Black-Lives-Matter-Demo in Frankreich: Polizei blockiert BLM-Demo
20.000 Menschen wurden in Paris davon abgehalten, zu demonstrieren. Gründe: eine fehlende Genehmigung sowie rechtsextreme Gegendemonstranten.
Einen zusätzlichen Anlass lieferte den Behörden Provokationen von rechtsradikalen Gegendemonstranten der Gruppe „Génération identitaire“. Nach etwas mehr als zwei Stunden begannen die Ordnungtruppen, die den großen Platz abgeriegelt hatten, die antirassistische Kundgebung mit Tränengaseinsatz zu räumen. Zur Rechtfertigung erklärte ein Polizeisprecher den Medien, unter den friedlich Versammelten habe es aggressive Gruppen von „Ultralinken“ gegeben.
Der auf dem Platz anwesende Chef der Linkspartei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, beschuldigte den Pariser Polizeichef, mit seinem Vorgehen nicht nur das Demonstrationsrecht zu missachten, sondern mutwillig gewaltsame Zusammenstöße in Kauf zu nehmen. Wegen der Gefahr von Ausschreitungen mussten die Geschäfte entlang der Pariser Demoroute von der Place de la République zum Opernplatz im Stadtzentrum auf Anordnung der Polizeibehörden schließen. Dies empörte besonders die Inhaber der Cafés und Restaurants, die nach den Covid-Restriktionen seit Kurzem gerade ihre Terrassen öffnen durften.
Adama Traoré – gestorben wie George Floyd
Anlass der Demonstrationen an diesem Samstag ist der Fall von Adama Traoré, der aufgrund von Parallelen zu George Floyd als französisches Exempel betrachtet werden kann. Im Unterschied zu Minneapolis, wo ein Polizist minutenlang auf dem Nacken des mit Handschellen gefesselten Floyd kniete, existiert von der Festnahme des 24-jährigen Traoré im Juli 2016 kein Video.
Zum Ablauf der Festnahme in einem Vorort im Norden von Paris und zu den Ursachen von Traorés Tod gibt es widersprüchliche Gutachten. Drei Angehörige der Gendarmerie sollen zu dritt Traorés Oberkörper zu Boden gedrückt haben. Ein erster Untersuchungsbericht hatte als Todesursache ein Herzversagen wegen eines Ödems angegeben. Traorés Angehörige und Freunde haben an dieser Version gezweifelt. Sie organisierten mit der Forderung nach „Wahrheit und Sühne“ eine öffentliche Kampagne und verlangten ein unabhängiges Gutachten. Dieses kommt nun zum Schluss, dass der junge Mann erstickt worden sei.
Polizei schmeißt Handschellen zu Boden
Wütend sind auch viele Polizisten. Sie fühlen sich durch die Gewalt- und Rassismusvorwürfe der Demonstrierenden und Medien pauschal „beschmutzt und verunglimpft“, wie ein Polizeigewerkschaftssprecher sagte. Vor zahlreichen Kommissariaten protestierten Polizeibeamte in Uniform und Zivil, indem sie demonstrativ ihre Handschellen zu Boden schmissen.
Innenminister Christophe Castaner hatte zu Wochenbeginn angeordnet, dass der potenziell tödliche Würgegriff bei Festnahmen in Zukunft nicht mehr praktiziert und auch in der Polizeiausbildung nicht gelehrt werden solle. Auch drohte Castaner Polizeibeamten künftig mit „sofortiger Suspendierung vom Dienst“ bei „bestätigtem Verdacht von Rassismus“ – unabhängig von eventuellen Strafverfahren oder Disziplinarmaßnahmen.
Französische Kolonialgeschichte
Die Solidarität mit schwarzen Opfern von Polizeigewalt und den antirassistischen Protesten in den USA nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis hat in Frankreich etwas in Gang gebracht. So werden auch andere Fälle neu aufgerollt. Etwa der Fall von Théo, der als 27-Jähriger 2017 in Aulnay-sous-Bois mit einem Polizeischlagstock anal schwer verletzt worden war. Trotz historischer Differenzen zu den USA ist die Polizeigewalt und Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe auch in Frankreich ein wiederkehrendes Thema.
Bei der Debatte über Polizeigewalt und Racial Profiling geht es auch um die Verdrängung der französische Kolonialgeschichte in Afrika. Das erklärt auch die scharfen Reaktionen von ganz rechts. Diese vertauscht die historischen Rollen, wenn sie heutigen Antirassismus als Form von „Rassismus gegen Weiße“ darstellen will. So fühlt sich beispielsweise die Rechtsextremistin Marion Maréchal Le Pen, die Nichte der Parteichefin des Rassemblement national, von den Antirassisten persönlich angegriffen: „Als Weiße und Französin muss ich mich mich nicht für den Tod eines Afroamerikaners entschuldigen.“ Später verurteilte sie namentlich alle Formen von (später) Reue für die Verbrechen der Sklavenhändler und kolonialistischen Ausbeutung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen