Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen: Rolle rückwärts bei G8 und Inklusion
NRW kehrt unter FDP-Bildungsministerin Yvonne Gebauer zurück zum Abi nach der 13. Klasse. Auch Inklusion soll wieder weg.
Niemand personifiziert die bildungspolitische Rolle rückwärts, die Nordrhein-Westfalens schwarz-gelbe Landesregierung unter CDU-Ministerpräsident Armin Laschet vorturnt, besser als Yvonne Gebauer: Die FDP-Schulministerin führt in dem Bundesland mit seinen rund 2,5 Millionen Schüler*innen das Abitur nach neun Jahren weiterführendem Unterricht wieder ein.
G9 statt G8 auch an Gymnasien: Die 51-jährige Kölnerin kassiert damit die wichtigste Schulreform der ebenfalls schwarz-gelben Vor-Vorgängerregierung unter Jürgen Rüttgers, die das verkürzte „Turbo-Abitur“ 2005 auf den Weg gebracht hat. „Der Zeitgeist“ sei „heute ein anderer“, hatte Gebauer, die nach ihrem eigenen Abitur eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten gemacht hat und damit Nordrhein-Westfalens erste Schulministerin ohne akademischen Abschluss ist, nach ihrem Amtsantritt bekräftigt.
Für eine Liberale ist das bemerkenswert; schließlich hatten sich FDP wie CDU in den Nullerjahren dem Druck der Wirtschaft gebeugt und deren Mantra stetig wiederholt: Deutsche Abiturient*innen und Hochschulabsolvent*innen seien schlicht zu alt. Jetzt vollstreckt Gebauer, Tochter des langjährigen Kölner Schuldezernenten und FDP-Stadtratsfraktionschefs Wolfgang Leirich und selbst acht Jahre lang bildungspolitische Sprecherin der Kölner FDP-Ratsfraktion, den Elternwillen.
G8 führe zu massivem Schulstress, für Sport, Musik oder Freund*innen bleibe kaum Zeit, argumentierte etwa die Elterninitiative „G9 jetzt“ – und drohte mit einem Volksbegehren, dass wohl mit einer massiven Klatsche für die Politik geendet hätte. Gebauer setzt mit dem Ende des Turbo-Abis um, was sich ihre grüne Vorgängerin nicht traute: Sylvia Löhrmann hatte gefürchtet, die schnelle Rückkehr zu G9 werde zu Chaos führen – schließlich hat der erste G8-Jahrgang erst 2013 Abitur gemacht.
Rückwärtsgang auch beim Thema Inklusion
Auch Gebauer, die von 2004 bis 2012 in Köln eine Firma für Immobiliendienstleistungen geführt hat und sich als Kauffrau versteht, weiß, welchen Kraftakt die Rückabwicklung des schwarz-gelben G8-Traums kostet: Die Zahl der Schüler*innen erhöht sich um ein Achtel. Zusätzliche Lehrer*innen, Schulräume und Ausstattung werden bis 2026 mehr als 600 Millionen Euro kosten.
Dabei ist G8 nicht ihre einzige Baustelle: Die verheiratete Mutter eines Sohns wickelt auch Löhrmanns zentrales Projekt der Inklusion behinderter Schüler*innen in Regelschulen ab. Obwohl von der UN-Behindertenkonvention gefordert, soll gemeinsamer Unterricht mit nichtbehinderten Schüler*innen begrenzt werden. Stattdessen werden „Förder“- oder Sonderschulen wieder flächendeckend angeboten.
Besonders Eltern leistungsstarker Schüler*innen fürchten, gemischter Unterricht drücke das Unterrichtsniveau. „Zu großem Unmut“ habe die Inklusion geführt, sagt die Schulministerin – mit festem Blick auf die Wähler*innen ihrer Klientel.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!