Bundesländer geben AstraZeneca frei: Wer zu lange wartet, verliert
Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Bayern haben die Priorisierung für den AstraZeneca-Impfstoff aufgehoben – völlig zu Recht.
K aum hat sich der Bund zu einer einheitlichen Strategie gegen Corona durchgerungen, tanzen schon wieder die ersten Länder aus der Reihe. Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Bayern haben am Donnerstag im Alleingang die Priorisierung für den AstraZeneca-Impfstoff gekippt. Jeder, der will, kann sich dort nun mit dem oft verschmähten Vakzin immunisieren lassen – und muss nicht warten, bis im Juni bundesweit genug Impfstoffe für alle da sind.
Abgesehen von dieser neuen Volte im Bund-Länder-Corona-Zirkus ist die Freigabe des Ladenhüters für alle Impfwilligen allerdings richtig, wenn nicht alternativlos. Ohne Impfungen ist das Virus mit seinen zum Teil noch ansteckenderen Varianten kaum mehr einzudämmen. Und wenn Impfstoffe ungenutzt herumliegen, ist die Impfreihenfolge überflüssig. Wer sich und andere schützen will, soll seine Chance bekommen. Zumal das Vakzin von AstraZeneca ein sehr gutes ist. Es schützt hochwirksam vor schweren Covid-19-Verläufen und damit auch vor dem Tod.
Ja, es gibt das Risiko, nach der Impfung als extrem seltene schwere Nebenwirkung eine Thrombose zu erleiden, also ein Blutgerinnsel in den Gefäßen. Das gilt auch für das Vakzin von Johnson & Johnson, das ähnlich gestrickt ist. Dieses Risiko steht jedoch in keinem Verhältnis zu der Gefahr, dem die Bevölkerung durch die dritte Welle ausgesetzt ist. Mit der Zahl der Infektionen wächst auch das Risiko, sich auf den letzten Metern doch noch anzustecken. Und selbst wer nicht an oder mit Covid-19 stirbt, muss ohne Impfung mit Folgeschäden rechnen. Long Covid ist keine Kleinigkeit.
Es gilt daher, alles in die Waagschale zu werfen. Impfungen haben ein großes Gewicht, nicht umsonst sprechen sich Expert:innen seit Monaten vehement dafür aus, so viele Menschen so schnell wie möglich zu immunisieren. Dazu muss gehören, übrig gebliebene Impfdosen frei zu vergeben. Denkbar bleibt zudem, alle verfügbaren Impfstoffe zunächst einfach zu verimpfen.
Es gibt jedoch zwei Dinge, die zwingend zu beachten sind. Erstens muss an der Priorisierung für nicht überzählige Impfstoffe festgehalten werden. Die am stärksten gefährdeten Menschen sind vorrangig zu schützen. Es liegt in der Verantwortung aller, ihnen den Vortritt zu lassen. Zweitens darf die Möglichkeit der Impfung nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kampf gegen Corona mit den bekannten Mitteln dringend verschärft werden muss: Kontaktbeschränkungen, Testkonzepte, Abstand und Maskenpflicht. Und die Inzidenz muss sinken. Nur dann werden auch die Impfungen ihre Wirkung für die Gemeinschaft entfalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe