Black-Lives-Matter-Demo in Berlin: Schweigen ist Silber, Handeln Gold
Bewährungsprobe für Antidiskriminierungsgesetz: Nach der Demo gegen Polizeigewalt fordern Aktivist:innen politische und rechtliche Konsequenzen.
Er habe am Dienstagmorgen sogar ein Auto gesehen, das mit dem Schriftzug „Black Lives Matter“ an ihm vorbeigefahren sei. Vor allem über Social-Media-Kanäle hätten viele junge Leute an der Ermordung von George Floyd in den USA Anteil genommen und sich anschließend mobilisiert. Jetzt müsse es auf politischer Ebene weitergehen, sagt Della, der in einem Netzwerk arbeitet mit Berliner zivilgesellschaftlichen Antidiskriminierungsstellen wie Each One Teach One, Reachout und der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt.
„Ein nächster Schritt wäre es, ein bundesweites Netzwerk von Antidiskriminierungsbüros aufzubauen, sodass man flächendeckend gegen Behördenrassismus vorgehen kann.“ Gegen institutionellen Rassismus helfen keine punktuellen Entlassungen oder interkulturelle Trainings, sagt Della, sondern nur handlungsfähige Strukturen. Während in Berlin durch das Landesantidiskriminierungsgesetz erstmals solche geschaffen werden sollen, fehlen sie anderswo noch völlig.
Die linke Gruppe Migrantifa, die am Samstag in einem Block bei der Black-Lives-Matter-Demo zu finden war, prangerte vor allem rassistische Polizeigewalt während der Demo an. Die Geschehnisse seien eine echte Probe für das neue Antidiskriminierungsgesetz, schreibt die Gruppe in einer Pressemitteilung, in der sie rassistische Vorfälle schildert und kritisiert.
Bis 4:30 Uhr vor der Gesa
Auch Aktivistin Lyza S., die ebenfalls im linken Block demonstrierte, fordert im Nachgang vor allem Solidarität mit während der Demo festgenommenen People of Colour und Schwarzen. „Es gab tatsächlich rassistische Polizeigewalt auf einer Demo gegen rassistische Polizeigewalt“, sagt S. zu den über 90 Inhaftierungen von überwiegend Schwarzen und People of Colour am Samstag. Aktivist:innen aus dem linken Block und der Migrantifa hätten bis 4.30 Uhr vor der Gefangenensammelstelle ausgeharrt und auf die Freilassung gewartet.
„Wir leisten gerade Unterstützungsarbeit für Betroffene, indem wir anwaltliche und psychologische Beratung vermitteln, und dokumentieren Fälle und Erfahrungen.“ Nach diesem massiven Protest und wiederum der Gewalt durch die Polizei sei es wichtig, dass das Thema nicht auf symbolischer Ebene verhandelt, sondern daraus Schlüsse gezogen würden.
Lyza S., Aktivistin und Demoteilnehmerin
Solche Schlüsse will nun auch die grüne Basis ziehen, der das Thema institutioneller oder Behördenrassismus derzeit unter den Nägeln brennt. Die beiden Bezirksgruppen Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg diskutierten am Dienstagabend über einen Antrag, sich für die Einrichtung einer Enquetekommission im Abgeordnetenhaus stark zu machen. „Ich hatte einfach die Nase voll“, sagt Aida Baghernejad von den Grünen aus Friedrichshain-Kreuzberg, die jetzt den Anstoß dazu gab, und zählt auf: George Floyd, die neuesten Enthüllungen um Beziehungen zwischen Berliner Sicherheitsbehörden und rechten Strukturen, die Polizeigewalt nach der Großdemo.
Eine solche Enquetekommission könnte die verschiedenen Facetten übergreifend analysieren, erklärt Philmon Ghirmai von den Grünen Neukölln – „und vor allem säße die Zivilgesellschaft mit am Tisch, was eine unabhängige Analyse garantiert“, hofft er. Ziel der Kommission soll sein, „rassistische bzw. diskriminierende Strukturen in der Berliner Verwaltung (zu) identifizieren und institutionelle und zivilgesellschaftliche Handlungsempfehlungen (zu) erarbeiten, um diese abzubauen“, heißt es im Antrag.
Die Idee sei bereits „nach Hanau“ entstanden, so Ghirmai. Er und einige andere Grüne hatten den Antrag vor dem Hintergrund der rechten Anschlagserie in Neukölln und den ausbleibenden Ermittlungserfolgen bereits beim letzten Landesparteitag einbringen wollen, der dann wegen Corona ausfiel.
Auch für Ghirmai gibt es viele Gründe für eine solche Enquete – von Racial Profiling über Diskriminierung in Behörden und Verwaltungen bis hin zur offenkundiger Polizeigewalt ausgerechnet gegen BPoC am Samstag. Er sagt: „Wenn die Polizei das Vertrauen der Bürger:innen haben will, muss sie einer politischen Überprüfung standhalten können – und sie eigentlich sogar begrüßen!“
Falls der Antrag in beiden Bezirken durchgeht, müssen weitere Kreisverbände und zuletzt die Fraktion gewonnen werden. Dort gibt es bereits Unterstützerinnen, darunter die Abgeordneten Sebastian Walter, June Tomiak und Susanna Kahlefeld. Ob eine Enquete noch in dieser Legislatur kommen kann, ist jedoch fraglich. „Natürlich möchte ich sie am liebsten sofort“, sagt Ghirmai. Aber wenn sie nur ein Jahr tagen würde, weil in 2021 wieder gewählt wird, „wäre das viel zu kurz“.
Am Sonntag nächste Großdemo: Unteilbar
Die öffentliche Debatte im Nachgang der Demo dreht sich unterdessen bereits zu einem großen Teil wieder um Infektionsschutz während der Coronapandemie. Grünen-Vorsitzende Antje Kapek bemängelte die Polizeitaktik, die offenkundig nicht auf solche Menschenmassen vorbereitet gewesen sei. Tom Schreiber (SPD) sprach sich sogar dafür aus, das Abstandsverbot bei Demos zu kippen. Der rot-rot-grüne Senat hingegen sieht im Gegensatz dazu vor allem Demonstrant:innen in der Pflicht. Anmelder:innen müssten Konzepte und Umsetzung kontrollieren.
Und der Gesundheitswissenschaftler Karl Lauterbach (SPD) kritisierte das hohe Risiko, das von Großkundgebungen wie dieser ausgehe. Sprechchöre von derart vielen Menschen auf engem Raum verteilten große Mengen an Aerosolen, die Infektionsgefahr sei groß. Das sei ein Sargnagel für noch bestehende Regeln.
Lyza S. hält dagegen: „Dass so viele Menschen gekommen sind, sagt etwas über die Dringlichkeit aus, die von rassistischen Polizeimorden ausgeht, und nicht, wie ernst es Leute mit der Infektionsgefahr nehmen. Wir können bei dem Thema nicht leise bleiben“, sagt sie. Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer:innen hätte zudem Mundschutz getragen.
Am Sonntag soll bereits die nächste Großdemo stattfinden: die Unteilbar-Demo. Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen wird dabei sein, ebenso die Migrantifa-Gruppe. Infektionsschutz soll hier gewahrt werden, indem Teilnehmende ein neun Kilometer langes Band der Solidarität halten sollen – mit jeweils drei Metern Abstand.
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