Bild-Zeitung gegen Linksaktivisten: Hexenjagd in Hamburg
Die „Bild“-Zeitung berichtet über Anschlagspläne von „Links-Chaoten“ auf den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz. Die Polizei widerspricht.
HAMBURG taz | Die Hamburger Polizei hat Berichte der Bild-Zeitung dementiert, wonach „Links-Chaoten“ aus der autonomen Szene im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik des Hamburger SPD-Senats auf den Wohnsitz des Ersten Bürgermeister Olaf Scholz in Hamburg-Altona einen „Anschlag“ verüben wollten.
„Uns liegen keinerlei Hinweise über Anschlagspläne vor“, sagt Polizeisprecher Holger Vehren der taz. Angeblich sei die Wohnung von Scholz ausgespäht worden und Vermummte hätten von einem Gerüst im Nachbar-Haus aus versucht, an die Wohnung von Scholz zu gelangen, berichtete Bild unter Berufung auf Objektschützer.
Offen ins Visier genommen hat das Boulevard-Blatt dabei die 52-jährige Gentrifizierungsgegnerin Claudia Falke aus dem Hamburger Schanzenviertel, die der Polizei wegen zahlreicher Proteste gegen die Privatisierung des Schanzenparks durch den Bau des Mövenpick-Hotels im historischen Wasserturm aufgefallen war.
Falke ist unter anderem bekannt, weil mehr als 50 Anzeigen gegen sie wegen Hausfriedensbruch vom Hanseatischen Oberlandesgericht für rechtswidrig erklärt worden sind, weil der öffentlich zugängliche Rasen vor dem Mövenpick Hotel kein „befriedetes Besitztum“ sei. Und auch bei den Protesten zum Verbleib der sogenannten „Lampedusa Flüchtlinge“ in Hamburg ist sie aktiv.
In der Tat war Falke am Mittwoch am hellichten Tag auf dem Weg zu einem Termin mit Hund und Fahrrad in der Nähe des Scholz-Domizils routinemäßig überprüft worden. Auch ein Pärchen, das der linken Szene zugerechnet wurde, sei in einem angrenzenden Hof kontrolliert worden, berichtet Polizeisprecher Vehren. Es habe sich heraus gestellt, dass es mit einem Nachbarn von Scholz befreundet sei. „Zu keinem Zeitpunkt sind Personen auf dem Gerüst des Nachbarhauses gesehen worden.“
Damit hat die Auseinandersetzung um den Verbleib der 300 in Hamburg gestrandeten libyschen Kriegsflüchtlingen, die sich als Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ zusammenschlossen haben und ein humanitäres Bleiberecht fordern, eine neue mediale Dimension erreicht. Tatsächlich gibt es seit Wochen in Hamburg kaum einen Tag ohne Proteste. So waren nach einer Femme-Aktion bei einer Bürgersprechstunde von Scholz in einem Seniorenheim am Tierpark Hagenbeck Protestler mit Fahrrädern zu Scholz' Wohnung gefahren, so dass seine Personenschützer auf der Heimfahrt in den Senats-Karossen einen Umweg einschlagen mussten. Am Freitag wurde die SPD-Zentrale kurzfristig besetzt.
Doch von einer persönlichen Gefährdung von Scholz geht die Polizei weiterhin nicht aus. Falke selbst widerspricht den Vorwürfen der Bild-Zeitung: „Es entspricht nicht meinem politischen und persönlichen Verständnis von Widerstand, 'Anschläge' auf irgendein Mehrfamilienhaus zu verüben“, sagt die gelernte Kinderkrankenschwester. „Gegen verantwortungsvolle Aktionen, bei denen keine Menschenleben gefährdet werden“, sagt Falke, habe sie allerdings in dieser Situation „nichts einzuwenden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin