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Boom der FahrradwirtschaftRadbranche wird zur Jobmaschine

Der Branche geht es prächtig, sie beschäftigt schon mehr Menschen als der Bahnsektor. Das liegt auch daran, dass Diensträder immer populärer werden.

Radboom schafft Arbeitsplätze: Mountainbike-Montage in Sangershausen Foto: Steffen Schellhorn/imago

Berlin taz | Es gibt eine „Wachablösung“ im Verkehr, das zeigen nach Auffassung von Wasilis von Rauch vom Bundesverband Zukunft Fahrrad die Absatzzahlen von E-Bikes und Diesel-Pkws für 2019: In diesem Jahr wurden in Deutschland zum ersten Mal mehr Fahrräder mit Elektromotor verkauft als Diesel-Pkws.

E-Bikes sorgen für einen anhaltenden Boom der Fahrradwirtschaft – einer Branche, die immer mehr Arbeitsplätze schafft. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und des Instituts Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule. Von Rauchs Organisation hat die Untersuchung gemeinsam mit dem Zweirad-Industrie-Verband und dem Verbund Service und Fahrrad in Auftrag gegeben, um die ökonomische Bedeutung der Branche zu belegen – denn damit lassen sich Rufe etwa nach Förderprogrammen besser begründen. Die Verbände fordern unter anderem staatliche Kaufanreize für Räder und eine bessere Infrastruktur für Radler:innen.

„Die Fahrradwirtschaft ist ein Jobmotor“, sagte von Rauch bei der Vorstellung der Studie am Mittwoch. Sie beschäftigt der Studie zufolge 281.000 sozialversicherungspflichtig Angestellte und Selbstständige. Zum Vergleich: Die Bahnbranche beschäftigt laut Wuppertal Institut 269.000 Menschen, die Autoindustrie mit sinkender Tendenz 832.000. Im Handel, in der Herstellung und bei Dienstleistungen wie Leasing ist die Zahl der Arbeitsplätze in der Radbranche zwischen 2014 und 2019 um 20 Prozent auf 66.000 gestiegen. Der Fahrradtourismus, der in Deutschland auch schon vor der Coronakrise stark gewachsen ist, ist der beschäftigungsstärkste Bereich. „Gerade in strukturschwachen Regionen spielt der Fahrradtourismus eine starke Rolle“, so Albert Herresthal vom Verbund Service und Fahrrad. Das Beschäftigungspotenziel ist noch nicht ausgeschöpft. „Es gibt einen Fachkräftemangel“, sagte er. Das sei eine „wirkliche Bremse“ für die wirtschaftliche Entwicklung.

Die Zahlen des Wuppertal-Institut sind von 2018 und 2019 und zeigen deshalb noch nicht den Wachstumsschub, der durch die Coronakrise entstanden ist. Die aktuellen Marktzahlen wird die Branche erst im März präsentieren. Aber schon ohne Corona-Effekt ist die Steigerung beachtlich. Im Jahr 2018 erwirtschaftete die Branche mit Herstellung, Handel und Dienstleistungen einen Umsatz von 24,1 Milliarden Euro. Das waren 55 Prozent mehr als im Jahr 2013. Rahmen und Hauptbestandteile von Fahrrädern und E-Bikes werden in der Regel in Asien produziert und hierzulande montiert.

Preise für Räder steigen

Rund ein Viertel der verkauften Räder haben mittlerweile einen Elektroantrieb. „Wir erwarten, dass es in den kommenden Jahren bei der Hälfte der Fall sein wird“, sagte von Rauch. Neben der zunehmenden Verbreitung von gewerblich genutzten Lastenrädern ist das Leasing von E-Diensträdern ein wichtiger Faktor. „Der Markt wächst enorm“, sagte von Rauch. Jährlich kämen 350.000 bis 400.000 Diensträder hinzu. Davon profitierten andere Wirtschaftsbereiche, etwa Versicherer oder Be­trei­be­r:in­nen von Abstellanlagen.

Auch für die Zukunft erwartet die Branche großes Wachstum. Das Kaufinteresse ist hoch, Radfahren wird immer populärer – ein Grund für steigende Preise. Ein weiterer ist die Coronakrise. „Die Lieferketten sind nach wie vor gestört“, sagte David Eisenberger vom Zweirad-Industrie-Verband. Auch die Logistik bereite Probleme. Die Kosten für Leercontainer in Asien etwa sind von 1.000 Euro auf 7.000 Euro hochgeschnellt. Rabattschlachten wie in der Vergangenheit sind deshalb nicht zu erwarten. „Dazu ist die Nachfrage zu hoch und das Angebot zu knapp“, so Eisenberger.

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6 Kommentare

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  • "Der Fahrradtourismus...ist der beschäftigungsstärkste Bereich."



    Solche Bereiche kann man doch nicht mit der Autoindustrie vergleichen. Wo bleibt sonst hier der Vergleich mit dem "Autotourismus" (Womo, Busreisen, etc.)?

  • "... Sie [die Fahrradbranche] beschäftigt der Studie zufolge 281.000 sozialversicherungspflichtig Angestellte und Selbstständige. Zum Vergleich: Die Bahnbranche beschäftigt laut Wuppertal Institut 269.000 Menschen, die Autoindustrie mit sinkender Tendenz 832.000. ..."

    Die Zahl der Beschäftigten in der Fahrradbranche sind statistisch verfälscht. Wenn Sie die Mitarbeiter



    der Discounter mit Fahrradangebot



    dazurechnen, kommt man vielleicht auf solche Unsinnszahlen, aber mit der Realität hat das nichts zu tun.



    Diese Kaufhäuser und Discounter sind nicht vom Verkauf der Fahrräder abhängig (siehe Karstadt, Kaufland, Marktkauf, eventuell Aldi, Amazon).

    In der Fahrradfabrik von Sangershausen arbeiten 165 Mitarbeiter.



    Die Derby Cycle Holding kommt auf



    820 Mitarbeiter (siehe Wikipedia).



    Die Stevens Bikes hat 80 Mitarbeiter.



    Natürlich gibt es auch Zulieferfirmen



    für Fahrräder, aber diese haben häufig



    auch Produkte für die Automobilindustrie im Angebot und dreimal darf man raten, in welchem Sektor dort jeweils der Löwenanteil



    an Umsatz generiert wird.



    Der Fahrradhersteller Cube (Fahrradmarke) hat 113 Mitarbeiter



    und Winora hat ca. 400 Mitarbeiter (lt. Wikipedia).



    Die Diamant Fahrradwerke (Stand 2019) sind bei 588 Mitarbeitern angesetzt.



    Die deutschen Fahrradhersteller haben zusammen auf jeden Fall weniger als 10.000 Beschäftigte und



    sind damit nie und nimmer in der o.g. Liga aufführbar. Das ist schlicht unseriös hoch 90.

    Bitte mehr kritischen Journalismus wagen und Zahlen der Lobbyisten kritisch überprüfen.

  • Das verstehe ich nicht. Die Nachfrage steigt, die Preise steigen und trotzdem wird nach staatlichen Kaufanreizen gerufen?

    • 2G
      27871 (Profil gelöscht)
      @Grummelpummel:

      Nur, weil man gut verdient, bedeutet das doch nicht, dass man nicht noch besser verdienen möchte. Ich verstehe das. Für die Autoindustrie werden doch auch alle Nase lang Kaufanreize geschaffen.

      • @27871 (Profil gelöscht):

        Dann doch besser H4 deutlich erhöhen, damit kann man die Nachfrage auch ankurbeln. Und zwar in vielen Branchen.

        • 2G
          27871 (Profil gelöscht)
          @Grummelpummel:

          Wieso reicht es bei vielen Menschen heutzutage nur bis zum Entweder/Oder?