Boris Johnson fasst sich in die Haare

Foto: Tyrone Siu/reuters

Boris Johnsons Abgang in Großbritannien:Ende der Party

Nur drei Jahre ist es her, da verkörperte Boris Johnson die Zukunft. Jetzt ist er Geschichte. Und seine Partei fragt sich, was da schiefgelaufen ist.

30.8.2022, 12:06  Uhr

Vor zehn Jahren, während der Londoner Olympischen Spiele 2012, ging ein Video von Boris Johnson um die Welt. Der damalige Londoner Oberbürgermeister sprang, im Anzug an eine Seilrutsche gehängt, von einem 45 Meter hohen Turm, um damit über den Londoner Victoria Park zu rattern. Etwa 100 Meter vor dem Ziel blieb er stecken. Fast zehn Minuten hing der Politiker, ein Union-Jack-Fähnchen in jeder Hand, zweieinhalb Meter über dem Boden hilflos in der Luft. „Die Sache hier ist gut organisiert“ witzelte er, bevor er um eine Leiter und ein Seil bat. Vielleicht war das ein Wink auf Boris Johnsons spätere Karriere als Premierminister: Allein mit britischen Fähnchen hoch in die Luft springen und dann doch mitten auf dem Weg, von allen verlassen, stecken bleiben?

Bei der Parlamentswahl im Dezember 2019 holten die Konservativen unter der Führung Boris Johnsons ihr bestes Ergebnis seit über dreißig Jahren. Ihre satte absolute Mehrheit im Unterhaus war für den Premierminister eine Lizenz, zu tun, was ihm beliebte.

Johnson wollte das Vereinigte Königreich neu definieren, unabhängig und global orientiert, statt nur auf Europa ausgerichtet. Zweieinhalb Jahre später hat seine eigene Partei Boris Johnson zum Rücktritt gezwungen und entscheidet in diesen Tagen über die Nachfolge. Für ­Boris Johnson ein kometenhafter Aufstieg – und ein ebenso steiler Fall.

Was ist da geschehen? Und wie konnte es überhaupt geschehen?

Jonathan Holden, Bierbrauer, November 2019

„Boris wird den Willen des Volkes umsetzen, die Brexit-Sache erledigen und Stabilität bringen“

„Boris wird den Willen des Volkes umsetzen, die Brexit-Sache erledigen und Stabilität bringen“, versicherte Jonathan Holden in seiner Familienbrauerei in Dudley im Wahlkampf im November 2019. In der deindustrialisierten mittelenglischen Stadt hofften viele Menschen mit Brexit und Johnson auf eine neue Blüte. Einen Monat später fiel die einstige rote Hochburg an Johnsons Tories. Auch im früheren Bergarbeiterdorf Creswell, nördlich von Nottingham, sagten lebenslange Labourwähler damals der taz, dass sie nicht mehr Labour wählen könnten, weil Labour-­Chef Jeremy Corbyn ein „Terroristensympathisant“ sei. Labour-Veteran Dennis Skinner wurde nach 49 Jahren Dienst für den Wahlkreis ­Bolsover arbeitslos.

Nick Stanley-Lunn, Gastwirt im Pub „Zum tiefen Fall“ in Wakefield, Juni 2022

Wie kann man einem Mann glauben, der seine eigenen Regeln bricht?“

Und heute, drei Jahre später, ist alles ganz anders. „Wie kann man einem Mann glauben, der seine eigenen Regeln bricht?“, fragte Kneipenwirt Nick Stanley-Lunn in Wakefield vor einer Nachwahl im Juni 2022. Sein Pub „Zum tiefen Fall“, direkt neben einer ehemaligen Kohlegrube, hatte Symbolwert. 2019 hatten die Konservativen ­Wakefield erobert, 2022 holte Labour es zurück. Imran Khan, der bisherige konservative Abgeordnete des Wahlkreises, saß inzwischen wegen eines Sexualdelikts hinter Gittern.

Nur zwei Wochen nach dieser und einer zweiten verlorenen Nachwahl erklärte Boris Johnson seinen Rücktritt, nachdem ihm innerhalb von zwei Tagen 57 seiner Mi­nis­te­r:in­nen und Staats­se­kre­tä­r:in­nen abhanden gekommen waren. Das Drama hatte eigentlich vier Monate vorher begonnen, als Munira Mirza zurücktrat, die Chefin des Politikstabes in 10 Downing Street und eine der treuesten und fähigsten langjährigen Stützen Boris Johnsons. Anlass der Trennung war ein Ausfall des Premierministers gegenüber Labour-­Oppositionsführer Keir Starmer im Unterhaus während einer Debatte über „Partygate“, der Skandal über rechtswidrige Zusammenkünfte der MitarbeiterInnen des Premierministers während des Corona-Lockdowns, teils unter persönlicher Beteiligung Johnsons. Immer neuen Enthüllungen darüber konterte der Premier mit Leugnung und Dementis, die regelmäßig in sich zusammenfielen und schließlich eine unabhängige Untersuchung nach sich zogen.

Boris Johnson ruft etwas, er hält seine Hand an den Mund

Johnsons wohl größer Erfolg: der Austritt Großbritanniens aus der EU Foto: Bota/Camera Press/laif

Anstatt sich für die Vorfälle zu entschuldigen, behauptete Johnson, Starmer habe doch selbst während seiner Amtszeit als britischer Generalstaatsanwalt den pädophilen BBC-Showmaster Jimmy Savile laufen lassen, der über Jahrzehnte mindestens 500 Frauen und Mädchen sexuell ­belästigt oder vergewaltigt hatte. Dieser ­Vorwurf ist falsch, eine Lüge von britischen QAnon-Anhänger:innen. Die Behauptung Johnsons war selbst für Freunde des Premiers ein Tiefpunkt.

Der Rücktritts-Reigen

Schon zuvor war der konservative Abgeordnete Christian Wakeford – noch ein Vertreter einer 2019 von den Tories frisch eroberten Labour-Hochburg – mitten in einer Parlamentssitzung zu Labour übergelaufen, ebenfalls aufgrund von „Partygate“. Und im Juni, nach der kompletten Veröffentlichung des Untersuchungsberichts der Chefbeamtin Sue Gray über die illegalen Zusammenkünfte, nach vier verlorenen Nachwahlen und einem miserablen Ergebnis bei den Kommunalwahlen, drängte sich für die Konservativen die Frage auf, ob sie mit Boris Johnson an der Spitze weiter das Land begeistern und die nächsten Parlamentswahlen gewinnen könnten.

Das Ergebnis ist bekannt: Am 6. Juni stimmten 41 Prozent der konservativen Fraktion bei einem Misstrauensvotum gegen Johnson. Das reichte nicht für seine Absetzung, aber als sich Anfang Juli die Nachricht verbreitete, dass der konservative Abgeordnete Chris Pincher im angetrunkenen Zustand Männern zwischen die Beine gegriffen hatte und dass Johnson darüber nicht die Wahrheit gesagt hatte, war der Moment zum Handeln gekommen. „Genug ist genug“, schrieb Gesundheitsminister Sajid Javid in seiner Rücktrittserklärung am Abend des 5. Juli – der erste Minister in einer Lawine von Rücktritten aus Boris Johnsons Regierung, an deren Ende auch der Premier selbst fiel.

19. 6. 1964 Alexander Boris de Pfeffel Johnson wird in New York als Sohn des späteren Abgeordneten der Konservativen im Europaparlament, Stanley Johnson, und der Malerin Charlotte Fawcett geboren.

1987 Nach Schulbesuch in Brüssel und am Elite-Internat Eton schließt Johnson ein Studium der Klassischen Altertumswissenschaft am Balliol College der Universität Oxford ab.

1987–2008 Johnson startet eine Karriere als Journalist, unter anderem als Brüssel-Korrespondent des euroskeptischen Daily Telegraph, wo er durch blühende Fantasie auffällt. 1999 wird er Chefredakteur des konservativen Wochenblatts Spectator.

2008–2016 Johnson ist gewählter Oberbürgermeister von London und schreibt mehrere erfolgreiche Bücher.

2015 Johnson zieht für den Wahlkreis Uxbridge and South Ruislip, den er bis heute hält, ins Parlament ein.

2016 Johnson wird zum Star der Kampagne für einen britischen Austritt aus der EU. Nach dem Sieg des Brexit beim Referendum wird er Außenminister unter Premierministerin Theresa May. 2018 tritt er zurück.

2019 Nach Mays Rücktritt wählen die Konservativen Johnson zum Parteichef und Premierminister. Fünf Monate später führt er die Konservativen zu einem großen Sieg bei vorgezogenen Wahlen.

7. 7. 2022 Johnson tritt nach anhaltender Krise als Parteichef zurück. Damit endet auch seine Amtszeit als Premierminister, sobald seine Nachfolge feststeht.

5. 9. 2022 Am Montag kommender Woche will die Konservative Partei bekannt geben, wer neuer Parteichef und damit Premierminister wird. Im Rennen befinden sich Außenministerin Liz Truss und der frühere Finanzminister Rishi Sunak. Am Folgetag soll der Sieger oder die Siegerin das Amt antreten. (taz)

Wie unbeschwert waren doch die Tage für Boris Johnson vierzehn Jahre zuvor gewesen, als er für die Konservativen zur Londoner Oberbürgermeisterwahl antrat, gegen Labours Ken Livingstone. Viele Lon­do­ne­r:in­nen wussten zwar, dass Johnson ein Tory war, für das eher linke London politisch unpassend, aber er galt eben als „kein richtiger Tory“, eher als unterhaltsamer Spaßvogel, wenn auch von der elitären Sorte. Diese schräge Gestalt als Bürgermeister, das war damals Ausdruck des Londoner Esprits. Dass Boris Johnson als Journalist gefeuert worden war, weil er Geschichten frei erfunden hatte, oder dass ihn der einstige konservative Parteiführer Michael Howard als Büroassistent entlassen hatte, weil er, damals noch mit seiner ersten Frau verheiratet, eine andere Frau geschwängert hatte, war zwar bekannt, doch es kümmerte wenige, solange er seinen Job machte.

Aufstieg zum mächtigsten Konservativen

Durch seinen Sieg in London wurde Johnson 2008 zum mächtigsten Politiker der britischen Konservativen, zwei Jahre vor ihrer Rückkehr an die Regierung unter David Cameron. Als Oberbürgermeister brachte Johnson London aber herzlich wenig und kostete die Stadt viel Geld. So versprach er eine Reduzierung von Verbrechen, aber selbst ehemalige Mit­ar­bei­te­r:in­nen bestätigen heute, dass ihm ein Plan dazu fehlte, im Gegenteil kürzte er sogar die Polizeidienstkräfte im Einsatz.

Stattdessen zeigte sich schon damals ein Hang zur Nostalgie in moderner Verpackung. Johnson ließ einen neuen Londoner Doppeldeckerbus planen, der Tradition, neues Design und moderne Technik verbinden sollte. Als der „Routemaster“ schließlich auf Londons Straßen rollte, dauerte es nicht lange, bis sich „einer der technologisch fortgeschrittensten Busse der Welt,“ so Johnson, als überteuerter Flop herausstellte: Die Idee war, die Busse wieder wie früher mit einer offenen Hinterplattform auszustatten, damit man jederzeit ein- und aussteigen kann.

Aber das hätte die Wiedereinführung von Schaffnern nötig gemacht und war damit unbezahlbar. So wurden es doch geschlossene Doppeldecker, die aber mehr Sprit verbrauchten als andere Modelle. Einen Plan seines Vorgängers Ken Livingstone zur Wiedereinführung einer Straßenbahn ließ Johnson hingegen liegen, obwohl ein Konsortium ihm sogar anbot, die Baukosten zu übernehmen.

Johnson steckte Millionensummen in Planungen für einen neuen Großflughafen und für eine neue Gartenbrücke über die Themse – zwei Projekte, die nie das Licht der Welt erblickten. Eine Seilbahnstrecke über die Themse wurde tatsächlich gebaut, aber sie braucht kaum jemand.

Anderes lief besser und wird bis heute mit Boris Johnsons Namen verbunden, obwohl es wenig mit ihm zu tun hatte. Etwa die Olympischen Sommerspiele 2012, ein Höhepunkt in der internationalen Ausstrahlung Londons, die aber lange vor seiner Amtszeit als Bürgermeister geplant worden waren. Oder das städtische Leihrad, mit dem London 2010 Vorreiter in Europa wurde, und das alle „Boris bike“ nannten, obwohl auch das ein Projekt seines Vorgängers gewesen war. Immerhin kutschierte der Bürgermeister selbst des Öfteren auf einem Drahtesel durch die Stadt und baute Londons erstes stadtweites Fahrradspurnetz mit breiten blauen Radspuren auf Hauptstraßen.

Nach Aussage von Will Walden, damals Kommunikationsdirektor des Oberbürgermeisters, schob Johnson gern jegliche Verantwortung auf andere ab. Und dann gab es da noch das Thema mit den Frauen, etwa die US-Geschäftsfrau Jennifer Arcuri, die vor einigen Jahren enthüllte, dass sie mit Johnson zwischen 2012 und 2016 ein sexuelles Verhältnis unterhielt. Eine offizielle Untersuchung, ob sie dabei tatsächlich in den Genuss von städtischen Privilegien kam, läuft immer noch.

Sprungbrett in die nationale Politik

Für Boris Johnson war das Oberbürgermeisteramt in London ein Sprungbrett in die nationale Politik. Als in den Umfragen beliebtester Politiker Großbritanniens rechnete er sich gute Chancen aus, auf David Cameron als Premierminister zu folgen, als dieser zusagte, nach der Parlamentswahl 2015 keine weitere volle Amtszeit amtieren zu wollen. Damals gewann Johnson den sicheren konservativen Wahlkreis Hillingdon und Uxbridge im Westen Londons und trat im Folgejahr nicht mehr zur Wiederwahl als Oberbürgermeister Londons an.

Stattdessen stürzte er sich auf das Brexit-­Referendum. Erst spät entschied er sich, den EU-Austritt zu unterstützen, aber dann war er das Aushängeschild der Brexit-Kampagne „Vote Leave“ unter dem fantasievollen Motto des Brexit-Chefstrategen Dominic Cummings, wonach der Brexit 350 Millionen Pfund pro Woche für das britische Gesundheitssystem freisetzen werde. Am 23. Juni 2016 erwies es sich, dass er auf das richtige Pferd gesetzt hatte – der Brexit kam durch.

Nach Camerons Rücktritt als Premierminister dachte Johnson daran, sich für seine Nachfolge zu bewerben. Sein Mitstreiter Michael Gove torpedierte seine Chancen mit den aus heutiger Sicht prophetischen Worten: „Ich bin zögernd zu dem Fazit gekommen, dass Boris nicht in der Lage ist, zu regieren und ein Team für die bevorstehenden Aufgaben aufzubauen.“

Boris Johnson geht, man sieht ihn von hinten

Abschied von der Macht. Johnson bei der Ankündigung seines Rücktritts im Juli 2022 Foto: Martyn Wheatley/Parsons Media/imago

Der Rest ist Geschichte. Theresa May wurde Parteivorsitzende und Premierministerin und schob Johnson in das Amt des britischen Außenministers ab, trotz seines eher undiplomatischen Charakters. Im Juli 2018 trat er im Streit um den Brexit zurück und verwandelte sich auf den Hinterbänken in ein Sprachrohr für einen möglichst harten Brexit und in den innerparteilichen Gegner ­Theresa Mays Nummer Eins.

Johnsons Rücktritt als Außenminister war dann der Startpunkt ins Amt des Premierministers, als May im Mai 2019 nach einem Debakel bei den Europawahlen selbst ihren Rücktritt ankündigte. Boris Johnson, den selbst das linke London einst zum Bürgermeister gemacht hatte, galt als Politiker mit magischem Potenzial. Im Juli wurde er Premierminister, Brexit-Stratege Cummings sein Stabschef.

„Let's get Brexit done!“

Und Johnson haute auf den Tisch, vor allen bei den Verhandlungen mit der EU. Auf dem konservativen Parteitag in Manchester im Oktober ließ er sich groß feiern. „Let's get Brexit done!“ rief der neue Premier siebenmal in seiner Rede, zur Begeisterung des Publikums. Mit „Boris, Boris“-­Rufen wurde er umjubelt. Johnson führte danach die Verhandlungen mit der EU zum Abschluss – und düpierte seine Partner im Parlament, die nordirischen Unionisten, mit seinem Nordirland-­Protokoll, das eine Zollgrenze zwischen Großbritannien und Nordirland schuf. Der Brexit war nun fertig. Es fehlte noch die Parlamentsmehrheit.

Die holte Boris Johnson bei vorgezogenen Neuwahlen im Dezember 2019. Im Wahlkampf tourte Boris im Norden Englands umher wie ein Rockstar. Er sprach den Menschen aus dem Herzen mit einer Vision Großbritanniens als unabhängige, freie und stolze Nation. Während im mehrheitlich EU-freundlichen London niemand mehr über Johnson lächeln wollte, konnte der Premier außerhalb der Hauptstadt die Menschen begeistern.

In einem kleinen Dorf in Fishlake in South Yorkshire traf der taz-Reporter damals die beiden Friseusen Helen Copley und Georgina Holling. „Johnson und seine Witze sind okay, und er war doch erfolgreich Bürgermeister in London“, sagten sie. Johnson, zeitlebens ein Genießer, wurde plötzlich zum Säulenheiligen für die Unterprivilegierten erklärt.

Die Wahl grandios gewonnen, den Brexit verhandelt, so feierten so manche in der Nacht zum 31. Januar 2020 den Austritt des Vereinigten ­Königreichs aus der EU und den Premierminister. John Hodson erzählte damals auf der Feier am Parliament Square: „Ich bin hier, um den ­Remainern ‚Ihr könnt mich mal!‘ zu sagen!“

Der Traum der großen Freiheit endete rasch. Das Coronavirus breitete sich aus. Johnson reagierte zu spät. Sein liberaler Instinkt wehrte sich gegen einschränkende Maßnahmen im Alltag. Das kostete zu Beginn der Pandemie Tausende Menschenleben. Großbritannien lag in Europa an der Spitze der Sterbenden. Und Johnson bezahlte für seinen waghalsigen persönlichen Umgang mit dem Virus beinahe mit dem Leben. Er erkrankte und lag zeitweise auf der Intensivstation.

„Partygate“ nimmt seinen Lauf

Doch das eigene Überleben führte nicht etwa dazu, dass Johnson in seiner Regierung für mehr Disziplin sorgte. Im Gegenteil: Der Premier gestand Mit­ar­bei­te­r:in­nen gewisse Freiheiten zu, etwa das Trinken am Arbeitsplatz einschließlich unerlaubter Zusammenkünfte mitten im Lockdown. Als das ans Licht kam, behauptete Johnson im Unterhaus, es habe gar keine Partys gegeben, man habe alle Regeln eingehalten.

Zwei Untersuchungsberichte und 126 polizeiliche Bußgeldbescheide später, darunter auch gegen Johnson, belegen das Gegenteil. Je mehr Johnson innerhalb seiner eigenen Partei wegen ­„Partygate“ kritisiert wurde, desto stärker versuchte er nun mit populistischen Parolen gegenzusteuern: Abschiebeversuche von Asyl­be­wer­be­r:in­nen nach Ruanda, Einschränkungen des Demonstrationsrechts, „Kulturkampf“ gegen ­„wokeness“. Es nützte ihm nichts.

Johnsons Leistungen? Neben dem Vollzug des Brexits, das mag man so oder so bewerten, sind da Milliardeninvestitionen in marode ­Landesteile und sein Mut, Steuern erhöht zu haben, um endlich für ein besseres Gesundheitssystem zu sorgen. Johnson steht bis heute an vorderster Front bei der militärischen Unterstützung der Ukraine. Sein Bekenntnis zur Klimaneutralität ist echt – zum Horror des rechten Flügels der Tories.

Jetzt entscheiden die eingeschriebenen Mitglieder der Konservativen, wer auf Boris Johnson folgt: der ehemalige Finanzminister Rishi Sunak oder die amtierende Außenministerin Liz Truss. Letztere gilt als Favoritin, auch weil sie bei der Rücktrittswelle aus der Regierung zu Johnson hielt – anders als Sunak, der seine Kampagne offensichtlich lange vorbereitet hatte.

Aus Umfragen an der konservativen Parteibasis geht aber noch etwas anderes hervor: Würde Boris Johnson heute wieder zur Wahl stehen, er ginge als Sieger vom Platz – mit mehr Stimmen als Truss und Sunak zusammen. Die pensionierte Sekretärin Janet sagte dieser Tage im südenglischen Seebad Eastbourne auf einer Wahlveranstaltung: „Ich hätte echt lieber Boris gehabt. Es war ein großer Fehler, ihn zu stürzen. Nur jemand wie er konnte so leicht Leute sowohl im Norden als auch hier hinter sich bringen.“

Nun ist es also vorbei. „Es war wundervoll und ich empfehle es sehr,“ sagte Boris Johnson, als man ihn 2012 endlich aus der Seilbahn gerettet hatte. Schuld für sein Hängenbleiben hatten andere: „Ich glaube, sie haben die Bremse angelassen“, scherzte er. Die Wahrheit ist, dass Johnson sich nicht an die Anweisung hielt, sich während der Fahrt nicht aufzurichten. Er war wohl eine Nummer zu gewichtig für das Konstrukt. Wie heute für seine Partei.

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