Rücktritte bei Großbritanniens Tories: Nur noch eine Frage der Zeit
Die britischen Konservativen beginnen sich von Boris Johnson zu lösen, um an der Macht zu bleiben. Nun beginnt der Erbfolgestreit.
W ar's das für Boris Johnson? Nach allen Gesetzen der politischen Logik steht Großbritanniens Premierminister vor dem Aus. Zwei seiner wichtigsten Kabinettsmitglieder – Finanzminister Rishi Sunak und dessen Vorgänger und zuletzt Gesundheitsminister Sajid Javid – sind zurückgetreten, mit brutal kritischen Rücktrittsschreiben. Es folgten in der Nacht und am Dienstagmorgen zahlreiche weitere Rücktritte von Regierungsmitgliedern ohne Kabinettsrang, ein Ende war am Dienstagmittag nicht abzusehen.
Sie alle wollen sich von Boris Johnson nicht länger vorführen lassen. Die neueste Affäre ist bezeichnend für die Art, wie der Premierminister das Vertrauen seines Umfelds verspielt hat. Er ernannte im Februar mit Christopher Pincher einen neuen Vizefraktionsvorsitzenden der Konservativen im Unterhaus, gegen den es seit Jahren Vorwürfe sexueller Übergriffe gab. Als die öffentlich wurden und Pincher Ende vergangener Woche deswegen zurücktreten musste, leugnete Johnson, davon jemals gewusst zu haben, und schickte diverse Regierungsmitglieder mit dieser Verteidigungslinie in die Öffentlichkeit. Dann wurde ihm nachgewiesen, von den Vorwürfen seit Jahren informiert gewesen zu sein. Ausreden, er habe das „vergessen“ oder sei nicht „spezifisch“ informiert gewesen, zogen nicht mehr. Diejenigen, die sich für ihn geschlagen hatten, standen nun düpiert da – man hatte sie mit Lügen gefüttert.
Schon Partygate hatte die Geduld der Konservativen mit ihrem Premier strapaziert. Nun haben sie die Nase voll. Johnsons Absetzung gilt in konservativen Kreisen nun nur noch als eine Frage der Zeit und der richtigen Methode. Viele sind davon überzeugt: Großbritannien braucht einen Neustart mit Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit an der Spitze. Gerade in Zeiten des Ukrainekrieges (in dem Boris Johnson vom politischen Instinkt her richtig liegt und international eine gute Figur macht) ist für das Land eine Führung wichtig, der man nichts vorwerfen kann und die nicht den Großteil ihrer Zeit damit verbringt, auf unprofessionelle Art Skandale abzuwehren.
Aber nach allen Gesetzen der politischen Logik wäre Boris Johnson nie Großbritanniens Premierminister geworden. Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit hatte das Land vorher, mit Theresa May, und wohin führte das? Eben. Daher bleibt Boris Johnson bis heute davon überzeugt, dass er auch diese Krise überstehen kann. Und dass es ausreicht, sich für Fehler zu entschuldigen.
Aber seiner Partei reicht das nicht mehr. Sie hätte lieber einen Chef, der nicht ständig Fehler macht, der nicht mit immer unglaubwürdigeren Ausreden die eigenen Versäumnisse kaschiert, der den eigenen Laden im Griff hat, der Politik nicht nur verkündet, sondern sie auch macht. Boris Johnson ist nicht dieser Chef. Gerade diejenigen Konservativen, die seine Politik stützen, gucken sich jetzt nach jemandem um, der sie auch umsetzt. Nur so vermeiden sie bei den nächsten Wahlen den Untergang.
Boris Johnson kam mit dem Wahlversprechen „Get Brexit Done“ an die Macht, und solange dieses Versprechen nicht in trockenen Tüchern war, blieb seine Macht unangefochten. Aber spätestens der Ukrainekrieg hat andere Grundsatzfragen in den Mittelpunkt gerückt. Man steht jetzt zusammen gegen Russland, der Westen definiert seine Werte und Interessen neu, die Nato ist wichtiger geworden als die EU. Die Rücktritte von Rushi Sunak und Sajid Javid erfolgen nicht zufällig einen Tag nachdem Labour-Oppositionsführer Keir Starmer sich in einer Grundsatzrede so klar wie nie zum Brexit bekannt hat. Johnsons wichtigstes politisches Vermächtnis ist gesichert. Nun beginnt der Erbfolgestreit.
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