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Biohändler kritisieren Nutri-ScoreBio-Saft Mittelmaß, Cola-Light gut

Der Biohandel hält die Lebensmittelampel für unzureichend. Ab November soll der Nutri-Score Orientierung im Supermarkt bieten.

Das farbige Logo von Nutri-Score Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin Biounternehmen sehen erheblichen Nachbesserungsbedarf bei der Verordnung zum sogenannten Nutri-Score, die der Bundesrat am Freitag verabschiedet hat. In seiner aktuellen Form weise dieser „zu viele Mängel auf“, so der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN). Bio-Lebensmittel seien gesünder und nachhaltiger, durch den Nutri-Score würden sie aber benachteiligt. Dies müsse sich ändern, bevor über eine Verpflichtung diskutiert werde.

Die „Nutri-Score“ genannte Lebensmittelampel kommt nun auch in Deutschland und das bereits ab November. So steht es in einer entsprechenden Verordnung von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU), die die Länderkammer absegnete. Der Nutri-Score beurteilt die Nährwertprofile von Lebensmitteln. Ein Algorithmus wägt hierfür positiv und negativ wirkende Inhaltsstoffe gegeneinander ab. Verpflichtend ist die Ausweisung in Ampelfarben mit Buchstaben von „A“ für sehr gut bis „E“ für ungenügend für die Hersteller jedoch nicht, dies müsste auf EU-Ebene geregelt werden.

Die Kritik des Ökohandels am Nutri-Score ist grundlegend: „Bio-Lebensmittel sind untrennbar mit einer intakten Umwelt verbunden“, sagte BNN-Geschäftsführerin Kathrin Jäckel. „Sie sind außerdem durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide bei der Erzeugung und mit möglichst naturbelassenen Zutaten auch die gesünderen Lebensmittel. Deswegen kann es nicht angehen, dass ein Label, das zu gesunder Ernährung hinführen soll, diese Tatsachen unberücksichtigt lässt.“

Nicht nährwertrelevante Ersatzstoffe würden vom Nutri-Score nicht erfasst, so der BNN. So seien Öle, Vollkorngetreide und ballaststoffreiche Lebensmittel in der Berechnung gegenüber konventioneller Erzeugung im Nachteil. Dabei seien „die ernährungsphysiologischen Vorteile von Vollkornprodukten eindeutig und wissenschaftlich unbestritten“. Der BNN spricht von einer „Fehlbewertung“ und forderte ein „bundesweit einheitliches und konsequentes Konzept zur Ernährungsbildung“ sowie „regulatorische Maßnahmen für Marketingstrategien“.

Das Max-Rubner-Institut, als Bundesforschungsinstitut zuständig für den Nutri-Score-Algorithmus, relativiert diese Kritik, da „Ersatzstoffe wie beispielsweise Stevia, Xylit oder Erythrit auch in ökologisch hergestellten Produkten Verwendung finden“. Auch unter Bio-Lebensmitteln fänden sich Produkte, „die aus ernährungsphysiologischer Sicht eine ungünstige Zusammensetzung aufweisen“.

Foodwatch: „Absolut beste Kennzeichnung“

„Ein Label kann nicht alle Dimensionen eines Nahrungsmittels abbilden“, sagt dagegen Luise Molling von Foodwatch. Die scharfe Kritik der Biobranche an dem Gesetz findet sie „enttäuschend“. Dabei sei diese sonst stets Vorreiter in Sachen gesunder Ernährung. Im einfach zu verstehenden Nutri-Score sieht sie „die absolut beste Kennzeichnung, die wir bisher haben“, aber trotzdem ebenfalls Nachbesserungsbedarf. Am wichtigsten sei eine Verpflichtung der Ausweisung auf EU-Ebene: „Unternehmen wie Ferrero oder Coca-Cola werden sich das Label sicher nicht freiwillig auf jede Verpackung drucken“.

Foodwatch forderte auch Beschränkungen des Kinder-Marketings für Lebensmittel. Kinder dürften „nicht von klein auf mit Werbung für ungesunde Lebensmittel bombardiert werden“, so Molling. Wer sich „einen gesunden Schein gibt“, würde nur mit einem verpflichtenden Nutri-Score entlarvt. Schwer zu verstehen sei für Verbraucher:innen, dass nach der Berechnung Bio-Apfelsaft ein mittelmäßiges „C“ bekäme, Cola-Light jedoch ein gutes „B“. Hier stellt sich Molling auf die Seite der Bio-Branche. Man dürfte, Produkten mit Süßstoffen als Zuckerersatz „gar keine grüne Bewertung geben“.

Informationen über Brennwert, Fett, Zucker und Salz müssen bereits in allen EU-Ländern auf Verpackungen ausgewiesen werden. Die Interpretation dieser Angaben war aber bisher den Verbraucher:innen selbst überlassen. Frankreich hat den Nutri-Score auf freiwilliger Basis 2017 als erstes eingeführt, Belgien, Spanien, Portugal, Luxemburg und die Schweiz verwenden mittlerweile ebenfalls Label in Ampelfarben.

Der vielfach kritisierte Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé begrüßte den Nutri-Score in einer Mitteilung. „Wir freuen uns, dass ab sofort die Rechtssicherheit in Deutschland gegeben ist und wünschen uns, dass möglichst viele Hersteller und Händler Nutri-Score ebenfalls einsetzen“. Für einzelne Produkte nutze man die Ampel bereits seit Jahresbeginn.

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17 Kommentare

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  • Ein Blick auf den Nutriscore ersetzt nicht das Studium des Kleingedruckten auf der Rückseite der Verpackung, schon gar nicht für Allergiker. Auch nicht für Leute, die gesund essen wollen. Eigentlich ist das Ding nur eine Minimallösung für die Lesefaulsten. Ich jedenfalls werde mich weiter an der Zutatenliste orientieren. Ist sie zu lang, ist das Nahrungsmittel sowieso nicht empfehlenswert, weil hoch verarbeitet. Aber eins stimmt: Es gibt auch im Biomarkt Lebensmittel mit viel zu viel Zucker, zum Beispiel Tomatensoße mit 10%, auch noch mit einem extrabunten Etikett für Kinder. Dass die schlecht abschneiden, wenn sie teilnehmen (Freiwilligkeit, haha), ist vollkommen gerechtfertigt.

    • @Patricia Winter:

      vollkommen richtig.

      Es wär doch mal n Label interessant das Abweichungen von traditioneller Herstellung bewertet. In manche Sachen muss ja Zucker, in andere nicht. Je mehr die Industrie abweicht mit mehr Zucker, mehr Fett, minderwertige Ersatzstoffe,... desto schlechter die Bewertung. Brot mit Salz, Hefe, Mehl, Wasser ist A, und vielleicht denkt ja dann mal jemand warum hat das Brot im Regal nur D oder E...

      • @danny schneider:

        Gefällt mir. Außerdem... Wie würde beim Nutriscore Olivenöl abschneiden? Wo es doch so fett ist ;-)

  • Dass Ballaststoffe angeblich nicht berücksichtigt werden, hat mich ebenfalls sehr verwundert. Das ist eindeutig relevant für die Gesundheit und muss nachgebessert werden.

    Rückstände von Pestiziden haben auch in Nicht-Bio-Lebensmitteln nichts verloren. Falls es in manchen Fällen doch welche gibt, ist das schlicht kriminell. Dafür gibt es nicht umsonst gesetzlich festgelegte Grenzwerte.

    Was Verpackung, Transport etc betrifft: Der Nutriscore beschäftigt sich nun mal ausschliesslich mit der Wirkung auf den Konsumenten, nicht auf die Wirkung auf die Umwelt. Dafür sollte es andere Labels geben. Die schlimmste Zutat ist nun mal Zucker in allen Variationen. Für die Gesundheit spielt es keine Rolle, wie der hergestellt wurde. Ob Bio-Zuckerrübe, im Bio-Fruchsaft, im Honig oder einfach nur kiloweise Kirschen: zuviel davon ist in jedem Fall zuviel. Bio und Gesundheit sind zwei grundlegend verschiedene Kategorien. Ein einfacher Score kann niemals beide gleichzeitig berücksichtigen ohne völlig entwertet zu werden, wenn man Verbraucher zu gesunden Lebensmitteln leiten will.

  • Bio erscheint wie ein moderner Ablasshandel. Als wären die Produzenten keine kapitalistischen Unternehmer, als ging es hier ums Wohl der Menschheit und nicht um Umsatz.



    So eine Ampel ersetzt nicht, sich mit dem Erzeuger und der Herkunft der Produkte auseinanderzusetzen. Die Formel Bio = gut oder auch nur Bio = besser ist nicht korrekt.



    Ah btw. auch das Bio Fleisch stammt von einem Tier.

    Aktuell gibt es im Rewe ne Werbedurchsage eines Unternehmens, sinngemäß:



    Das Wohl der Tier liegt uns am Herzen, darum sind wir von x mit dem Siegel y versehen worden, unser neues Wurstsortiment....

    Beim ersten mal musste ich wirklich lachen, die Welt ist in einem Maße absurd, dass es irgendwie auch wunderbar ist.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Apfelsaft macht dick. Egal ob Bio oder konventionell.



    Trinkt Wasser.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Apfelsaft enthält auch Nährstoffe, die Menschen brauchen. Nicht Apfelsaft macht dick, sondern zu viel Apfelsaft.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Der Druck auf Klöckner war wohl doch zu groß. Aber so ganz hat sie sich ja von den Lobbyistenfesseln nicht befreit - Nutri-Score - alles freiwillig.

    Also können die Hersteller weiter Dreck verkaufen.

  • Bio-Cola hat eben auch bis zu 10% Zuckeranteil, nicht anders als herkömmliche Colagetränke.

  • "Man dürfte, Produkten mit Süßstoffen als Zuckerersatz „gar keine grüne Bewertung geben“."

    Ja, dem Bio-Saft mit viel Fruchtzucker aber halt auch nicht.

    Wird halt wie damals schon in Australien:



    Auf der Tütensuppe steht "ZUCKERFREI"



    Auf den Bonbons steht "FETTFREI"

  • Das war der Zweck der Übung, schätze ich. Das Prinzip Glaube ist wieder stark auf dem Vormarsch, und zu glauben ist nun mal am leichtesten, wenn nicht all zu viel Differenzierung stattfindet zwischen „gut“ und „schlecht“.

    Schwarz-Weiß-Malerei geht halt auch mit fünf Farben. Dass die Industrie so etwas begrüßt, ist sehr verständlich. Die Lebensmittelkonzerne müssen sich nun nur die Beurteilungskriterien der Prüfer genau ansehen. Dann können sie ihre Profukte punktuell anpassen, ohne grundlegende Änderungen vorzunehmen (siehe Cola). Haben sie das getan, wirbt die EU für ihre Produkte, ohne dass es dir auch nur einen einzigen Cent kostet.

    Und der Durchschnitts-Verbraucher? Der ist auch immer froh, wenn er sich ohne viel eigene Überlegung ein gutes Gewissen kaufen kann. Ist ja auch wirklich nicht leicht, in einem Dschungel aus immer mehr Chemie, Risiken und Nebenwirkungen klar zu kommen, Vor allem, wenn man ständig umworben wird. Da kann es gut zu einem 24/7-Job werden, sich selbst und seine Liebsten noch gesund zu ernähren. Die „Ampel“ kommt da sicher wie gerufen.

    Und die Bil-Branche? Die klagt mal wieder nur über Benachteiligungen. Am Prinzip selbst hat sie nichts auszusetzen. Sie wird also höchstwahrscheinlich von Nestlé und Co. lernen wie sie profitieren kann und ihre Produkte anpassen. Gleich, nachdem ihr die Regulierter ein Stückchen entgegen gekommen sind, denn das muss sein fürs eigne Ego. Man ist ja schließlich einer von den Guten und will entsprechend gewürdigt werden.

    Am Ende war mal wieder viel Lärm um nichts. Es bleibt, wie es schon immer war, nur noch etwas verlogener. Wer sich dran stört, kann ja den Apfelsaft direkt im eigenen Garten ernten und sich um Ampeln gar nicht scheren. Und alle anderen können es einen Fortschritt nennen, wenn der „Diskurs“ zum Kompromiss geführt hat - und damit die Überlegenheit eines grundlegend krank(machend)en gesellschaftlichen Systems unter Beweis gestellt. Sehr stabilisierend, das.

  • Das Ganze ist eine Scheindebatte, weil die Annahme, dass es eine besonders gesunde oder ungesunde Ernährung gäbe, ein moderner Mythos ist.

  • Bio-Zucker ist Zucker. Die sogenannten "healthy foods" in den Bioläden wurden bereits vor 20 Jahren immer süßer. Hauptsache Bio-Rohrzucker oder Honig, dann ist ja egal, wieviel davon. Ich bin gespannt, wann die erste Werbung für Bio-Acrylamid für Verpackungen erscheint.

  • Es liegt also nur daran, dass die Bürger nicht wissen was gesundes Essen ist und was nicht. Ohne die Aufkleber würde wohl der deutsche Durchschnittsbürger denken das ein Salat genauso gesund ist wie eine Fertigpizza, oder wie???

    Ich fühle mich für dumm verkauft.

  • BIP-Zucker ist so gut oder schlecht wie konventioneller Zucker. Bio ist vor allem besser für die Umwelt und das Tierwohl. Zuviel Zuckerbrot ungesund. Ob das jetzt BIP ist oder nicht, ist vollkommen egal. Oder möchte die Bio-Branche Coca-Cola mit bio zutaten ernsthaft eine bessere Bewertung geben? Wirkt so, als würde jemand was dagegen haben, dass der falsche Schluss beseitigt wird bio=gesund. Letztlich geht es doch auch hier nur um eins: Marketing und Geld

    • @Strolch:

      Ich habe keinen Zweifel daran, dass in der Masse betrachtet Bio-Lebensmittel gesünder sind als konventionell produzierte.



      Da ist also nichts egal.

  • Die ganze Debatte ist viel zu undifferenziert.



    Die Biobranche hat die Einführung des EG-Labels noch gar nicht richtig aufgearbeitet; die von den Verbandsvertreterinnen aufgezählten Vorzüge treffen vor allem auf die traditionelle Biowirtschaft und nicht auf die postmoderne Bioindustrie, welche ausschließlich in konventionellen Einzandel umgesetzt wird, zu.



    Die Vernachlässigung von Ballaststoffen ist eklatant und verschafft raffinerierten Lebensmitteln einen großen Vorteil, genauso wie die mangelde Unterscheidung der Zuckerersatzstoffe.

    Meine Frage dazu wäre:



    In wie weit wurden eigentlich Rückstände in den Lebensmitteln aus Pestiziden, Überdünnung, Verpackung und Transport berücksichtigt?