Bildband über Pinocchio-Eisbecher: Immer der Nase nach
9 Tage, 16 Bundesländer, 91 Pinocchio-Eise: Der grandiose Bildband „Mostro“ erzählt von einem verstörenden Roadtrip durch Deutschlands Eiscafés.
Bei der Kinderbuchfigur Pinocchio handelt es sich um eine Holzpuppe, die ein Junge aus Fleisch und Blut werden möchte, erfunden hat sie im 19. Jahrhundert der Italiener Carlo Collodi. Auch Speiseeis kommt aus Italien und vielleicht ist es diese gemeinsame Herkunft, die dazu geführt hat, dass Pinocchio-Eis seit Jahrzehnten fester Bestandteil des deutschen Eiscafé-Kinderkarten-Kanons ist, neben „Biene Maja“, „Micky Mouse“ und anderen.
Eine Erkundung des Pinocchio-Eis-Kosmos haben im vergangenen Sommer Leonhard Hieronymi und Christian Metzler vorgenommen. Ihre Mission: In neun Tagen möglichst viele Pinocchio-Eisbecher essen und fotografieren, in jedem Bundesland mindestens einen. „Es gab noch kein Buch über Pinocchio-Eisbecher in Deutschland, deshalb wollten wir es machen“, steht im Vorwort von „Mostro“, das ihre Reise dokumentiert.
2.528 Kilometer werden in einem 3er-BMW zurückgelegt. 91 Pinocchios werden verspeist. Christian Metzler hat sie alle fotografiert. Und auf den ersten Blick sind sie alle gleich: Eine kleine Kugel Eis als Kopf, eine größere als Torso, Smarties als Augen, eine abgebrochene Eistüte als Waffelhut, eine andere als Nase. Obwohl – als Nase nicht lieber ein Gebäckröllchen? Und vielleicht noch eine weitere Kugel Eis als schneemannhafter Bauch? In welchem Winkel steht die Nase? Gibt es Ohren? Und was ist mit dem Mund?
Je mehr Pinocchio-Eise man sieht, desto besser begreift man ihre traurige Einzigartigkeit. Mal schauen sie erschrocken, wie ein frisch geschlüpftes Küken, mal frech, mal verschlagen, oft auch komplett verwirrt in die Welt. Ein Exemplar aus Vechta sieht aus „wie ein auf der A1 verunglückter Autofahrer“.
Die Serialität von Christian Metzlers Fotos erzeugt einen Sog, genau wie der streng chronologische Reisebericht von Leonhard Hieronymi. In schnörkelloser Sprache notiert er Eisdielen und Übernachtungsitutationen, Bestellungen und Begegnungen, Gespräche und Gedanken. „In Eiscafés findet man die traurigsten Leute, wir sehen es immer wieder. Weil Zucker glücklich macht.“
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Unterwegs treffen Metzler und Hieronymi auf viel Immergleiches, aber auch auf Überraschendes, wie das „Dolce Phone“ in Memmingen, ein Eisbecher mit Handymotivik. Der Roadtrip wird zunehmend dystopisch, der ständige Zuckerüberschuss macht die beiden gereizt, sie essen Pillen von Doppelherz, um den Nährstoffmangel auszugleichen. Immer wieder müssen sie sich für ihre Mission rechtfertigen, manche Eisdielen wollen Erwachsenen keinen Pinocchio machen.
„Mostro“ ist italienisch für „Monster“, und das Monster, das die Autoren erschaffen haben, müssen sie selbst auslöffeln. „Auf unseren Handys sind Eisflecken, die Bildschirme sind schmierig, unsere Hosen und Hemden sind voller Vanille“, schreibt Hieronymi. „Ich wünschte mir, es hätte bereits ein Buch über Pinocchio-Eis gegeben, dann wäre uns das alles erspart geblieben“, schreibt Metzler.
Pinocchio ist eine Holzpuppe, die ein Junge aus Fleisch und Blut werden möchte. Ein Eisbecher wollte sie nie sein.
Leonhard Hieronymi, Christian Metzler: „Mostro“. Starfruit Publications, 192 Seiten, 25 Euro.
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