbestimmung
Nach langen Debatten steht fest: Trans*, inter und nichtbinäre Personen können Namen und Geschlechtseintrag zukünftig leichter ändern.
Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans
Aktivist*innen verfolgten die Abstimmung vor den Toren des Bundestags. „Endlich ist das Transsexuellengesetz abgeschafft!“, sagte Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* der taz. „Damit enden 40 Jahre Grundrechtsverletzungen. Sechs mal wurde festgestellt, dass das bisherige Gesetz verfassungswidrig ist. Endlich handelt die Regierung selbst, statt immer nur auf Entscheidungen aus Karlsruhe zu reagieren.“
Das Transsexuellengesetz galt seit 1981. Zur Änderung des Geschlechtseintrags stellte dieses an trans* Personen harte Bedingungen: Sie durften nicht verheiratet sein. Sie mussten dauerhaft unfähig zur Fortpflanzung sein – also sterilisiert. Und sie mussten sich operativ an das gewählte Geschlecht angleichen.
Vom Bundesverfassungsgericht wurde das Gesetz 2011 deshalb für größtenteils verfassungswidrig erklärt, da es gegen die Menschenwürde verstoße und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit widerspreche. Eine Alternative für das seitdem ausgesetzte Gesetz gab es jedoch nicht.
Psychologische Gutachten und Gerichtsverfahren fallen weg
Im April 2023 stellten Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) dann einen Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz vor, der in Zusammenarbeit mit Betroffenenverbänden entwickelt wurde. Es sieht vor, dass volljährige transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag ändern können.
Die bisher notwendigen psychologischen Gutachten und Gerichtsverfahren fallen weg. Ab 14 Jahren können Jugendliche selbst eine Änderung des Eintrags mit Zustimmung ihrer Eltern vornehmen. Für Kinder jünger als 14 Jahre können Eltern eine Erklärung zur Änderung abgeben, nicht aber gegen den Willen des Kindes.
Der Verabschiedung im Bundestag waren harte Debatten in Politik und Gesellschaft vorausgegangen. Die zuständigen Bundesminister:innen Buschmann und Paus hatten monatelang um Kompromisse gerungen. Aus der Opposition wurde insbesondere die Entkoppelung des rechtlichen vom biologischen Geschlecht kritisiert. Auch Fragen des Jugendschutzes stellten CDU und AfD immer wieder in den Mittelpunkt. Darüber hinaus warnte die Union vor möglichem Missbrauch, da die Personenstandsänderungen erstmal nicht an Sicherheitsbehörden übermittelt werden.
Gesetz geht vielen Aktivist:innen nicht weit genug
Die Aussprache vor der Abstimmung im Bundestag eröffnete am Freitagnachmittag schließlich Nyke Slawik von Bündnis 90/Grünen, eine der ersten bekannten transgeschlechtlichen Bundestagsabgeordneten. Slawik beschrieb ihre eigene Erfahrung als junge trans* Person: „Ich war es Leid, jedesmal wenn ich meinen Ausweis zeigen sollte, in der Bar oder bei der Fahrscheinkontrolle, mit der Frage konfrontiert zu werden: Ist das der Ausweis deines Bruders?“ Es sei höchste Zeit, so Slawik, dass endlich die Würde von trans*, inter und nichtbinären Menschen geachtet werde.
Trotz der neuen Erleichterungen geht das Gesetz vielen Aktivist:innen und Betroffenen nicht weit genug: Verschiedene Personengruppe, wie Menschen ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus in Deutschland, würden ausgeschlossen, so Kalle Hümpfner. „Es enthält auch immer noch Unterstellungen gegenüber trans* Personen, etwa bei den Regelungen zum Hausrecht“, sagt Hümpfner weiter. Das Selbstbestimmungsgesetz lässt das private Hausrecht unberührt. Manche Frauenrechtlerinnen hatten Bedenken dagegen geäußert, Schutzorte wie Frauen-Saunen generell auch für trans* Personen öffnen zu müssen.
Weiter fordern Aktivist:innen eine niedrigere Altersgrenze sowie einen Entschädigungsfonds für Opfer des Transsexuellengesetz. Dieser ist zwar Teil des Koalitionsvertrags, aber nicht Teil des Selbstbestimmungsgesetzes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?