Bremer Senatorin über Verkehrsversuche: „Man braucht Akzeptanz“
Vollsperrung, Liegestühle, Einbahnstraße: Wie Verkehrswende aussehen kann, versucht Bremen mit Experimenten herauszufinden.
taz: Frau Schaefer, warum brauchen wir die Verkehrsversuche in der Bremer Martinistraße?
Maike Schaefer: Wir haben im rot-grün-roten Koalitionsvertrag eine autofreie Innenstadt bis 2030 vereinbart. Die einzelnen Maßnahmen werden in einem Beirat beschlossen, in dem neben Politiker:innen und Ressorts unter anderem auch die Handelskammer, BUND und der ADFC sitzen. Dass in der Martinistraße aus vier Spuren für die Autos höchstens zwei werden sollen, war schon immer Konsens. Da sich die Akteur:innen aber zwischen den Varianten Vollsperrung, Beidrichtungsverkehr und Einbahnverkehr nicht einigen konnten, machen wir die Verkehrsversuche, um eine solide Datengrundlage zu schaffen. Wir wollen wissen, wie sich die Verkehrsströme verlagern.
Grüne wollen eine Verkehrswende, die Handelskammer sträubt sich. Ist das ein Konflikt zwischen Klima und Wirtschaft?
Ich hoffe nicht. Natürlich hat die Verkehrswende etwas mit Klimaschutz zu tun, ganz viel sogar. Aber wir wollen auch eine höhere Aufenthaltsqualität in der Innenstadt erreichen. Es gilt, den Menschen zu zeigen, was man mit diesem neu gewonnenen Platz machen kann, wenn da nicht lärmende Blechlawinen durchfahren. Mir scheint, es geht bei der Kritik eher um die Sorge der Handelstreibenden, dass Kundschaft ausfällt. Das tut sie auch, aber die Probleme liegen nicht im Verkehr, sondern in Corona und dem Online-Handel. Die Obernstraße, die Haupteinkaufsstraße in der Innenstadt, ist eine unattraktive Betonschlucht mit zu hohen Mieten. Das wollen und müssen wir ändern!
50, ist seit 2019 Bremer Bürgermeisterin und Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Davor war sie Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft.
Was lief bei den Versuchen gut?
Da gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Ich habe das Gefühl, dass Menschen sich mit Veränderungen immer schwertun. Bei aller Kritik haben wir aber auch sehr viel Zustimmung bekommen. Die Vollsperrung haben wir mit vielen Aktionen flankiert: Das Konzert von Danger Dan war super gut besucht. Die Surfwelle war während der ganzen Zeit ausgebucht. Damit wollen wir Menschen zurück in die Innenstadt holen. Gerade jüngere Menschen, die wenig Lust haben, ausschließlich shoppen zu gehen. Was wir bei allen Versuchsvarianten gesehen haben: Es gab kein Chaos.
Was lief schlecht?
Ich glaube diejenigen, die sich beschwert haben, hätten sich auch in zwei Jahren noch beschwert. Nicht gut lief, dass es in der Martinistraße keine klare Verkehrsführung gab. Ich habe mich als Fahrradfahrerin gefragt, wieso die mich von der Straße gegen den Bordstein geleitet haben. Dafür ist es auch gut, so einen Versuch zu machen und zu sehen: „Das hat jetzt mal nicht so gut funktioniert.“ Wir lernen daraus und machen es in der aktuellen Phase sowie darüber hinaus besser durch eine deutliche Verkehrsführung.
Die Handelskammer kritisierte die schlechte Absprache.
Das teile ich nicht. Wir haben wirklich viel kommuniziert. Ich glaube, alle waren überrascht, dass die Versuche dann auch wirklich zügig umgesetzt wurden. Meiner Meinung nach sind die Ladenbesitzer:innen kaum eingeschränkt gewesen. Bei der Vollsperrung, klar, da fuhren mal zwei Wochen lang keine Autos durch die Martinistraße – das große Parkhaus war aber selbst da sogar immer noch erreichbar. Die Martinistraße ist eine Durchgangsstraße. Die wenigsten fahren dahin, um ein Geschäft anzusteuern. Ich verstehe die Sorge der Geschäftsleute, weil es ihnen sowieso gerade nicht gut geht. Es ist immer schwierig zu sagen, warum jetzt keine Kund*innen kommen. Aber alles auf den Verkehrsversuch zu schieben, das ist zu einfach.
Haben Sie die Emotionalität der Reaktionen unterschätzt?
Nein. Ich glaube, der Aufschrei am Anfang ist immer da. Ich finde manchmal die Art und Weise, wie kritisiert wird, schwierig. Aber dass die Autolobby sich beschwert, wenn man den Autoverkehr herausnimmt, hat mich jetzt nicht so verwundert. In Deutschland ist über Jahrzehnte hinweg alles sehr auf den Autoverkehr und die autogerechte Stadt fokussiert gewesen. Manchmal ist das auch ein Generationenthema. Wer immer gewohnt war, sich viel mit dem Auto fortzubewegen, kann sich die Alternativen nur schwer vorstellen.
Dann ist der Protest meist groß.
Als wir 2008 beschlossen haben, Tempo 120 auf der Autobahn als Regelgeschwindigkeit einzuführen, ging auch erst mal bei vielen gefühlt die Welt unter. Jetzt ist das kein Thema mehr. Andere Beispiele aus Bremen sind der Concordia-Tunnel, der rote Fahrradstreifen im Herdentor, die Ampeln in der Kurfürstenallee. Da gab es auch viel Kritik. Am Ende zeigt sich doch immer: Es funktioniert, man gewöhnt sich dran. Der Vorwurf ist schnell, dass Grüne nur gegen Autofahrer:innen seien. Aber es gibt ja immer auch eine andere Seite: die Mobilitätseingeschränkten, die Radfahrer:innen, das Klima.
Was wird nun aus der Martinistraße?
Wir werden die Daten im April komplett auswerten. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Vollsperrung die unwahrscheinlichste Variante. Die autofreie Innenstadt ist natürlich irgendwann das Ziel, da gehört die Martinistraße dazu. Wenn wir es uns einfach machen wollten, würden wir überall in der Innenstadt Einfahrt-Verboten-Schilder aufstellen. Das würde nicht wirklich für Akzeptanz sorgen. Akzeptanz braucht man aber am Ende dann auch für eine Verkehrswende.
„Rollt durch die City nur noch Rasen?“ mit Bonnie Fenton (ADFC), Gunnar Polzin (Senatorin für Mobilität), Thore Schäck (FDP), Christian von Wissel (Hochschule Bremen), Moderation: Alina Götz (taz Bremen). Mittwoch, 24. November, 19 Uhr, Kulturzentrum Lagerhaus, Schildstraße 12-19, Bremen. Eintritt frei, Anmeldung unter anmeldung@taz-nord.de
Wenn die Martinistraße also erst mal bloß zweispurig wird: Was kann sich dadurch wirklich verändern?
Wir schaffen viel Raum für den Fußverkehr. So ist Flanieren ganz anders möglich. Radfahrer:innen bekommen mehr Platz, wir verbessern die Sicherheit im Verkehr. Klar, da werden noch Autos fahren, aber eben deutlich weniger. Das heißt weniger Lärm, weniger Abgase. Das macht schon etwas Positives mit dem Ambiente. Es ist erst mal ein Kompromiss, in noch größeren Schritten geht es gerade nicht. Die Verkehrswende ist kein Selbstläufer. Da müssen wir viel Überzeugungsarbeit leisten. Und manchmal eben auch „einfach mal machen“, auch wenn es nicht allen gefällt.
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