Biologe über Bartgeier in Bayern: „Manche schaffen es halt nicht“

Im Juni 2021 sind in Bayern erstmals Bartgeier ausgewildert worden. Nun ist einer von ihnen gestorben – auch für Projektleiter Toni Wegscheider unerwartet.

Der inzwischen vertorbene Bartgeier Wally bei einem ihrer frühen Flüge über dem Nationalpark Berchtes­gaden

Wally bei einem ihrer frühen Flüge über dem Nationalpark Berchtes­gaden Foto: Michael Wittmann/Landesbund für Vogelschutz/dpa

taz: Wally ist tot. Wann haben Sie es erfahren?

Toni Wegscheider: Am Samstagnachmittag habe ich einen Anruf der Kollegen des LBV-Suchtrupps vor Ort bekommen. Wir hatten schon seit Tagen in der Gegend gesucht, aus der wir das letzte Sendersignal erhalten hatten. Das war am Südhang des Mauerschartenkopfs im Wettersteingebirge, etwa auf 1500 Metern Höhe. Seit 16. April hat sich der Sender ja nicht mehr bewegt. Leider haben wir dann aber nicht nur den Sender, sondern auch die Reste von Wally vorgefunden. Also das, was Kolkraben, Füchse und Co. noch von ihr übrig gelassen haben: den Großteil des Skeletts und des Gefieders.

43, ist Biologe und leitet das Bartgeier-Auswilderungsprojekt des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) im Nationalpark Berchtes­gaden.

Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert?

Es hat mich schon ganz schön mitgenommen – gerade auch, weil es so unerwartet kam. Eigentlich waren wir fest davon ausgegangen, dass wir nur den Sender finden. Der hat ja eine Sollbruchstelle, so dass er für gewöhnlich nach ein paar Jahren abfällt. In diesem Fall dachten wir halt, Wally hätte ihn schon früher verloren.

Vor ziemlich exakt einem Jahr haben Sie Wally und Bavaria, ein weiteres Bartgeierjunges, im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert. Die erste Auswilderung von Bartgeiern auf deutschem Boden. Und eigentlich ist doch bis jetzt alles ganz gut gelaufen?

Es hätte nicht besser laufen können. Ich bin immer wieder gefragt worden: Gibt es noch etwas, was ihr verbessern könnt? Aber ich wüsste nicht was – außer vielleicht so Kleinigkeiten wie die Einstellung des Winkels der Webcam. Die beiden Geier waren topfit und selbstständig.

Am Anfang haben Sie sie ja noch mit Futter versorgt.

Das stimmt, aber schon seit Oktober letzten Jahres haben sie diese Futterplätze gar nicht mehr angeflogen. Die haben beide selber genügend Aas gefunden – interessanterweise auch unabhängig voneinander. Es ist also genau das eingetreten, was wir erreichen wollten. Es war wirklich toll, das zu beobachten.

Wally war 13 Monate alt. Kommt es oft vor, dass Bartgeier in diesem Alter sterben?

Man weiß es gar nicht so genau, weil wir bei den meisten Bartgeiern im Alpenraum gar nicht mitbekommen, in welchem Alter sie sterben. Wir vermuten aber, dass die Sterblichkeit der jungen Geier vergleichsweise niedrig ist. Seit 2008 werden die Tiere vor der Auswilderung besendert. Und von diesen Tieren wissen wir, dass 88 Prozent schon mal das kritische erste Jahr überlebt haben. Aber das ist natürlich nur eine relativ kleine Gruppe, über die wir wirklich verlässliche Zahlen haben.

Was für Todesursachen sind denkbar?

Ich will da gar nicht spekulieren. Soweit wir das beurteilen können, sind jedenfalls keine menschlichen Gefahrenquellen in der Umgebung. Das ist ja ein völlig verlassenes Naturschutzgebiet. Da sind beispielsweise keine Seilbahnkabeln, die ihr zum Verhängnis hätten werden können. Auch für Wilderer ist das Terrain dort viel zu unzugänglich. Aber es sind schon die unterschiedlichsten Todesursachen bei Bartgeiern nachgewiesen worden: Da sind Tiere in der Luft beim Kampf von Steinadlern getötet, von einer Kreuzotter gebissen oder von einer Lawine verschüttet worden. Oder sie haben eine Bleivergiftung erlitten, weil die Gams, deren Aas sie gefressen haben, mit bleihaltiger Munition geschossen worden ist. In Spanien sind letztes Jahr drei kreisende Bartgeier im Gewitter vom Schalldruck eines Donners erschlagen worden. Das muss man sich mal vorstellen! Nicht von einem Blitz, sondern nur von der Wucht des Donners. Denen hat es die Ohrmuscheln und die Herzen zerrissen. Unwetter oder Lawinen können wir allerdings bei Wally wegen des Todeszeitpunkts ausschließen.

Gab es Anzeichen, dass sie krank gewesen sein könnte?

Nein, alles deutete daraufhin, dass sie in einer Top-Kondition war. Die Vitaldaten, die wir über den Sender erhalten haben, waren bestens. Und eine Kollegin von mir hat sie noch vier Tage vor ihrem Verschwinden wunderschön fliegen sehen. Und in den letzten zwei Tagen hat sie ja noch 380 Kilometer zurückgelegt. Das macht kein Geier, der krank oder verletzt ist oder hungert. Da werden die Bewegungsradien eher kleiner. Natürlich gibt es Krankheiten wie die Vogelgrippe, die ganz schnell gehen können, aber eine solche Infektion wäre bei einem einzelgängerischen Vogel wie dem Bartgeier sehr ungewöhnlich.

Wird man die Todesursache herausfinden können?

Ich glaube, die Chancen stehen gar nicht so schlecht. Es gibt zwar kein Weichgewebe mehr, das man untersuchen kann, aber auch an den Knochen könnte man beispielsweise Verletzungen durch eine Adlerkralle feststellen. Oder Chemikalien, Umweltgifte – was wir untersuchen können, werden wir untersuchen. Und selbst wenn wir die Todesursache nicht definitiv bestimmen können, dann werden wir zumindest ein paar Möglichkeiten ausschließen können.

Wird man denn aus Wallys Schicksal etwas für die künftigen Auswilderungen lernen können?

Natürlich ist für uns jetzt das Ergebnis dieser Untersuchung sehr wichtig. Sollte sich da beispielsweise doch eine menschliche Ursache nachweisen lassen, müsste man überlegen, was für Konsequenzen man daraus ziehen kann und muss. Ich rechne aber eher nicht damit. Und dann muss man halt auch sehen: Irgendwann haben wir keine Einflussmöglichkeiten mehr. Und so soll es auch sein, es sollen ja wieder Wildvögel werden. Und da wird es immer wieder welche geben, die überleben, und welche, die es leider nicht schaffen.

Wie geht es Bavaria?

Soweit wir wissen, bestens. Die hat uns ja im Herbst sehr überrascht, weil wir sie eigentlich für die Behäbigere der beiden gehalten hatten. Aber dann ist sie am 17. Oktober ohne erkennbaren Auslöser zu ihrem Erstflug aufgebrochen und direkt von Berchtesgaden fast bis Wien geflogen. Das war schon spektakulär. Zur Zeit befindet sie sich aber wieder hier im Umfeld des Nationalparks.

Die Bartgeierweibchen Wally (l) und Bavaria werden vor ihrem Transport im Nationalpark Berchtesgaden gezeigt.

Juni 2021: Die Bartgeierweibchen Wally (links) und Bavaria vor ihrem Transport im Nationalpark Foto: Peter Kneffel/dpa

Können wir erwarten, dass Bavaria passend zu ihrem Namen auch der erste Bartgeier seit über 140 Jahren sein wird, der sich wieder in Bayern niederlässt?

Da wage ich noch keine Prognose. In einem Jahr kann man das vielleicht besser einschätzen. Aber momentan ist sie mitten in der Wanderphase. Da kann sie jederzeit der Rappel packen und sie fliegt plötzlich in die Steiermark oder in die Schweiz und findet dort ein Männchen, bei dem sie bleibt. Aber da zwei Drittel der Bartgeier der Heimat treu bleiben, könnte es durchaus sein.

Schon nächste Woche, am 9. Juni, werden Sie in derselben Felsnische wieder zwei Bartgeier auswildern. Wer sind die beiden?

Es sind wieder zwei Weibchen. Wie Wally und Bavaria kommen sie aus der Zuchtstation Guadalentín. Das eine ist eine Schwester von Wally, das andere eine Cousine von Bavaria. Am Montag sind sie im Nürnberger Tiergarten angekommen. Von dort kommen sie nächste Woche zu uns in den Nationalpark.

Und wie heißen die beiden?

Das weiß ich auch noch nicht. Eine Namenspatenschaft übernimmt ein sehr großzügiger Spender des LBV, für den anderen Namen hat der Berchtesgadener Anzeiger einen Leserwettbewerb ausgeschrieben. Nächsten Donnerstag wissen wir mehr.

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