Proteste gegen Polizeigewalt in Paris: The Revolution has come
Die französische Sängerin Camélia Jordana spricht im Fernsehen über Polizeigewalt – und trifft einen Nerv.
V or etwas mehr als zwei Wochen, in jenen Tagen, kurz nach der ersten Lockerung der Ausgangssperre, in denen Paris wie eine unverhofft entspannte, fast sanfte Stadt wirkte, weil die Menschen auf einmal nicht mehr schick herausgeputzt in überteuerten Cafés herumsaßen, sondern wurstig gekleidet, mit einem Bier in der Hand am Straßenrand hockten und ausnahmsweise wirkten, als hätten sie Zeit, in diesen ersten Tagen des „Danach“ also sorgte die französische Sängerin Camélia Jordana für die erste corona-externe Debatte.
Sie erklärte da in der sehr populären Fernsehsendung „On est pas couché“, dass, Quote, „in den Banlieues täglich Tausende Männer und Frauen auf dem Weg zur Arbeit massakriert werden, aus keinem anderen Grund als ihrer Hautfarbe“, und meinte weiter, sie selbst habe, so wie Tausende andere auch, Angst, wenn sie einem Polizisten begegne.
Die Wortwahl war, das stimmt schon, sagen wir, ungeschickt. Sie war etwas zu grob, nicht differenziert genug, in Frankreich werden Menschen nicht systematisch und nicht zu Tausenden täglich „massakriert“, die Polizei ist auch nicht durch die Bank rassistisch und die Situation in manchen Banlieues (daran hat der Film „Les Misérables“ vor ein paar Monaten sehr eindrücklich erinnert) für beide Seiten, die Bewohner wie auch die Polizisten, ein offenbar unlösbarer Albtraum aus Hass, Erniedrigung und Gewalt.
Nur ist das, was Camélia Jordana an dem Abend benannte, ja deshalb kein bisschen weniger wahr. Es gibt in der französischen Polizei wie auch in der französischen Gesellschaft Rassismus, und leider nicht wenig (wie unter anderem eine vor ein paar Tagen entdeckte Facebook-Seite beweist).
Kinder der schicken Viertel
Manche, nicht nur Jungs aus der Banlieue, nicht nur sogenannte „racailles“, sondern auch Kinder aus den schicken Vierteln, die aus dem 16. oder 6. Arrondissement von Paris, werden häufiger und aggressiver kontrolliert als ihre Freunde, einfach nur, weil ihre Haut ein bisschen dunkler ist. Viele fühlen sich dem entsprechend nicht sicher, wenn sie einem „Ordnungswächter“ begegnen.
Die Sängerin wies also auf eine Tatsachen hin, wurde aber trotzdem für ihre übertriebene Emphase und nicht ganz adäquate Wortwahl getadelt. Sie würde eine ohnehin schon angespannte Situation befeuern, hieß es, sie würde den Hass und die Gewalt nur noch weiter antreiben, sie sei unverantwortlich, sie solle sich schämen, die Polizei hätte es zwischen Attentaten, Gelbwesten und sonstigen Krisensituationen doch ohnehin schon schwer genug (was sicher stimmt), Polizeigewalt sei in Frankreich nicht existent und so weiter.
Auch ohne eine übermäßige Sympathie für diese Sängerin zu hegen, fragte man sich, wer hier eigentlich nicht ganz richtig tickt: Da sagt eine, meinetwegen auch etwas ungeschickt, pardon, aber ich fühle mich nicht sicher, so wie übrigens viele andere auch, und man antwortet ihr ganz unverfroren: „Halt’s Maul und schäm dich, so was zu sagen.“ Es war ein bisschen wie mit den Frauen: Statt den Täter „blamed“ man lieber erst einmal reflexartig das Opfer, das sich für einige immer irgendwie zu spät, zu unklar, ja vielleicht auch nicht ganz unschuldig zu Wort meldet. Zumindest solange es allein dasteht.
Jordana traf, ohne es zu ahnen, einen Moment. Zwei Tage nach ihrem Auftritt starb George Floyd in den USA unter dem Knie eines Polizisten. Ein paar Tage später standen trotz Versammlungsverbot 20.000 Menschen vor dem Justiztribunal in Paris und demonstrierten. In Solidarität mit Floyd und der amerikanischen Bewegung, aber auch für einen nationalen Fall: Adama Traoré, der 2016 kurz nach einem Polizeieinsatz mit nur vierundzwanzig Jahren starb.
Die Todesursache
Die Ursache seines Todes ist bis heute umstritten, seine Familie, allen voran seine Schwester, die mittlerweile zur Ikone aufgestiegene Assa Traoré (Virginie Despentes nennt sie eine moderne „Antigone“), fordern seit Jahren „Gerechtigkeit für Adama“, die nun vielleicht sogar kommt: Ende Juli sollen nun neue Zeugen verhört werden.
Unsere Sängerin hat auf der Demo gesungen: „Revolution has come, time to pick up the gun.“ Und wurde dafür natürlich, raten sie mal, wieder getadelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt