Alltagsgegenstände mal anders: Ein Behälter für Vanille und Gedöns

Eis aus der Literpackung ist großartig. Und die leeren Schalen sind nicht so sinnlos, wie sie scheinen. Man muss nur kreativ sein.

Ein Löffel steckt in einer Eispackung.

Kurzer Weg zur privaten Ein-Sorten-Eisdiele Foto: Marius Becker/dpa/picture alliance

Auf dem Heimweg von der Schule nach Hause war ich als Kind eher verträumt unterwegs. Zwar brauchte ich nur wenige Straßen zu überqueren, doch lieber balancierte ich auf dem Randstein neben der grünen Wiese, statt mich zu beeilen.

Erst wenn mein Magen zu knurren begann, beschleunigte ich meinen Gang. Zu Hause gab es dann Karottenreis mit Hähnchen oder Spaghetti Bolognese, und an Sommertagen wartete noch etwas im Gefrierfach auf mich: Eis. 900, 1.000 oder sogar 2.500 Milliliter Vanille, Stracciatella oder Walnuss, in großen Plastikschalen aus dem Supermarkt. Zwei bis drei große Löffel davon in ein Gläschen und fertig war der Nachtisch. Manchmal kippte mir mein Vater auch ein wenig Karottensaft hinein, für den guten Geschmack.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Diese großen Eispackungen waren fester Bestandteil meiner Sommerferien, von denen ich die meisten Wochen zu Hause in Berlin verbrachte. Zurück vom Schwimmen im Schlachtensee, vom Basketballspielen oder vom Abhängen mit Freunden, das Eis lag im Gefrierfach. Es war ein kurzer Weg zu meiner ganz privaten Ein-Sorten-Eisdiele.

Und dann begann es wieder früher zu dämmern, die Pullover wurden hervorgekramt und das letzte Eis des Jahres wurde verzehrt.

Was blieb, waren die Ver­packungen. Ausgewaschen und im Regal verstaut. Nun boten sie Platz für Münzen und Malsachen, auch als Brotbox auf Wandertagen waren sie oft mit dabei. In einem Design, das immer mal wieder verändert wurde, aber so ­ikonisch blieb wie Fußballtrikots.

Und wie Trikots kann man die Eisschalen auch sammeln. Die neue Mövenpick Mango zum Beispiel, aus angeblich hundertprozentig recycle­barem Plastik, eine Mucci Selection Premium Walnuss von Aldi oder die zeitlose ­Gelatelli Bourbon Vanille von Lidl. Mittlerweile lebe ich zwar nicht mehr im Haushalt meiner Kindheit, treffe die Eisschale im Alltag aber trotzdem oft wieder. In einem vietnamesischen Restaurant in Berlin-Schöneberg steht eine als Zahlteller für die Selbstabholer und eine weitere als Spülwasserbehälter in der Küche. Auch hinter den Kulissen der Volksbühne München bekommt sie eine neue Bestimmung. In der Kostümbildabteilung nutzen die Mitarbeitenden sie als Behälter für Nähzeug. Ist die ­Eisverpackung aus Plastik etwa die neue dänische Keksdose?

Bereits Produziertes anders zu nutzen, um gegenwärtige (Ordnungs-)Probleme zu lösen, statt etwas gänzlich Neues zu erfinden: Der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss wäre glücklich über die Eisverpackung. Er war ein großer Befürworter der Spielerei, der Bastelei, des sogenannten „Bricolage“.

Der Bricoleur agiert innerhalb einer begrenzten Verfügbarkeit von Materialien und Werkzeugen, er befürwortet Improvisation, Kombination und Neuinterpretation. Alte Eisschalen auszuspülen und weiterzunutzen, statt Brotboxen aus „gerettetem“ Meeresplastik zu kaufen, ist genau das. Die Wert­schätzung von Rohstoffen, eine kreative Art des Denkens. Und konservierte Erinnerung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.