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Buch über umkämpften FreiheitsbegriffDer zwingende Neuanfang

Muss im Zeitalter der ökologischen Krise Freiheit neu gedacht werden? Eva von Redecker präsentiert ein Plädoyer für eine Verzeitlichung von Freiheit.

Die Schwalbe, das Wappentier eines neuen, verzeitlichten Freiheitsbegriffs Foto: Ed Brown/imago

Die Freiheit wird mittlerweile im Heizungskeller verteidigt. Dieser Eindruck drängt sich bei einer Beobachtung des öffentlichen Streits über das aktuelle Heizungsgesetz zumindest auf. Es geht dabei hintergründig um die Frage, welche staatlichen Eingriffe in die Freiheit der BürgerInnen erlaubt sind – und welche nicht.

Ob die Begrenzung des Tempolimits auf Autobahnen, die Einführung eines Verbots von Einwegplastikverpackungen oder anderen politischen Vorschlägen, die zur Lösung der ökologischen Krise beitragen sollen: Stets wird darüber gestritten, ob diese Ver- oder Gebote einer illegitimen Begrenzung oder gar einer Abschaffung unserer Freiheit gleichkommen.

Eva von Redecker diagnostiziert zu Beginn ihres neuen Essays „Bleibefreiheit“ daher auch, dass der liberale Freiheitsbegriff spätestens im Zeitalter von Klimawandel, Artensterben und weiteren ökologischen Zerstörungen zerbrochen ist. Als Kur verschreibt sie eine Neuinterpretation der Freiheit, welche sich dieser von der Zeitlichkeit her nähert und die bisherige Verengung auf Räumlichkeit hinter sich lässt.

Bislang wurde Freiheit als Bereich verstanden, innerhalb dessen eine Person tun und lassen kann, was sie will – und der von Schranken in Form von Rechten anderer Personen umstellt ist. Dagegen macht von Redecker die zeitliche Dimension der Freiheit geltend: „Hier bleiben und frei bleiben können“, ist das zentrale Leitmotiv ihres Essays.

Freiheitsfähig werden

Das Wappentier dieser neuen Freiheit ist die Schwalbe, welche die Leserin zugleich durch das Buch begleitet. Dieser Vogel und dessen Anblick stehen für die Autorin symbolisch für das Einlassen auf die Zeitlichkeit der Natur und die Schöpferischkeit, die wiederum eine wichtige Rolle für die Bleibefreiheit spielen.

In ihrem Essay soll es „um positive ökologische Freiheit“ gehen, die sich zum Beispiel mit der Anwesenheit der Vögel einstellt. Eine Schwalbe allein macht dabei noch keine Freiheit, wohl aber die Rückkehr einer Schwalbenpopulation im Rahmen intakter natürlicher Ge­zeiten.

Eva von Redecker: „Bleibefreiheit“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023, 160 Seiten, 22 Euro

Von Redecker geht es darum, die Quellen unserer Freiheit aufzudecken. Dabei stößt sie nicht nur auf andere Menschen, die uns in die Kunst des Freiseins einweisen und durch Sorgearbeit überhaupt in die Lage versetzen, uns zu freiheitsfähigen Erwachsenen zu entwickeln – sondern ebenso auf die Natur und andere natürliche Wesen.

Um wirklich frei zu sein, ist von Redecker zufolge nötig, dass wir uns unserer eigenen Endlichkeit bewusstwerden. Diese erste Dimension ist also eine Neuauflage des altehrwürdigen Memento mori.

Neuanfänge setzen

Außerdem kommt es darauf an, Neuanfänge zu setzen oder mitzugestalten: Der Generalstreik wird dafür als – besonders radikales – Beispiel angeführt – aber auch das Beginnen einer neuen, womöglich umweltschonenden Routine wäre ein solcher Neuanfang.

Da allerdings auch die Anschaffung eines Spritschluckers ein Neuanfang sein könnte, führt von Redeckers noch eine weitere Dimension an, welche für die Nachhaltigkeit der Bleibefreiheit Sorge tragen soll.

Diese dritte Dimension bezieht sich auf die Gezeiten der Natur, also die zyklischen Kreisläufe, wie die sich stetig wiederholende Abfolge der vier Jahreszeiten oder das Wachsen und Vergehen der Pflanzen. Mit diesen natürlichen Gezeiten sollten wir uns nicht nur vertraut machen, sondern sie durch unsere freiheitlichen Handlungen auch mindestens nicht beschädigen.

Stellenweise scheint die Autorin sogar noch eine stärkere These zu verteidigen: Wir müssen nicht nur Abstand nehmen von der Zerstörung der natürlichen Kreisläufe, sondern dieser auch aktiv entgegenarbeiten und uns für die Verhinderung des ökologischen Kahlschlags einsetzen.

Nachhaltigkeit und Feminismus

In ihrem schwungvoll geschriebenen und mit reichem Erfahrungsschatz unterfütterten Essay bringt von Redecker also die Idee der Nachhaltigkeit mit feministischen Theo­rien zusammen und macht diese für den von allen Seiten beschworenen Freiheitsbegriff fruchtbar. Damit liefert die Philosophin einen wichtigen Beitrag zu einem der wohl drängendsten Probleme der Gegenwart, nämlich der nötigen Neuverhandlung unseres Freiheitsverständnisses vor dem Hintergrund der ökologischen Krise.

Ihr Plädoyer, die verdeckten und gerade auch die natürlichen Quellen unserer Freiheit anzuerkennen und davon ausgehend vermeintliche Freiheitseinschränkungen neu zu überdenken, könnte die Schwalbe sein, die, wenn nicht vom nahenden Sommer, so doch von einer kommenden Veränderung unserer Idee der Freiheit Kunde bringt.

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7 Kommentare

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  • Ich stimme nicht zu. Freiheit bedeutet für sich genommen immer die Möglichkeit des Einzelnen, zu tun was ihm beliebt. Das kann in der Gemeinschaft nicht gut gehen, deshalb gibt es Beschränkungen der Freiheit, die in der Gemeinschaft ausgehandelt und von ihr gerechtfertigt werden müssen. An der Bedeutung des Freiheitsbegriffs ändern diese Beschränkungen allerdings nichts. Wer nun den Versuch unternimmt, den Begriff der Freiheit dahin neu zu definieren, dass ihm gewisse (welche?) Beschränkungen von vorneherein immanent sind, hintertreibt den Aushandlungsprozess zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Interessen, verwischt den Unterschied zwischen der Freiheit und ihren Schranken: Unfreiheit ist Freiheit. Das nimmt dem Einzelnen zumindest partiell die Möglichkeit, sich auf seine Freiheit zu berufen und ist ein totalitärer Ansatz, von dem man die Finger lassen sollte, finde ich.

    • @Jochen Laun:

      Ich verstehe Ihre Bedenken, aber Sie liegen falsch.

      "Freiheit" ist einfach nur ein Wort, eine Aneinanderreihung von Buchstaben oder Lauten. Und im Gegensatz zu "Fußgängerüberweg", "Bartmeise" oder "QR-Code" hat "Freiheit" keine immanente Bedeutung, sondern bedfeutet exakt das, als was es irgendjemand definiert:

      "Den Menschen vertrauen: Mehr Freiheit, weniger Staat!" (Maximilian Krah)



      "Und für den Frieden und die Freiheit müssen wir auch wirklich eintreten wollen, zur Not müssen wir dafür kämpfen [...]" (Friedrich Merz)



      "Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit." (Rosa Luxemburg)

      Alle 3 reden von "Freiheit", aber gemeint ist jedes Mal etwas anderes.

      Oder noch einfacher: schauen wir mal über den deutschen Tellerrand. Im Englischen gibt es "freedom" und "liberty", und das ist nicht ganz dasselbe.

      Totalitär ist also tatsächlich der Wunsch, den Begriff "Freiheit" auf eine *einzige* Definition zu verengen. Es ist ein Gummiwort, und darin liegen sowohl seine Stärke, als auch seine Gefahr.



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      • @Ajuga:

        Ich glaube, es ist doch recht klar, was Freiheit ist. Nämlich zu denken, zu sagen und zu tun, was man möchte. Es sind die Beschränkungen, über die man streitet. Und nein, Freiheit ist nicht nur ein Wort. Gewiß nicht.

  • Gibt es denn in Ländern, wo die Menschen sich deutlich genügsamer verhalten müssen, weniger Umweltprobleme?

    Fortschreitende Zivilisation brauchen generell immer mehr Ressourcen, da hilft auch keine Umdeutung von Begriffen!

  • Es mag ein interessanter Ansatz sein, über Freiheit und wie wir diese definieren sollten, nachzudenken, aber ich hege nicht die geringste Hoffnung, dass dies uns gesellschaftlich irgendetwas bringt.



    Nicht nur ist dieser Ansatz, für die Radikalität die es bräuchte, um ein schnelles Umdenken zu bewirken, viel zu akademisch, um die nötige Akzeptanz zu generieren. Der Ansatz trifft auch nicht die derzeitige Problemlage.



    Die Freiheit, um die es den Leuten geht, ist eine abstrakte, nicht greifbare. Es ist ein sinnentleerter Begriff, der bei Bedarf von politischen Akteuren aus dem Hut gezaubert wird, um zu oppunieren, ohne inhaltlich argumentieren zu müssen.



    Diesem nichts, kann man keine Idee entgegensetzen.

  • Äh? Was macht jetzt die Schwalbe? Sie bringt Kunde, dass Freiheit nur solange existiert, wie der Mensch existiert, von wegen zeitlicher Dimension? Und das diese Freiheit eingeschränkt werden muss?



    Fragen über Fragen.



    Freiheit war noch nie uneingeschränkt. Noch nicht einmal in den USA oder Paraguay. Dafür hat eine Gesellschaft Regeln - die sollten dann für alle gelten (was sie nie tuen). Im Bezug auf den Klimawandel kann das im Endeffekt nur heissen, es gibt ein persönliches CO2 Budget. Wer es nicht aufbraucht, kann es teuer an den nächsten Langstreckenreisenden verkaufen. Dann gibt es aber die Frage: Lokal oder global? Wenn global, müsste jede in D CO2 Rechte kaufen.

    • @fly:

      Ach was. Man kann auch jetzt schon in Deutschland locker so leben, daß es im Weltmittel prima hinhaut.



      Man muß es allerdings wollen ... und etwas erfüllende Arbeit macht es auch.

      Das Schwalbenbeispiel erscheint allerdings - und das mag nicht unbedingt an der Verfasserin, eher an der Autorin liegen - hier etwas bemüht.



      Man sollte hier aufpassen, sich nicht lächerlich zu machen.