Ökonom Gabriel Felbermayr über Freihandelsabkommen: „Es muss ja nicht TTIP 2.0 sein“
Asiens neues Handelsabkommen setzt USA und EU unter Druck, auch Verträge auszuhandeln, sagt Ökonom Gabriel Felbermayr. Noch wichtiger sei Kooperation.
taz: Herr Felbermayr, in Asien haben 14 Staaten die weltgrößte Zone für Freihandel geschaffen. Was wird das für Folgen für Europa haben?
Gabriel Felbermayr: Diese Länder hatten untereinander schon vorher bilaterale Freihandelsabkommen. Diese werden jetzt nur vereinheitlicht und vertieft. Aber klar: Wenn die asiatischen Länder untereinander stärker kooperieren, könnten europäische Unternehmen Marktanteile verlieren. Für allzu groß halte ich das Problem aber nicht. Die EU hat mit Japan ein Freihandelsabkommen, ebenso mit Südkorea, Singapur und Vietnam. Wir verhandeln mit Australien, Neuseeland, Indonesien, Thailand und den Philippinen. Das dürfte einiges wieder ausgleichen.
Er ist Jahrgang 1976 und ist Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung und ist unter anderem Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Bis September 2021 war er Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Felbermayer hat unter anderem umfangreiche Studien zu den Auswirkungen der Sanktionspolitik gegen Russland durchgeführt und untersucht Abhängigkeiten der deutschen und europäischen Wirtschaft von China.
Trump setzte auf Entkopplung, auch hierzulande war die Kritik an transatlantischen Abkommen wie Ceta und TTIP groß.
Der Schwerpunkt der Weltwirtschaft verlagert sich aber schon seit 20 Jahren Richtung Asien, und das dürfte sich weiter verstärken. Das nun vereinbarte Abkommen ist nur Ausdruck dieser Entwicklung.
Setzt das asiatische Abkommen Europa und die USA unter Druck, doch wieder verstärkt auf Freihandel zu setzen?
Ja, diesen Druck gibt es. Unter Biden als Präsident dürften sich die USA in Asien wieder stärker einbringen. Was das transatlantische Verhältnis betrifft, dürfte die Gesprächsbasis ebenfalls eine andere sein als unter Trump. Es muss ja nicht gleich zu TTIP 2.0 kommen. TTIP war zu überfrachtet mit Themen, die gar nicht mit Handel zu tun hatten. Auch deswegen waren die Verhandlungen gescheitert. Eins sollte uns aber klar sein: Je stärker sich, wie beim Streit zwischen Boeing und Airbus, Europa und die USA gegenseitig mit Strafzöllen belegen, umso besser ist das für Konkurrenten in Asien. China und Russland, die beide Flugzeuge bauen wollen, arbeiten zusammen. Konkrete Kooperation ist wichtiger als überambitionierte Freihandelsabkommen.
Wichtige Themen wie Klimaschutz und soziale Rechte tauchen so gut wie gar nicht auf.
Klar, wenn wir mit Indonesien verhandeln, ist Klimaschutz ein wichtiger Aspekt – zu viel stünde auf dem Spiel, wenn Freihandel zu noch mehr Abholzung der für die ganze Welt wichtigen Regenwälder führen würde. Wenn es aber um lokale Umweltverstöße geht, sollten wir uns nicht zu sehr in die Belange anderer Länder einmischen. Und auch bei sozialen Rechten würde ich die Verhandlungen nicht überfrachten. Die Einhaltung der allgemeinen Menschenrechte darf nicht infrage stehen. Darauf pochen die Europäer bei den Verhandlungen auch. Für alles, was aber darüber hinausgeht, sind die Länder selbst zuständig. Wir wollen umgekehrt ja auch nicht, dass Handelspartner uns vorschreiben, wie wir unsere Arbeitsplätze zu regulieren haben.
Von noch mehr Freihandel profitieren meist große Unternehmen, kleine Betriebe leiden hingegen, wegen Lohndumping oft auch Arbeitnehmer*innen. Ist es womöglich von Vorteil, wenn Europa und die USA auf weniger Freihandel setzen?
Nein, das sehe ich nicht so. Die Frage ist eher: Wie können wir mit geeigneten Maßnahmen die negativen Folgen von Freihandel abfedern? Es gibt genug Beispiele dafür, dass die Transformation von traditionellen Industrieregionen in moderne Dienstleistungs- und Technologiezentren funktionieren kann. Auch hierzulande gibt es Regionen, die es schwer haben. Aber im Wesentlichen funktioniert das besser als in vielen Teilen der USA. Das Problem dort ist aber die verfehlte Sozialpolitik. Wenn dort Industriearbeiter ihre Arbeitsplätze verlieren, haben sie auch gleich keine Sozialversicherung mehr.
Leser*innenkommentare
Sinulog
was will europa in zukunft den noch an andere länder liefern außer regulierung und verbote ? die anderen länder bzw die bevölkerung da will einen höheren lebensstandard denen ist scheiß egal was wir in europa darüber denken.
J_CGN
Wenn es lediglich um Zölle geht, wäre ein Freihandelsabkommen ja wenig problematisch.
Nur die Dinge wie "nicht-tariffäre Hemmnisse" also z.B. Arbeitrechte, Umweltbedingungen, etc. sind schwer zu vereinheitlichen, da US und EU völlig andere Methoden anwenden - Vorsorgeprnzip vs. rigide Strafen bei Fehlern.
Auch regulatorische Ausschüsse und ISDS sind schlicht demokratief3indlich und inakzeptabel.
All dass außen vor zu lassen schmälert jedoch den Gewinn, den die transnationalen Komzerne aus diesen Abkommen ziehen.
Drabiniok Dieter
Wohin man auch schaut, von der taz bis zur faz, von brand eins bis zum Manager-Magazin: Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Ökonomen einen Blick aus ihrem Elfenbeinturm hinaus wagen.
Neuer ASEAN Pakt oder die neue Seidenstraße verdeutlichen auf globaler Ebene, dass es immer noch nur um Wachstum und die Entwicklung neuer Märkte und Absatzmärkte geht.
Der Klimawandel, die soziale Ungleichheit, die Menschenrechte, die Umweltzerstörung, die Korruption... nur sprachlich schmückendes Beiwerk rund um das Weiter so.
Empfehlungen, dass der afrikanische Kontinent doch bitte das "fossile Zeitalter" überspringen soll, damit wir (Industrienationen) mehr Zeit zur Erreichung der Pariser Klimaziele bekommen (Graichen, AGORA Energiewende) sind gerade auf zon zu lesen. Die gleiche Empfehlung kam schon 2013 von Ralf Fücks für Süd-Ostasien.
Bei uns werden Tiefbahnhöfe (Frankfurt a.M., HH) und ein Weltraumbahnhof geplant, neben neuen Autofabriken nebst komplett neuer Lade-Infrastruktur... Mit dem EU Green Deal sollen u.a. 75% des europäischen Gebäudebestandes energetisch saniert werden... Viel Spaß bei der Vorstellung, dies nur in Dörfern, geschweige denn in den Hauptstädten, bis 2035 realisieren zu wollen. Vom Energie- und Personalaufwand gar nicht zu reden.
Es mangelt nicht an Nachhaltigkeit bei der Verbreitung von Illusionen, dass ein "Weiter so" die erforderlichen Veränderungen bewirken werden.
Heiner Petersen
Würde ihn zu diesem Thema gerne einmal in einem Streitgespräch mit Maja Göpel hören.....