Klimaethikerin zur Überforderung: „Wir sollten mehr tun“

Viele Menschen fühlen sich von Klimaschutzmaßnahmen überfordert. Die Klimaethikerin Kirsten Meyer erklärt, warum wir uns etwas abverlangen sollten.

Ein Mann steht in den Trümmern seines grün gestrichenen Hauses und schaut auf das Meer, dessen Wellen direkt vor seinem Haus brechen

Dieser Mann hat sein Familienhaus an den steigenden Meeresspiegel verloren Foto: Eranga Jayawardena/ap/dpa

wochentaz: Frau Meyer, die Klimakrise scheint viele Menschen herauszufordern. Manche verzweifeln angesichts der Erderwärmung. Andere fühlen sich von den Maßnahmen dagegen überfordert. Können Sie das alles nachvollziehen?

Kirsten Meyer: An diesen Überforderungen deutet sich ja schon an, dass das ein etwas vager Ausdruck ist. Wenn man den Klimawandel für so desaströs hält, dass man ihn am liebsten verdrängen will, ist das eine emotionale Überforderung. Das zweite ist eine ganz andere Art von wahrgenommener Überforderung. Da geht es darum, dass ich meinen Lebensstil einschränken muss, um etwas gegen den Klimawandel zu tun. In der Philosophie gibt es eine Debatte darüber, ob moralische Forderungen angepasst werden sollen, damit sie Menschen nicht überfordern.

Inwiefern?

Jahrgang 1974, ist Professorin für Praktische Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität, wo sie sich mit Klimaethik beschäftigt.

Kri­ti­ke­r*in­nen mancher Moraltheorien erheben den Einwand, dass diese überfordernd seien. Es gibt aber auch Philosoph*innen, die sagen, dass sich die Frage nach Überforderung gar nicht stellt. Da geht es nur darum: Was ist moralisch geboten? Es gibt ein altes Gesetz in der Philosophie, dass „Sollen“ auch „Können“ impliziert. Das heißt, wir sollen nur tun, was wir auch tun können. Das akzeptieren eigentlich alle. Aber es gibt auch Moralphilosoph*innen, die sagen: Wenn wir es dann wirklich sollen, dann müssen wir es auch tun.

Ganz praktisch auf den Klimawandel bezogen: Wenn wir unsere Emissionen senken können, sind wir auch dazu verpflichtet?

Genau. Mir scheint das beim Klimawandel nahezuliegen, weil wir mit unseren Emissionen ja massiv Schaden anrichten, jetzt und in der Zukunft. Dann ist es nicht angebracht, zu sagen: Es überfordert mich, die Schädigung zu unterlassen – wenn überfordern hier nicht heißt: „Ich kann es nicht“, sondern nur: „Es verlangt mir etwas ab“. Wenn es um unsere moralischen Verpflichtungen angesichts des Klimawandels geht, muss man vorsichtig sein mit dem Einwand der Überforderung.

Manchen verlangt es aber mehr ab als anderen. Oder?

Ich halte es für legitim, zu fordern, dass die einen nicht mehr schultern müssen als andere. Da muss auch berücksichtigt werden, wer seinen Lebensstil wie ändern muss. Wenn die einen sich sehr stark einschränken müssen, die anderen aber gar nicht, weil nur der CO2-Preis steigt, ist das ungerecht. Da scheinen mir Regulierungen, die alle gleich betreffen, manchmal das bessere Mittel.

Wie würde man ethisch begründen, wer die Kosten der Krise tragen muss?

In der Klimaethik ist das Verursacherprinzip weit verbreitet. Es besagt, dass jene, die sehr viel CO2 emittiert haben, sich deshalb jetzt besonders stark einschränken müssen. Wenn man dieses Prinzip auf die individuellen Emissionen anwendet, deckt es allerdings nicht alle CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung ab. Denn die Menschen, die heute leben, haben ja einen Großteil dieser Emissionen gar nicht verursacht. Da auch diese Emissionen heute Schäden anrichten, muss man anders begründen, wieso Menschen in Deutschland dafür aufkommen sollten. Hier kommt das Prinzip der Zahlungsfähigkeit ins Spiel: Für die Verhinderung des Klimawandels und die Anpassung daran sollten jene aufkommen, die es sich leisten können. Man kann aber auch sagen, dass die Belastungen, die mit dem Klimaschutz einhergehen, gleich hoch sein sollten. Der gleiche Betrag belastet aber Menschen mit geringeren Einkommen mehr als solche mit größeren. Klima- und Sozialpolitik gehören hier zusammen.

Manche Menschen glauben, dass ihr individueller Beitrag zum Klimaschutz nichtig sei. Sie sagen: Ich muss mehr Geld für eine Wärmepumpe zahlen, dabei geht es nur um einen kleinen Anteil des gesamtdeutschen CO2-Ausstoßes, und der ist nur ein kleiner Teil des globalen Ausstoßes.

Diese Menschen argumentieren also mit den direkten Folgen ihres Handelns. Aus moralischer Sicht ist aber nicht klar, dass es nur darum geht. Es gibt auch philosophische Traditionen, von der Goldenen Regel über den Kategorischen Imperativ, die verlangen, dass unser Handeln universalisierbar sein muss. Es können aber heute nicht alle so viel fliegen und so viel Fleisch essen wie wir in Europa. Unser Lebensstil ist also nicht verallgemeinerbar. Wir können Menschen anderswo auf der Welt nicht zugestehen, dass sie denselben Lebensstil und dieselben hohen Pro-Kopf-Emissionen haben wie wir.

Der Utilitarismus konzentriert sich dagegen stark auf die Folgen unseres Handelns. Utilitaristen, wie der australische Philosoph Peter Singer, wollen zweckorientiert den größtmöglichen Nutzen für alle erreichen.

Singer nimmt dabei eine globale Perspektive ein und meint, dass wir immer dann helfen sollen, wenn wir Leid verhindern können – selbst wenn wir es gar nicht selbst verursacht haben, zum Beispiel bei einem Erdbeben. Das ist eine sehr anspruchsvolle philosophische Position, die es hier meiner Meinung nach gar nicht braucht. Beim Klimawandel geht es nämlich nicht darum, dass wir anderen nur zu Hilfe kommen. Wir selbst verursachen vielmehr durch unsere Emissionen die Naturkatastrophen, unter denen sie leiden.

Kann die globale Sichtweise nicht trotzdem hilfreich sein?

Ja, er scheint mir einen wichtigen Punkt zu haben. Singer fragt sich, wieso so wenige Menschen geneigt sind, ihm zu folgen. Er glaubt nicht, dass das an seinem Utilitarismus liegt, sondern daran, dass wir Schwierigkeiten haben, uns die Situation anderer Menschen vorzustellen, wenn sie weit entfernt sind. Dasselbe trifft auf Langzeitwirkungen unseres Handelns zu, die in die fernere Zukunft reichen. Uns fehlt da oft die Vorstellungskraft. Wir sind moralisch leichter ansprechbar, wenn uns diejenigen, die von unserem Handeln negativ betroffen sind, direkt vor Augen stehen und ihre Ansprüche uns gegenüber vielleicht auch stärker einfordern können. Aber wie weit ein Mensch räumlich oder zeitlich entfernt ist, ändert nichts an unseren moralischen Verpflichtungen – besonders wenn wir selbst schädigen.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Aber wann sind Menschen zu Veränderungen bereit? Beim Fleischessen ist das Tierleid ein wichtiges Argument. Aber viele steigen wohl erst um, wenn es Alternativen gibt.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass diese verschiedenen Ebenen ineinander greifen müssen. Wenn es nicht gewisse Vorreiter gegeben hätte, die in den Supermarktregalen zu Fleischersatzprodukten gegriffen haben, als die noch nicht etabliert waren, dann würden die da gar nicht mehr liegen. Je mehr solcher Produkte es gibt, desto eher kommt man auf die Idee, es zu probieren. Und stellt dann fest: Grillen mit Tofuwürstchen macht jetzt echt Spaß! Vielleicht entdeckt man die Vorzüge von Fleischersatzprodukten aber auch, wenn man einen Tag in der Woche in der Kantine kein Fleisch findet.

Also sanfter Zwang. Sind Sie als Moralphilosophin nicht eher für das beste Argument?

Ja, beim Veggie-Day würde die Freiheit eingeschränkt, an diesem einen Tag in der Woche mittags Fleisch zu essen. Man muss sich aber auch klarmachen, dass Freiheiten oft eingeschränkt werden, um andere Freiheiten zu schützen. Die Freiheit der einen, ein Verbrenner-Auto zu fahren, verträgt sich eben nicht mit der Freiheit der anderen, ihr Eigentum vor Überschwemmungen geschützt zu wissen, weil die CO2-Emissionen letztlich solche Überschwemmungen verursachen. Freiheitseinschränkungen sind hier vielleicht nicht das schlechteste Mittel.

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