Bündnis Sahra Wagenknecht: Bewährungsprobe bestanden
Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ feiert bei der Europawahl seinen ersten Etappensieg. Im Osten landet es sogar auf dem dritten Platz.
Zum Höhepunkt des Wahlabends tritt Sahra Wagenknecht auf die Bühne – die Chefin, Namensgeberin und der Star ihrer neuen, eigenen Partei. Den ganzen Tag habe sie „Magendrücken“ gehabt, gibt sie sich persönlich. Würden ihre europaskeptischen Anhänger überhaupt zur Wahl gehen? Würden sie ihre Partei auf dem langen Wahlzettel finden? Doch das Ergebnis der Europawahl bestätigt sie: „Das ist so ein Wahnsinn“, sagt Wagenknecht. Die „erste Bewährungsprobe“ habe ihr Bündnis damit bestanden, sagt sie, und verspricht einmal mehr: „Wir werden die Politik in Deutschland verändern“.
Das ist ihr bereits ein Stück weit gelungen. Mit ihrem politischen Start-up-Unternehmen hat sie bei der Europawahl aus dem Stand heraus sechs Prozent gewonnen, und das ein knappes halbes Jahr nach der Parteigründung – das ist ein historischer Erfolg. Mit der FDP und der Linkspartei hat das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) gleich zwei etablierte Parteien hinter sich gelassen, und in den ostdeutschen Bundesländern liegt es mit rund 13 Prozent sogar auf dem dritten Platz hinter AfD und Union, vor SPD und den Grünen. Das ist eine hervorragende Ausgangssituation für die Landtagswahlen im Herbst. Dabei ist das BSW erst noch dabei, dort Strukturen aufzubauen und Personal zu rekrutieren.
Im gut gefüllten Kosmos-Kino im Osten Berlins, wo das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ Ende Januar seinen Gründungsparteitag begangen hatte, feierten dessen Mitglieder und Unterstützer am Sonntagabend erst einmal ihren ersten Etappensieg. Parteichefin Sahra Wagenknecht betritt erst kurz vor ihrer Rede den Saal, an der Seite ihres Mannes Oskar Lafontaine und von Kameras umringt, und verschwindet danach bald wieder.
Jubel über Grünen-Absturz
Ihre Fans waren auch so schon in Stimmung: Als das schlechte Ergebnis der Grünen in der TV-Übertragung eingeblendet wurde, brandete Jubel auf. Ebenso, als der Kommentator die leichten Einbußen der AfD auf das BSW zurückführt. Das schlechte Abschneiden der Linken wird mit verhaltenem Hohn quittiert, das eigene Ergebnis euphorisch bejubelt. „Wir haben heute Abend Parteiengeschichte geschrieben“, tönt BSW-Generalsekretär Christian Leye anschließend stolz. Nur Fabio De Masi, der BSW-Spitzenkandidat für die Europawahl, mahnt: Es gelte, weiter hart zu arbeiten und auf dem Teppich zu bleiben.
Im Saal steht Shervin Haghsheno, Bauingenieur und Wirtschaftswissenschaftler aus Karlsruhe und seit Januar einer von Wagenknechts Parteivizen. Auch er sieht das Ergebnis als „Riesenerfolg“ und als „Beweis dafür, dass es eine Repräsentationslücke gibt“, wie er sagt. Selbst bei jungen Wählerinnen und Wählern hat das BSW gepunktet. Hauptsächlich sei es wohl „die Friedensfrage“ gewesen, die in den letzten Wochen wieder „große Bedeutung“ bekommen habe. „Das ist bei vielen ein sehr emotionales Thema“, sagt der 48-jährige. Er meint die Entscheidung, der Ukraine zu erlauben, westliche Waffen auch gegen Ziele in Russland einzusetzen.
Das BSW hatte deshalb im Wahlkampf unverhohlen vor einem Atomkrieg gewarnt. Mit 20 Kundgebungen in großen Städten hatte Sahra Wagenknecht bundesweit für ihre Partei getrommelt, dabei stand sie selbst gar nicht auf dem Wahlzettel. Aber auch über Social Media habe man viele Leute erreicht, sagt Haghsheno, auch wenn man da noch nicht so viele Ressourcen habe wie andere Parteien. „Wir bauen da gerade ein Team auf“.
Sechs Mandate für Brüssel
Mit sechs Mandaten wird das BSW nun ins Europaparlament einziehen. Ein Mandat davon hat Ruth Firmenich ergattert, als einzige Frau, sie stand auf Listenplatz 4. Die 60-Jährige hat schon einmal in Brüssel gearbeitet: fünf Jahre lang war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin von Sahra Wagenknecht, als diese noch für die Linke im Europaparlament saß, bis 2009 war das. Anschließend wechselte sie als Büroleiterin ihrer Chefin in den Bundestag nach Berlin.
Nach 15 Jahren an Wagenknechts Seite zieht Firmenich nun wieder nach Brüssel, diesmal als Abgeordnete. Wer kümmert sich jetzt um Sahra Wagenknecht? Ruth Firmenich lacht auf diese Frage. „Das wird eine Herausforderung“, sagt sie, aber: „Wir sind da in Gesprächen“. Im Europaparlament will die gebürtige Kölnerin Firmenich „für eine andere Friedenspolitik und andere zentrale Punkte, für die wir Wahlkampf gemacht haben“, eintreten. Ihre Umzugskisten werde sie „ab sofort“ packen.
Mit ihr werden die beiden Spitzenkandidaten Fabio de Masi und Thomas Geisel, ehemaliger SPD-Oberbürgermeister aus Düsseldorf, sowie der Ex-Diplomat Michael von der Schulenburg, der Zwickauer Neurochirurg Jan-Peter Warnke sowie der Arzt Friedrich Pürner ihre Koffer packen: Pürner wurde während der Pandemie als Kritiker der Corona-Maßnahmen bekannt und verlor seinen Job als Leiter eines Gesundheitsamts in Bayern. Es ist eine bunte Truppe.
Der Kandidat der Herzen
Für Michael Lüders hat es nicht gereicht. Der 65-jährige Publizist, Autor und Nahost-Experte war beim BSW-Parteitag im Januar der Kandidat der Herzen gewesen, bei der Abstimmung für den erweiterten Parteivorstand und für die Liste zur Europawahl erzielte er jeweils die besten Ergebnisse. Aber er war nur auf Platz neun gesetzt. Er sieht „die soziale Frage“ und den „Wunsch nach mehr Pragmatismus“ als Gründe für den Erfolg seiner Partei, aber auch die Kriege in Gaza und in der Ukraine. „Ich glaube, dass die Unruhe in der Bevölkerung zunimmt, mit Blick auf die Eskalation im Osten“, sagt Lüders. „Was passiert, wenn deutsche Waffen immer weiter in Russland eingesetzt werden?“
Zum Abschluss der Wahlparty stellen sich alle 20 Europa-Kandidaten des BSW auf der Bühne noch einmal zum Gruppenbild auf, einige bekommen einen Blumenstrauß überreicht. Christian Leye orchestriert das Ensemble für den Fotografen. Als er von der Bühne tritt, hat er einen der Blumensträuße in der Hand. „Ich werfe den jetzt in den Saal“, witzelt er. „Wer ihn auffängt, der gründet die nächste Partei.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach