Brexit-Verhandlungen: Showdown per Videoschalte

Die vorerst letzte Verhandlungsrunde über ein neues Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU beginnt. Mit Sturheit auf beiden Seiten.

Zwei Personen holen eine Britische Flagge ein.

Es bleibt nur noch wenig Zeit, um einen „No-Deal-Brexit“ zu vermeiden Foto: Olivier Hoslet/reuters

BERLIN/BRÜSSEL taz | Den Begriff „No Deal“ hatte die EU eigentlich aus ihrem Wörterbuch gestrichen. Schließlich ist Großbritannien aus der Union ausgetreten – mit einem ordentlichen Vertrag. Doch nun geht schon wieder die Angst vor einem „No Deal“ in Brüssel um – im Zusammenhang mit dem Handelsvertrag, der die EU-Mitgliedschaft ersetzen soll.

„Wir stehen kurz vor dem Moment der Wahrheit“, erklärte der SPD-Handelsexperte im Europaparlament, Bernd Lange, zum Auftakt der vierten und wohl letzten Verhandlungsrunde, die am Dienstag begann und per Videoschalte läuft. Sollte sich London auch diese Woche nicht bewegen, „müssen wir uns auf einen ungeregelten, harten Brexit zum 1. Januar 2021 einstellen“, warnt Lange.

Berichte über eine mögliche Annäherung seien „Wunschdenken“, bestätigte der Sprecher des britischen Premierministers Boris Johnson am Dienstagnachmittag: „Wir können nichts zustimmen, womit wir unsere Rechte als unabhängiger Staat aufgeben würden.“

Aus EU-Sicht steht diese Haltung Londons im Widerspruch zum Brexit-Deal von 2019, das den britischen Austritt aus der EU zum 31. Januar 2020 möglich gemacht hatte. „Großbritannien hat einen Schritt zurück gemacht, zwei, drei Schritte, von seinen ursprünglichen Zusagen“, sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier der britischen Sunday Times. Es klang wie eine Drohung.

Am 31. Dezember endet die vereinbarte einjährige Übergangsfrist, in der alle EU-Regeln in Großbritannien vorerst weiter gelten. Wenn bis dahin kein Handelsabkommen steht, gelten ab dann die strikten Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Dies könnte neue Zollschranken und das Ende des freien Zugangs Großbritanniens zum EU-Binnenmarkt bedeuten – mit, so wird befürchtet, Chaos an den Grenzen und Einbrüchen beim Handel.

Verlängerung ist ausgeschlossen

Die Übergangsphase kann zwar noch verlängert werden, doch das können die beiden Seiten nur gemeinsam beschließen und laut Brexit-Vertrag bleibt dafür nur bis Ende Juni Zeit. Der britische Premier Boris Johnson hat eine Verlängerung aber mehrfach ausgeschlossen und dies sogar 2019 in der britischen Brexit-Gesetzgebung festgeschrieben. Was das bedeutet, ist in London umstritten. Johnsons Kritiker sagen, er steuere auf einen No-Deal zu. Seine Anhänger sagen, nur das Festhalten an der Frist mache eine Einigung möglich; wenn man sich jetzt schon auf eine Verlängerung verständige, weiche jeder Druck, sich zu einigen.

Wichtig dabei ist: Je länger die Übergangsphase andauert, desto länger muss Großbritannien alle EU-Beschlüsse umsetzen und in den EU-Haushalt einzahlen, so als wäre es Mitglied. In konservativen Kreisen in London kursieren astronomische Zahlen, was das die Briten kosten könnte, vor allem unter Berücksichtigung der EU-Pläne für gigantische Corona-Wiederaufbauprogramme. Und man vermutet, dass Brüssel genau aus diesem Grund eine Verlängerung möchte, und nicht, weil kein Deal in Reichweite sei.

Doch Johnson versteht unter einem Deal etwas völlig anderes als Barnier oder von der Leyen. Der Brite strebt ein Freihandelsabkommen mit der EU nach dem Vorbild des Ceta-Deals mit Kanada an – ohne Zölle, Quoten oder andere Handelsschranken.

Demgegenüber will die EU Großbritannien so nah wie möglich am Binnenmarkt halten. Das Stichwort heißt „level playing field“, also gleiche oder annähernd gleiche Standards bei Steuern, Abgaben und in der Sozial- und Umweltpolitik, vom Europäischen Gerichtshof kontrolliert – eine rote Linie für London.

Zudem fordert die EU gleichbleibenden Zugang der Fischereiflotten der EU-Staaten zu den britischen Fischgründen. Großbritannien hingegen will lieber ein regelmäßig neu ausgehandeltes Fischereiabkommen, so wie die EU es mit Norwegen hat.

„Man lässt uns keine echte Wahl“, klagt der britische Chefunterhändler David Frost. Brüssel biete nur alles (Freihandel zu EU-Regeln) oder nichts (WTO-Zölle). London strebe einen Kompromiss zwischen diesen beiden Extremen an. Damit dies möglich werde, müsse Brüssel aber endlich aufhören, Großbritannien so zu behandeln, als sei es immer noch EU-Mitglied.

Johnson setzt offenbar auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, um den Knoten durchzuschlagen. Doch von der Leyen ziert sich. Auf die Frage, ob es bald Verhandlungen auf Chefebene geben würde, reagierte ein Kommissionssprecher ausweichend. Im Prinzip seien solche Gespräche bereits im vergangenen Herbst vereinbart worden, hieß es. Einen Termin – etwa am Rande des nächsten EU-Gipfels am 19. Juni – wollte er jedoch nicht nennen.

Was bei der Aufregung über „No Deal“ untergeht: Selbst ohne Einigung gilt der Brexit-Deal von 2019 weiter. Die gegenseitige Anerkennung der Rechte von Bürgern, das Nordirland-Protokoll und all die anderen Festlegungen behalten ihre Gültigkeit.

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