Bürgergeld und Wohnkosten: Jeder achte Haushalt zahlt drauf
Bei 320.000 Haushalten mit Anspruch auf Bürgergeld bezahlen Jobcenter die Unterkunft nicht in voller Höhe.
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Vom Geld für Essen und Kleidung müssen viele Bürgergeld-Empfänger:innen auch noch Mietkosten mitübernehmen Foto: Hannes P Albert/dpa
BERLIN taz | Fast 320.000 Haushalte mit Bürgergeld-Berechtigten müssen einen Teil der Miete und Heizung aus dem Regelsatz für die Lebenshaltungskosten bezahlen, weil die Miete dem Jobcenter nicht mehr als „angemessen“ gilt. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Gruppe Die Linke im Bundestag hervor, die der taz vorliegt. Im Schnitt mussten die betroffenen Haushalte im vergangenen Jahr jeden Monat 103 Euro aus dem Regelsatz für die Wohnkosten abzwacken. Sie machen 12,2 Prozent der Haushalte mit Anspruch auf Bürgergeld aus.
Besonders groß war die Wohnkostenlücke in den Metropolen. In Berlin zahlten die betroffenen Haushalte im Schnitt fast 160 Euro dazu. „Wer im Bürgergeld überhaupt noch eine Wohnung in Innenstädten bekommt, zahlt drauf und spart sie sich vom Munde ab“, sagte die Linken-Abgeordnete Caren Lay der Deutschen Presse-Agentur.
Im Bürgergeld zahlt das Jobcenter normalerweise Miete und Heizung, solange die Wohnung als „angemessen“ gilt und die Heizkosten bestimmte Werte nicht überschreiten. Die Angemessenheitsgrenzen wurden in den Kommunen zwar immer wieder angepasst, werden aber durch die steigenden Mieten immer wieder überschritten. Das Jobcenter fordert die Menschen dann auf, in eine günstigere Wohnung umzuziehen. Diese gibt es aber meist nicht, die Leute müssen in ihren Wohnungen bleiben. Der übersteigende Betrag muss daher sozusagen „aus der eigenen Tasche“ als vom Geld für den Lebensunterhalt gedeckt werden und mindert die ohnehin geringe Summe, die für die alltäglichen Lebenshaltungskosten gedacht sind.
Diese Wohnkostenlücke bleibt, obwohl mit Beginn des Bürgergeldes und auch schon zu Corona-Zeiten eine gesetzliche „Karenzzeit“ bei den Wohnkosten für neue Antragssteller:innen eingeführt wurde. In der „Karenzzeit“ im ersten Jahr des Bürgergeldbezuges übernimmt das Jobcenter die Wohnkosten in der realen Höhe, ungeachtet der Angemessenheitsgrenzen.
Langzeitbezieher:innen betroffen
Langzeit-Bezieher, darunter viele Alleinerziehende, pflegende Angehörige und Aufstocker würden aber „allein gelassen“, sagte die Linke-Abgeordnete Heidi Reichinnek. „Sie müssen den Fehlbetrag weiterhin aus dem Regelsatz ausgleichen, der eigentlich für Essen und Kleidung gedacht ist“.
Die Linke und auch die Sozialverbände fordern, die Kostengrenzen so weit zu erhöhen, dass davon eine Wohnung gemietet und geheizt werden kann.
Die Union hingegen will die Karenzzeit in ihren Reformvorschlägen zum Bürgergeld abschaffen, sodass die Angemessenheitsgrenzen dann schon zu Beginn des Leistungsbezuges gelten würden.
Zahlen aus den früheren Jahren zeigen damals eine prozentual höhere Wohnkostenlücke. Im Jahr 2022 bekamen rund 13 Prozent der Haushalte im Hartz-IV-Bezug nicht die vollen Wohnkosten erstattet, ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung. Im Jahre 2021 waren es rund 15 Prozent der Haushalte.
Höhere Zuzahlungen
Die sogenannte Wohnkostenlücke habe im Jahre 2021 durchschnittlich bei 91 Euro im Monat gelegen, hieß es in früheren Antworten der Bundesregierung zur gleichen Anfrage. Die Höhe der Zuzahlungen ist also über die Jahre gestiegen.
Der Immobilienmarkt reagiert allerdings auch auf eine Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen bei den Jobcentern. In den Kommunen gibt es die Erfahrung, dass bei einer Erhöhung der Angemessenheitsgrenzen auch günstige Mieten im Bestand steigen. Die Vermieter wissen dann ja, dass diese Wohnkosten von den Sozialbehörden übernommen werden.
Leser*innenkommentare
Nachtsonne
Warum muss ein Bürgerheldbezieher in der Berliner Innenstadt wohnen? Ist für mich nicht nachvollziehbar, schon gar nicht nach 1 Jahr Karenzzeit. Normale Arbeitnehmer müssen mit der Wohnungsknappheit ebenfalls klarkommen. Wenn man jetzt Wohngeldbeziehern pauschal die realen Kosten ersetzt, braucht man sich über den Sozialneid nach unten mit seinen Auswirkungen nicht zu wundern.
DerD
Es sollte ein sauber erarbeitetes Recht geben, dass Mietern erlaubt, die Wohnungen samt Mietvertrag zu tauschen, Einschränkungen bzgl. Haustiere und anderes bleibt davon unberührt.
Wenn dann Bund und Länder noch einmal Geld in die Hand nehmen würden, um eine entsprechende Börse aufzubauen, die insbesondere Menschen und Kommunen darin unterstützt, dass dann umzusetzen, wäre vielen geholfen.
Sandra Becker
...man erwartet von mir als Berufstätigem, dass ich für einen Jobwechsel umziehe.
Wenn ein Arbeitsloser länger arbeitslos ist und die Wohnung zu teuer ist, könnte er auch umziehen.
Berlin: Arbeitslosenquote 9,6%
Schwandorf in der Provinz: 3,3%
Da sind Wohnungen billig und Arbeit gibts offenbar auch.
Okti
Zu diesem ganzen System fällt mir mittlerweile nur noch eins ein: widerwärtig.
Es ist schon lange Zeit, dass über Eigentum gesprochen wird. Heutzutage scheint mir die Definition sehr verdreht und asozial zu sein.
D. MEIN
Willkommen im Rentneralltag!
Dort muss alles selbst gezahlt werden.
Interessiert niemanden. Anscheinend soll so die Rentenkasse saniert werden.
Kein Sozialverband, kein Grüner oder Linker fragt danach.
Aurego
@D. MEIN Rentner bezahlen das alles von Geld, das dem entspricht, was sie während ihres Erwerbslebens eingezahlt haben. Die entscheidende Frage ist, wie man vermeiden will, dass Rentner Mieterhöhungen erleiden, die über den Anstieg der Renten hinausgeht. Auf verständige Vermieter zu hoffen, ist wahrscheinlich nicht die geeignete Lösung.
Janix
@D. MEIN Höhere Renten? Lohnquote wieder erhöhen, das geht so auch für Rentner hoch. Dafür stehen die Parteien auf der linken Seite des Spektrums, oder?
Und alle ungedeckelt in eine Kasse spart Verwaltungskosten und ist fairer.
Sonja Bleichle
@D. MEIN Offensichtlich schreien die Rentner nicht laut genug. Laute Minderheiten bekommen eben mehr Gehör. Leider.
Von den Grünen erwartet ich schon garnicht, dass sie die Interessen der Rentner vertreten (vielleicht mal in 15 Jahren). Aber dass sich SPD und Linke hier komplett zurückgezogen haben, ist komplett unverständlich. Gerade die beiden Parteien sollten doch um jede Stimme dankbar sein, und waren früher mal auch an Rentnern interessiert. Vielleicht gibt es zu wenig Rentner in den Sozialen Medien, und SPD und Linke glauben, was sie im Internet sehen.
Oder Politiker glauben ernsthaft, dass Rentner genau so gut versorgt sind wie sie selbst - konnte man ja an Frau Langs Weltbild gut sehen.
Janix
Ich beziehe es nicht, will das nicht, doch es kann viele Lagen und Situationen geben, für die es gedacht ist. Wir alle (Frau Klatten mal ausgenommen oder andere Erben, die es auch nicht mit Drogengebrauch o.ä. schaffen, ihre tägliche Dividende aufzubrauchen), wir alle könnten Schicksalsschläge haben und gehen gute Risiken leichter ein, wenn ein Netz uns zur Not etwas auffängt.
Also auch, wenn man es nur 'ego' sähe, ist ausreichend Geld da eine Investition.
Wirtschaftswissenschaftlich wäre direktes Geld dabei übrigens besser als Wohngeld, das letztlich ungebremst an die Vermieter geht, wie der Artikel schon andeutet. Dann kann auch jede(r) entscheiden, ob dies oder jenes der wichtigere Punkt ist.
Der Cleo Patra
@Janix // . . wäre direktes Geld dabei übrigens besser als Wohngeld, das letztlich ungebremst an die Vermieter geht . . Dann kann auch jede(r) entscheiden, ob dies oder jenes der wichtigere Punkt ist. //
Finde ich gar nicht. Man soll froh sein, dass das sogenannte Amt Miete und Umlagen bezahlt und keine Art Pauschale den Bürgergeldbeziehern überweist. Manche Bezieher wären total überfordert.
Rudi Hamm
"Besonders groß war die Wohnkostenlücke in den Metropolen."
Kein Wunder bei der links/roten Wohnraumpolitik in Berlin die letzten 20 Jahre. Allerdings lässt die aktuelle Regierung auch keine Hoffnung auf Besserung aufkommen. In Berlin wird man bald nur noch mit besseren Gehältern leben können.
Aurego
@Rudi Hamm Der Anstieg der Mieten in Berlin hat überhaupt gar nichts mit links/roter Wohnraumpolitik zu tun. Ich vermiete selbst in Berlin und kann die aktuellen Mietsteigerungen gut nachvollziehen. Viele Immobilieneigentümer versuchen, durch Anheben der Mieten die geringe Rendite der Immobilien zu verbessern und den Wert derselben zu stützen, der durch die höheren Zinsen deutlich gesunken ist.
Um zu prognostizieren, wie sich die Mieten und Kaufpreise in Berlin entwickeln werden, reicht es, auf Rom oder Paris zu schauen. Berlin war, als der Immobilienhype begann (ab ca. 2012) heillos unterbewertet. Viele Immobilieninvestoren haben das sehr schnell gemerkt und gekauft, was sie kriegen konnten. Wer nach ca. 2016 kaufte, kämpft jetzt mit vergleichsweise niedrigen Eigenkapitalrenditen und muss aufpassen, dass die Anschlussfinanzierung in 2-7 Jahren noch tragfähig ist.
Höhere Gehälter und niedrigere Zinsen würden den Markt etwas entlasten.
Lee Ma
@Rudi Hamm Ach und das wäre mit den Schwarz-Blauen besser? Oder einer Schwampel? Träum weiter!
D. MEIN
@Rudi Hamm Das ist so gewollt.
Sollen die sich das nicht leisten können ,doch aufs Land ziehen.
Dann ist die Elite unter sich und bekommt vom Elend nichts mit.
Potsdam lässt grüssen.
Bolzkopf
Irgendwo muss ja das Geld für die Unterstützung der notleidenden Cum-Ex-Verbrecher herkommen.
Und das Staatssäckel ist ja leer
Nicht zuletzt wegen Cum-Ex.
Da darf man getrost fragen, wer da mit wem unter wessen Decke steckt, nicht wahr, Herr Scholz?
Rudi Hamm
@Bolzkopf Der deutsche Schaden durch Cum-Ex beträgt ca. 15-30 Milliarden Euro, je nach Quelle.
Das Sozialbudget in Deutschland beträgt ca. 1200 Milliarden pro Jahr, also macht ein möglicher Cum-Ex Ausfall ca. 1.25-2.5% des Sozialbudgets aus.
So verbrecherisch CumEx ist, eine Begründung für einen leeren "Staatssäckel" ist es nicht.
Aurego
@Rudi Hamm Von diesen 1200 Milliarden stammt aber "nur" ca. ein Drittel aus Zuschüssen des Staates. Man kann sich die Broschüre des BMAS herunterladen. Ich zitiere hier mal die wichtigsten Daten:
Hauptergebnisse 2023 (im Vergleich zu 2022)
Sozialleistungen insgesamt: 1.249,0 Mrd. Euro (+ 5,2 %)
Sozialleistungsquote: 30,3 % (- 0,3 Prozentpunkte)
(Sozialleistungen in v. H. des Bruttoinlandsproduktes)
Leistungen nach Funktionen (ohne Verwaltungsausgaben)
• Alter und Hinterbliebene 495,0 Mrd. Euro (+ 4,0 %)
• Krankheit und Invalidität 485,5 Mrd. Euro (+ 5,2 %)
• Kinder, Ehegatten und Mutterschaft 143,1 Mrd. Euro (+ 6,5 %)
• Arbeitslosigkeit 39,5 Mrd. Euro (+ 5,6 %)
• Sonstige 34,4 Mrd. Euro (+ 22,0 %)
Finanzierung der Leistungen durch
• Sozialbeiträge der Arbeitgeber 34,0 % (+ 0,2 Prozentpunkte)
• Sozialbeiträge der Versicherten 30,7 % (+ 0,3 Prozentpunkte)
• Zuschüsse des Staates 33,6 % (- 0,6 Prozentpunkte)