Bundesparteitag der Linkspartei: Rotkäppchensekt für den Frieden
Mit großer Mehrheit stimmen die Delegierten für die Forderung, die Schaumweinsteuer abzuschaffen. Denn die sei ein „Symbol des Militarismus“.
Eingebracht hatte den Antrag die Linksjugend ['solid]. „Dieses Programm ist unsere Chance, einen Wechsel in eine feuchtfröhliche Zeit einzuleiten, denn ja, der Klassenkampf wird auch am Stammtisch geführt“, begründete Bundessprecher:innenratsmitglied Michael Neuhaus in einem wohlformulierten Redebeitrag die Initiative.
Neuhaus erinnerte daran, dass die Schaumweinsteuer 1902 zur Finanzierung der kaiserlichen Kriegsflotte eingeführt worden war. „Erst knallten die Korken, dann die Kanonen“, parolisierte er. Daher sei sie ein „Symbol des Militarismus“. Wer „von der Schaumweinsteuer nicht reden will, sollte deswegen auch vom Frieden schweigen“, sagte das 28-jährige Nachwuchstalent, das dem Leipziger Stadtrat angehört.
Außerdem sei die Steuer „im Kern ein lustfeindlicher Angriff auf das freie, selbstbestimmte Leben“. Sie trage dazu bei, „dass die Perlen der Spirituosenwelt ein Statussymbol der Bourgeoisie“ seien, sagte Neuhaus. Der Konsum von guten Getränken dürfte „nicht länger eine Frage des finanziellen oder kulturellen Kapitals sein“, forderte er. „Als Linke können wir das nicht länger hinnehmen.“ Nieder die Klassen, hoch die Tassen!
Für den Parteivorstand plädierte Bundesvorstandsmitglied Axel Troost für die Ablehnung des Antrags. „Ich glaube nicht, dass wir wirklich gut damit wegkommen, wenn anschließend die Bild-Zeitung sagt: ‚Linksjugend kann jetzt verbilligt Rotkäppchensekt saufen‘“, warnte der Ökonom. „Wir haben andere, wir haben dringendere Punkte, wo wir in Richtung sozialen Ausgleichs gehen wollen“, sagte Troost staubtrocken.
Unterstützung fand der Schaumwein-Antrag hingegen bei der Bundestagsabgeordneten Caren Lay. Alleine der Hinweis auf das militaristische Motiv, das einst zur Einführung der Steuer geführt hat, sollte „Grund genug sein, für die Abschaffung zu stimmen“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
Außerdem erinnerte Lay daran, dass es in der DDR keine Sektsteuer gab und Österreich sie gerade abgeschafft hat. „Ich finde, daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen“, sagte sie. „Nieder mit der Schaumweinsteuer!“
Den letzten Ausschlag für das überraschend eindeutige Votum zugunsten des Linksjugend-Antrags könnte Thüringens Multiminister Benjamin-Immanuel Hoff gegeben haben. „Ihr habt eine Minute Zeit für die Abstimmung über Sekt statt Selters“, eröffnete er als Tagungsleiter die Abstimmung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge