Bodo Ramelow über Corona-Skeptiker: „Das ist Provokation“
Wenn sich Pegida, AfD und bürgerliche Sorgen vermischen, sei das toxisch, sagt Thüringens Ministerpräsident. Ihn ängstigen die Verschwörungsfantasien.
taz: Herr Ramelow, am Wochenende gingen bundesweit tausende Menschen auf die Straße, um gegen die Corona-Einschränkungen zu protestieren, auch in Thüringen. Was ist davon zu halten?
Bodo Ramelow: Das ist zuerst mal ein Kuriosum: Die Menschen behaupten, ihr Recht, sich zu artikulieren, sei eingeschränkt, aber sie tun und dürfen genau das. Diesen Widerspruch merken die Beteiligten offenbar selbst nicht. Das ist symptomatisch: Bei diesen Kundgebungen ist derzeit viel Unwahrheit und Motivation aus ganz anderen politischen Suppen dabei.
Wer geht denn da auf die Straße: Besorgte Bürger, Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, Rechtsextreme?
Man muss da differenzieren. Wir hatten in Thüringen Gastronomen, die Stühle vor ihre Restaurants gestellt haben, oder Reisebüro-Besitzer, die mit gepackten Koffern protestierten. Sie haben Sorgen artikuliert, weil sie wegen der Einschränkungen ökonomisch in die Knie gehen. Das ist etwas anderes als diese seltsamen Spaziergänge, die behaupten, ihre Meinungsfreiheit werde ihnen genommen, die von einer Weltverschwörung von Bill Gates bis zu Frau Merkel fabulieren oder über einen Impfzwang, über den niemand diskutiert. Die bewusst auf einen Mund-Nasen-Schutz verzichten und auf engstem Raum zusammenstehen. Das ist Provokation. Wenn auch Polizisten oder Journalisten angegriffen werden, ist das alarmierend.
Bei Ihnen in Thüringen demonstrierte in Gera nun auch der FDP-Landeschef Thomas Kemmerich mit. Wie bewerten Sie das?
Die Bilder, die es davon gibt, zeigen, dass Herr Kemmerich dort ohne Mund-Nasen-Schutz und ausreichenden Abstand mitgelaufen ist. Vorbildfunktion? Fehlanzeige. Dazu muss sich Herr Kemmerich fragen, mit wem er sich da in geistiger Kumpanei bewegt. Wer einfach so mitläuft, wo Menschen sich über Weltverschwörungen oder antisemitisch äußern, der macht sich dies zu eigen.
Sie selbst haben als Thüringer Ministerpräsident die Corona-Einschränkungen beschlossen. Wurden ebendiese zu wenig vermittelt, wenn die Leute jetzt so auf die Straße gehen?
Der Staat hat sich permanent erklärt. Aber die Entwicklungsdynamik ist derzeit so hoch wie noch nie. Wenn wir als Staat eine Erklärung zu den Maßnahmen abgeben, geht auf der einen Seite sofort das Gedonner los, warum wir das nicht längst beschlossen haben. Auf der anderen Seite kommt die Gegenbewegung, die alles für überzogen hält. Und dann haben wir in Thüringen noch die AfD, die einfach böswillig Unwahrheiten behauptet, etwa dass wir nun Bordelle öffnen, aber Kindergärten nicht – was schlicht nicht stimmt. Es ist doch klar, warum wir dies alles gerade tun: Wir tun es zum Schutz für Leib und Leben.
Der Politiker der Linkspartei ist Ministerpräsident des Freistaates Thüringen.
Und dennoch gehen nun Menschen auf die Straße. Wie muss die Politik, wie müssen Sie jetzt darauf reagieren?
Die Proteste sind das gute, legitime Recht der Menschen. Wir leben nicht in einem Polizeistaat, der so etwas untersagt. Wir in Thüringen haben als Erste das Demonstrationsrecht wieder zugelassen, noch vor dem Bund. Weil es ein wichtiges Grundrecht ist. Aber auf die Proteste reagieren, wie denn?
Noch mehr Dialog und Vermittlung?
Wie soll ich denn auf diese haltlosen Verschwörungen reagieren? Wie soll ich auf Impfgegner reagieren, wenn es gar keine Debatte über einen Impfzwang gibt, oder überhaupt erst ein Impfmittel? Das ist das Problem: Ich kann auf vieles gar nicht reagieren, was da gerade diskutiert wird. Ich kann nur akzeptieren, dass diese Menschen unterwegs sind. Aber wir müssen auf der Hut sein, wo sich Pegida und AfD, bürgerliche Sorgen und Existenzsorgen vermischen, das ist toxisch. Das darf man nicht unterschätzen. Die eigentliche Sorge, die ich habe, ist aber eine andere.
Und zwar?
Die vor einer zweiten Infektionswelle. Ich sorge mich vor dieser Verharmlosung und Leichtsinnigkeit, die diese selbsternannten Spaziergänger da gerade betreiben. Oder dass mir selbst gescheitere Leute dieses Verschwörungszeug zuschicken. In Sonneberg demonstrieren die Menschen, dass das Virus nicht vorhanden oder harmlos ist, und gleichzeitig müssen wir wegen der Krankheitsfälle die Klinik schließen. Diese Gleichzeitigkeit alarmiert mich, ja, sie macht mir richtig Angst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch