Selbstbestimmungsgesetz im Bundestag: Kein Kompromiss für alle

Die Rechte von trans, inter und nicht-binären Personen soll das Gesetz stärken. Doch den einen geht es nicht weit genug, andere wollen höhere Hürden.

Familienministerin lisa Paus spricht im Deutschen Bundestag

„Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der aus ihrer Sicht sachgerecht ist“, sagte Familienministerin Paus Foto: Kay Nietfeld/dpa

Berlin taz | Am Mittwoch debattiert der Bundestag in erster Lesung über das geplante Selbstbestimmungsgesetz. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass trans, inter und nicht-binäre Personen ihren Geschlechtseintrag sowie Vornamen künftig beim Standesamt ändern können. Es soll das größtenteils verfassungswidrige Transsexuellengesetz ablösen und nach derzeitigem Stand ab dem 1. November 2024 gelten.

Das Bundesjustizministerium von Marco Buschmann (FDP) und das Bundesfamilienministerium von Lisa Paus (Grüne) hatten monatelang um Kompromisse beim Selbstbestimmungsgesetz gerungen. „Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf beschlossen, der aus ihrer Sicht sachgerecht ist“, sagte auf taz-Anfrage nun Familienministerin Paus. Er biete eine „rechtliche Grundlage, die unserer vielfältigen und freiheitlichen Gesellschaft gerecht wird“.

„Der Gesetzentwurf ist ein Meilenstein und ich bin mit dem Entwurf zufrieden“, sagte Jürgen Lenders, Sprecher für LSBTI der FDP-Fraktion, der taz. „Wir überwinden mit dem Selbstbestimmungsgesetz das entwürdigende und in Teilen verfassungswidrige Transsexuellengesetz und verbessern die Rechtslage für transgeschlechtliche Menschen.“ Für das parlamentarische Verfahren wünsche er sich „eine sachliche Diskussion und dass wir mehr aus der Sicht der Betroffenen denken“.

Auch die grüne Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik freut sich darüber, dass die bisher für eine Änderung des Geschlechtseintrags notwendigen psychologischen Gutachten sowie Gerichtsverfahren wegfallen werden. Sie sieht aber auch Nachbesserungsbedarf. So soll laut bisherigem Gesetzentwurf der männliche Geschlechtseintrag nicht geändert werden können, wenn der Änderungsantrag im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einem Spannungs- oder Verteidigungsfall gestellt wird.

Verteidigung versus Selbstbestimmung

Damit soll die „Verteidigungsfähigkeit“ sichergestellt werden. Auch dann aber müsse es „nach wie vor Möglichkeiten geben, das Recht auf Selbstbestimmung, die unter anderem unser Grundgesetz fordert, in Anspruch zu nehmen“, sagte Slawik der taz.

Auch müsse es anders als bislang vorgesehen weiterhin möglich sein, nur den Namen oder nur den Geschlechtseintrag zu ändern. Der Entwurf sieht zudem eine Änderung beim Eintrag der Eltern in Geburtsurkunden vor, eine Zwischenlösung bis zur ebenfalls anstehenden Reform des Abstammungsrechts. Slawik kritisierte diese Regelung als „halbgar“, stattdessen brauche es für Betroffene endlich Rechtssicherheit.

Der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne) hatte zuletzt betont, dass er auf Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren hoffe – etwa beim sogenannten Hausrechtsparagraphen. Demnach sollen Betreiber_innen von Frauensaunen selbst entscheiden können, wer Zutritt bekommt. Auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, äußerte diesbezüglich mehrfach Kritik. Slawik sagte, solche Passagen würden bei Betroffenen „das Gefühl hinterlassen, ihnen werde dennoch weiterhin misstraut“ werde.

Union fordert höhere Hürden

In der Opposition sieht man das Gesetz aus unterschiedlichen Gründen kritisch: Während die AfD mit transfeindlichem Hass Wahlkampf macht, geht der Linkspartei der bisherige Entwurf nicht weit genug.

Die Union wiederum will an einer Nachweispflicht festhalten: „Für uns von der Unionsfraktion steht fest, dass es zwingend gewisse Voraussetzungen für einen Wechsel des Geschlechtseintrags geben muss“, so Mareike Wulf (CDU). Die bisherigen Hürden sollten trotzdem abgesenkt werden. „So käme etwa für erwachsene Menschen eine Beratungsverpflichtung statt einer medizinischen Begutachtung infrage“, so Wulf.

Zum Selbstbestimmungsgesetz hatte die Bundesregierung 54 Stellungnahmen veröffentlicht. Im August wurde es im Kabinett beschlossen. Viele Verbände sehen ihre Kritik jedoch nicht zur Genüge wahrgenommen. So betonte Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*, der Gesetzentwurf bleibe „weit hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück“. Es bestehe „dringender Nachbesserungsbedarf“, damit das Selbstbestimmungsgesetz seinem Namen gerecht werde, so Hümpfner.

Aktivist_innen des Bündnisses „Selbstbestimmung Selbst Gemacht“ protestierten am Sonntag in Berlin für ein diskriminierungsfreies Selbstbestimmungsgesetz. Das Bündnis hat einen eigenen Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz verfasst, das unter anderem niedrigere Altersgrenzen sowie einen Entschädigungsfonds für Opfer des Transsexuellengesetz vorsieht. Dieser ist Teil des Koalitionsvertrags, die Bundesregierung will das Thema aber losgelöst vom Selbstbestimmungsgesetz angehen. Auch parallel zur Lesung am Mittwoch soll es eine Demonstration geben.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es, bis zum Mai seien 54 Stellungnahmen eingegangen. Das ist nicht korrekt. Wir haben die entsprechende Stelle präzisiert.

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