Brände in Argentinien: Das Feuer und der Fluss
In einem Feuchtgebiet Argentiniens brennt es seit drei Jahren immer zur selben Zeit. Das Ökosystem ist wichtig für Umwelt und Klima. Wer ist schuld?
W ieder ein wolkenloser Morgen, wieder wird kein Regen fallen, so geht das schon seit Monaten. Noch weiß Rinderzüchter Enzo Mariani nicht, wie arg es an diesem Tag wird, aber er ahnt es, als er das Haus verlässt: Ein beißender Geruch schlägt ihm entgegen. Rauch, den der Wind an diesem Tag bis ins 300 Kilometer entfernte Buenos Aires trägt. Rauch, der die Bewohner:innen des Flussdeltas um den Paraná schon seit Wochen nicht mehr durchatmen lässt. Rauch, der für Eilsendungen im Fernsehen und landesweite Proteste sorgt. Und Rauch, der aus Feuern aufsteigt, die gerade Marianis Land niederbrennen.
Dorthin bricht Mariani an diesem Augusttag auf. Er wird an diesem wie auch an den folgenden Tagen bis nach Mitternacht mit einem Löschwasserrucksack kleine Brandherde löschen, bevor sie zu großen Flammen werden können. Flammen, die sich trotzdem durchsetzen und bis zum Ende der Woche 200 Hektar seines Weidelands vernichten werden.
Enzo Mariani ist 70 Jahre alt, Rinderzüchter und Jachthafenbesitzer aus Rosario, der drittgrößten Stadt Argentiniens am Westufer des Flusses Paraná. Auf der anderen Uferseite, etwas weiter nördlich, betreibt er auf den Inseln des Flussdeltas als einer von rund 2.000 Viehzüchtern eine Farm, Mariani hält dort knapp 800 Tiere. Er sagt: „Das Schlimmste ist, dass die Brände mit Absicht gelegt werden.“
Streit um ein Ökosystem
Auf die Brände im brasilianischen Regenwald blickt die internationale Öffentlichkeit mit Entsetzen. Aber auch in Argentinien zerstören Feuer immer wieder Tausende Hektar Natur. Ausgerechnet in einem Feuchtgebiet, einem Biotop, das viele Tonnen CO2 speichert. Seit drei Jahren brennt es im Flussdelta des Paraná immer zur gleichen Zeit, im August, wenn der Winter auf der Südhalbkugel sich dem Ende zu neigt. Nach Angaben des argentinischen Umweltministeriums sind seit 2020 etwa 6.000 Quadratkilometer des Flussdeltas abgebrannt, fast ein Drittel der gesamten Fläche. Umweltaktivist:innen und „Ganaderos“, Rinderzüchter, beschuldigen sich gegenseitig der Brandstiftung. Es ist ein Konflikt mit verworrener Faktenlage – und mit fatalen Folgen für Klima und Umwelt.
Ende September brennt es nicht mehr auf Marianis Land, aber noch immer kann man am Horizont vereinzelt Rauchsäulen aufsteigen sehen. Der Rinderzüchter will der Reporterin heute zeigen, warum die, die mit dem Finger auf sie, die Ganaderos, zeigen, falsch liegen – die Umweltaktivisten, die Politiker, die Städter. Treffpunkt ist Marianis Jachthafen. Weil sein Land schwer zu erreichen sei, hat Mariani seinen Kollegen Enrique Goset herbestellt, ein hochgewachsener Mann, 62 Jahre alt, Käppi, Rayban-Fliegersonnenbrille, ein Lederetui mit Taschenmesser klemmt an seinem Gürtel. Mariani, mit Segelschuhen an den Füßen und Panamahut auf dem Kopf, führt zu einer kleinen Jacht mit beigen Lederbezügen.
Er startet den Motor, und bald rasen sie über den Paraná. Rosario liegt hinter ihnen, nun säumen Hafenanlagen das Ufer. Der Fluss ist der zweitlängste Südamerikas nach dem Amazonas. Rund 80 Prozent der landwirtschaftlichen Exportprodukte Argentiniens, vor allem Soja, Weizen und Mais werden auf ihm verschifft. Auf der gegenüberliegenden Uferseite fängt kein Gebäude, kein Strommast den Blick. Nur ein gerader Streifen Grün zieht vorbei, hier ein paar saufende Kühe, dort ein wackeliges Haus auf Pfählen.
Hier beginnt das Flussdelta. Auf Luftaufnahmen sieht es aus wie ein von Adern durchzogenes Organ, wie eine Leber, die den Fluss entgiftet. Sattgrün hebt es sich von seiner Umgebung ab, zwischen den Wasseradern große und kleine Inseln, die von Wasserschweinen, Wildkatzen und Vögeln bewohnt werden. Auch ein paar tausend Menschen leben hier, versprengt in kleinen Siedlungen. Seit über 100 Jahren koexistieren Mensch und Tier auf den Inseln, viele Bewohner:innen leben vom Fischfang, andere arbeiten als Gauchos, also Rindertreiber, für Landbesitzer wie Mariani und Goset. Lange lebten die Leute hier im Einklang mit den Gezeiten des Flusses, dessen Wasserstand maßgeblich von den Regenfällen im brasilianischen Regenwald abhängt. Traten der Fluss und seine Arme über die Ufer, trieben die Gauchos die Rinder auf die inneren Weiden oder verkauften sie früh genug aufs Festland.
Bis Ende der 1990er der Bau einer Brücke das Leben auf den Inseln veränderte. 4,1 Kilometer lang und 21,3 Meter breit, verbindet sie die Stadt mit dem Flussdelta. Aktivist:innen, die sich für den Schutz der Feuchtgebiete einsetzen, sagen heute: „Mit der Brücke fing alles an“, und meinen damit die Zerstörung des Deltas, den „Ökozid“. Mariani sagt: „Für uns war die Brücke ein Segen“, denn endlich ließ sich schweres Gerät auf die Inseln transportieren, um Dämme zu bauen, gegen die Gezeiten des Flusses und für allzeit trockene Weiden. Weiden, die seit drei Jahren auf Luftaufnahmen nicht mehr sattgrün sind, sondern rostrot.
Seit Ende 2019 regnet es im Delta immer seltener und weniger. Das periodisch wiederkehrende Phänomen „La Niña“ bestimmt nun das Wetter, der Klimawandel verstärkt die Intensität der üblichen Dürreperiode. 2022 geht „La Niña“ in das dritte Jahr infolge, zum ersten Mal in diesem Jahrhundert.
Das Problem bringt die Ganaderos der Inseln zusammen, denn mit der Dürre kommt das Feuer und mit diesem die Schuldzuweisungen. Der Vorwurf: Brandrodung – eine Jahrhunderte alte Kulturtechnik, angewandt fast überall auf der Welt, wo Nutztiere gehalten werden. Auch im Delta sei das üblich, heißt es auf der Webseite des Umweltministeriums. Doch die Dämme und die Dürre führten dazu, dass die Weiden sich in Brennstoff verwandelten. Goset aber sagt: „Wir machen das längst nicht mehr so.“
Enrique Goset, Rinderzüchter
„Um sich zu wehren“, sagt Mariani, gründen 80 Ganaderos im Juli 2021 die „Bürgervereinigung Insel-Gemeinschaft“. Sie organisieren Versammlungen, laden Journalist:innen ein und veröffentlichen Videos auf Youtube, in denen die Wortführer vom „Feuerkrieg“ sprechen.
Mariani bremst die Jacht und fährt langsam das Ufer von Gosets Farm an. An Land weist Goset seinen Mitarbeiter an, die Pferde zu satteln. Goset reitet voran, Mariani folgt. Es geht durch ein paar Gatter, wohlgenährte Rinder tauchen im Gebüsch auf. Vor einem Zaun bleiben die Männer zu Pferd stehen. „Diese Fläche ist letztes Jahr komplett abgebrannt, aber vom Brand ist nichts mehr zu sehen, alles wieder nachgewachsen. Wo soll hier der Ökozid sein?“, fragt Goset. Für die beiden Ganaderos ist die „Mär vom Ökozid“ ein Druckmittel der Umweltaktivist:innen. Da werde das Leben von ein paar Wasserschweinen gegen den Wohlstand einer ganzen Region aufgewogen. Die Studien, auf die sie sich bezögen, seien tendenziös. Die Kühe seien sogar ein natürlicher Brandschutz, da sie die Vegetation klein hielten. „Sie wollen uns hier vertreiben, mit Feuer“, sagt Goset.
Der Ritt führt weiter durch ein Dickicht aus meterhohen, scharfkantigen Gräsern. Dann zeigt Goset auf einen Baum, an dessen Stamm etwa 20 Zentimeter über dem Boden eine feine, horizontale Linie verläuft. Die Linie zeige an, wie hoch hier einst das Wasser stand, bis die Dürre kam. In 50 Jahren habe er so etwas nicht erlebt.
Mariani sagt, er habe ein Video zugeschickt bekommen, in dem ein US-Geologe in einem Interview gesagt habe, Dürren habe es schon immer gegeben, es handele sich um ein „periodisch auftretendes natürliches Phänomen“. Auf den Einwand, dass der Klimawandel aktuelle Dürren immens verstärke, schüttelt Mariani den Kopf, „das ist alles Teil einer großen Erzählung“.
Wenn sie es nicht seien, die die Brände legten, wer ist es dann, und wer wolle sie angeblich von den Inseln vertreiben? Die Brände würden absichtlich gelegt, von der „Greenpeace-Jugend aus der Stadt“, um Druck auf die Politik auszuüben und ein Schutzgesetz voranzutreiben. Ein Gesetz, das alle Feuchtgebiete Argentiniens vor der Ausweitung von Agrarflächen bewahren soll.
Tatsächlich wird das bereits seit Jahren gefordert. Doch das Gesetz scheitert immer wieder am Widerstand der Agrar- und Immobilienindustrie. Laut Mariani und Goset hätten die Aktivist:innen finanzielle Interessen. Mit dem Schutzgesetz würde Geld in die Kassen von Ministerien und Organisationen gespült, um Schutzprojekte umzusetzen, und dieses Geld versickere. Belege dafür haben sie keine. Goset aber fährt unbeirrt fort: „Wegen dieser Leute sind wir ein reiches Land, das in Armut lebt.“
Mit „diesen Leuten“ meint Goset auch die aktuelle links-peronistische Regierung. Sie regierte auch 2008 unter Cristina Kirchner – damals Präsidentin, aktuell Vizepräsidentin. Unter ihr sollte ein neues System für Ausfuhrsteuern für Agrarprodukte eingeführt werden, das von weiten Teilen des Agrarsektors abgelehnt wurde. Es kam zu Streiks, Straßensperren, Lieferengpässen und zur Vertiefung einer gesellschaftlichen Spaltung, die das Land bis heute prägt. „La grieta“, der Riss, teilt das Land in ein konservatives Lager, das die Interessen der Industriezweige vertritt, und ein progressives, urbaneres Spektrum.
Mariani sagt, er sei der Böse in diesem Film. Ein Rinderzüchter, dessen Name bei Demonstrationen oft auf Plakaten zu lesen ist: „Klar, haben die mich auf dem Kieker, der Mann mit dem Geld, mit den Jachten.“
Finger weg vom Flussdelta
In einer Bar im Zentrum Rosarios treffen sich an diesem Abend, so wie jeden Dienstag, die Gegner:innen von Mariani und den anderen Rinderzüchtern. Eine Anwältin für Arbeitsrecht, eine Sozialarbeiterin und ein Naturfotograf, vor 10 Jahren taten sie sich unter dem Namen „Finger weg vom Paraná“ zusammen, um das Flussdelta zu schützen. Heute sind sie eine fünfzehnköpfige Initiative, die sich in Studien und Gesetzestexte einliest, auf Veranstaltungen darüber informiert und auf Instagram und Facebook zu Demos aufruft.
Anstoß dazu gab ihnen 2012 eine Entdeckung. Auf einer Kajakfahrt durch das Flussdelta sahen sie, dass jemand auf einer Insel kilometerlange illegale Dämme angelegt und damit vier Wasseradern gekappt hatte, um das Land trockenzulegen. Dieser Jemand, wie sich bald herausstellte, war Enzo Mariani. Seither beobachten sie, was Mariani auf seinem Land tut. Kurz darauf wurde zudem öffentlich, dass er seine Rinder auf 800 Hektar öffentlichem Land weiden lässt. Die drei Aktivist:innen nennen das unrechtmäßige Aneignung. Mariani sagt, die Besitzverhältnisse seien ungeklärt. Erst im Mai 2022 scheiterte Mariani erneut vor einem Gericht.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Romina Araguas, die Anwältin, 44 Jahre alt, streicht sich die graue Tolle aus dem Gesicht, spricht schnell, routiniert und mit einem Lächeln über Mariani. Er sei geschickt darin, Leute mit höflichem Charme und der Aura eines wohlwollenden älteren Herren von seiner vermeintlichen Unschuld zu überzeugen: „Aber die Fakten sprechen gegen ihn.“ Araguas wehrt sich gegen den Vorwurf, sie wollten jede landwirtschaftliche Aktivität auf den Inseln verbieten. „Wir sind nicht per se gegen Kühe im Delta, aber ihre Haltung muss nachhaltig sein, vom Staat reguliert und kontrolliert werden.“ Nachhaltige Viehzucht bedeute weniger Tiere auf größeren Flächen und keine schweren Eingriffe in das Ökosystem durch die Umleitung von Wasser oder das Legen von Bränden.
Aber wenn die Gemeinschaft der Ganaderos die Schuld an den Feuern von sich weist, wer könnte noch dahinter stecken? Schweigen, Schulterzucken, ratlose Gesichter. Der Naturfotograf neben Araguas sagt: „Vielleicht sind es doch die Jäger“, die Sozialarbeiterin am Tischende: „Oder die Immobilienspekulanten.“
Die Berichte von Feuerwehr und Polizei sprechen gegen die These, dass Jäger:innen die Feuer durch Funkenflug aus ihren Gewehren ausgelöst haben könnten. Auch, dass Vertreter:innen der Immobilienindustrie die Weiden mit absichtlichen Feuern für die landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar machen wollten, damit sie langfristig in Bauland umgewandelt werden, erscheint Araguas bei der Anzahl und Verteilung der Feuer unwahrscheinlich. Mitte August nahm die Polizei erstmals sieben Personen fest, sechs Imker und einen Stallburschen. Zehn Tage später wurden sie entlassen, zu einem Prozess kam es nicht.
Mitte September riefen Araguas und ihre Kolleg:innen der Gruppe „Finger weg vom Paraná“ auf allen Kanälen zum Protest auf. Mit über 400 anderen Initiativen und NGOs besetzten sie die Brücke zwischen Rosario und den Inseln des Flussdeltas. Bis in die Abendstunden verharrten sie auf dem Bauwerk. Araguas zeigt Bilder von diesem Tag. „Wir sind das Feuchtgebiet“, steht auf einem großen Banner, den die erste Reihe des Protestzugs vor sich her trägt, auf anderen „Schutzgesetz für Feuchtgebiete jetzt!“ und „Wir können nicht atmen.“ Es ist auch die Erinnerung an den wochenlang anhaltenden Rauch in den Dörfern und Städten am Ufer des Paranás, die Tausende Teilnehmende auf die Brücke treibt. Rauch, unter dem alle leiden, auch die Ganaderos. Er eint sie in dem Appell an die Politik, endlich tätig zu werden.
Hoffnung auf das Schutzgesetz
Doch darüber, wie diese tätig werden soll, gibt es wieder Zwist. Während Enzo Mariani und die Gemeinschaft der Insel-Ganaderos mehr Löschflugzeuge und Polizei fordern, setzen Romina Araguas und die Umweltaktivist:innen alle Hoffnung auf das nationale Schutzgesetz für Feuchtgebiete, das „Ley de Humedales“. Es sieht den Schutz aller Feuchtgebiete Argentiniens vor, 21 Prozent der Landesfläche. Gebiete, in denen nicht nur Rinder gehalten oder Bauland gewonnen, sondern auch ein Rohstoff gefördert wird, der als „weißes Gold“ bekannt ist – Lithium. „Das macht das Ganze zu einer besonders heiklen Angelegenheit“, sagt Pablo Cantador, der Naturfotograf, mit hochgezogenen Augenbrauen und resigniertem Blick.
Tatsächlich blockieren vor allem jene Gouverneure die Verabschiedung des Schutzgesetzes, in deren Provinzen Rohstoffe gefördert werden. Deshalb wurde das Schutzgesetz in den letzten 10 Jahren in verschiedenen Ausführungen im Kongress vorgestellt – im ersten Dürrejahr 2020 fünfzehnmal. Es scheiterte immer wieder.
Andere sehen den Föderalismus bedroht, zum Beispiel Daniela García, die Umweltsekretärin einer der Provinzen, zu der ein Großteil des Deltas gehört. Nur 12 Prozent des Anteils am Delta ihrer Provinz sei öffentliches Land, der Rest in privater Hand. Der aktuell am stärksten diskutierte Gesetzentwurf sehe die Umwandlung weiter Teile der Feuchtgebiete in Nationalparks vor, also in staatliches Eigentum. García sagt: „Wir können die Produktion in den Feuchtgebieten nicht einfach einstellen, die Menschen leben davon.“
Ende 2020 war auch das Jahr, in dem Romina Araguas mit einer Kollegin beschloss, ihren Appell an eine höhere politische Ebene zu richten: an den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Gericht überwacht die Einhaltung der Amerikanischen Menschenrechtskonvention in 24 lateinamerikanischen Mitgliedstaaten. Die beiden Frauen reichten eine Petition ein, in der sie auf die Auswirkungen der Brände nicht nur auf das Ökosystem, sondern auch auf die Gesundheit der Bevölkerung verwiesen. Sie schrieben, die „Untätigkeit des argentinischen Staats“, wirksame Maßnahmen gegen die Feuer zu ergreifen, stelle eine „Verletzung des Rechts auf Leben“ dar. Im März 2021 bekam Araguas die Antwort: abgelehnt. Die Bedingungen dafür, dass der Gerichtshof Maßnahmen ergreife, seien nicht erfüllt, heißt es in dem Schreiben. Araguas fasst zusammen: „Nicht schlimm genug, nicht dringend genug.“
Wieder Schulterzucken, wieder Resignation am Bartisch. „Die Kompetenzen des Interamerikanischen Gerichtshofs sind eh sehr begrenzt“, sagt Araguas knapp und schweigt.
Und die Ramsar-Konvention, das globale Übereinkommen zum Schutz von Feuchtgebieten? Araguas winkt ab. Im Oktober 2015 wurde das Delta zwar bereits mit dem Label „Feuchtgebiet mit internationaler Bedeutung“ versehen, aber nur ein kleiner Teil, etwa ein Achtel der gesamten Fläche. Und die Feuer drei Jahre infolge zeigten ja, wie wenig unternommen werde. „Argentinien hat alle möglichen Abkommen ratifiziert, aber es befolgt sie nicht, und Verstöße werden nicht sanktioniert“.
Auch Rinderzüchter Enzo Mariani hat zu internationalen Abkommen eine eindeutige Haltung, in der die Folgen des Klimawandels plötzlich doch eine Rolle spielen – auch wenn er das Wort Klima nicht in den Mund nimmt. In einer Whatsapp-Nachricht schreibt er: „Das Ausmaß der Heuchelei in den Industrieländern ist immens. Die internationale Agenda gibt vor, dass wir, die unterentwickelten Lateinamerikaner, die Umweltkatastrophe reparieren sollen.“
Gegen Ende Oktober fällt nach langer Zeit wieder richtiger Regen, und der Pegel des Paranás steigt. Mariani muss nun nicht mehr rausfahren, um gegen die Feuer zu kämpfen. Stattdessen arbeitet er im Namen der Gemeinschaft der Insel-Ganaderos an einem Flugblatt gegen das nationale Schutzgesetz. Vierzehn Entwürfe wurden 2022 von verschiedenen Abgeordneten eingebracht und warten noch immer auf Abstimmung.
Die Umweltaktivist:innen hoffen auf das EU-Gesetz gegen die Abholzung des Amazonas-Regenwalds, das Anfang Dezember vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde. Es soll verhindern, dass für Produkte, die in der EU gehandelt werden, Regenwald abgeholzt wird. Dazu gehören Kakao, Kaffee, Palmöl, Soja und Fleisch. Von dem Gesetz soll auch das Flussdelta profitieren: Denn je mehr Bäume verschwinden, desto weniger regnet es im Regenwald, desto weniger Wasser fließt in den Paraná.
Den Naturfotografen Pablo Cantador zieht es immer wieder raus ins Delta. „Endlich, das Wasser ist zurückgekommen“, schreibt er Ende Oktober auf Instagram. Er hat ein Video hochgeladen, in dem er mit dem Kajak durch eine feine Wasserader des Deltas paddelt. Bis vor Kurzem habe er diesen Teil zu Fuß erreichen können. Ein Foto zeigt eine junge schwarze Wildkatze. Noch nie habe er in diesem Teil des Deltas so viele Exemplare dieser Art beobachtet. Er schreibt: „Vielleicht halten die Tausenden von Hektar verbranntes Land die Wildtiere an Orten fest, die das Feuer noch nicht erreicht hat.“ Noch nicht. Die nächste Dürre kommt bestimmt.
Nora Belghaus ist Redakteurin der wochentaz. Sie war im Herbst mit einem Stipendium der Internationalen JournalistInnenprogramme (IJP) für zwei Monate in Argentinien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren