Bewegungstermine in Berlin: Selbstschutz statt Staatsgewalt

Nach dem Antifa-Erfolg gegen Nazis beim CSD Leipzig erfährt auch die Polizei Lob. Doch das Naziproblem ist nicht polizeilich zu lösen.

Die Polizei, (k)ein Freund und Helfer? Foto: IMAGO / Panama Pictures

Es ist ein Erfolg, der der Seele guttut: Die Antifa konnte am Wochenende dank großer Mobilisierung Neonazis davon abhalten, den CSD in Leipzig einzuschüchtern und anzugreifen. Die nur etwa 400 angereisten Rechtsextremen – darunter 160 Jugendliche und vier Kinder – kamen nicht mal aus dem Hauptbahnhof heraus. Überall waren Antifas, sodass die Polizei die Neonazis noch auf dem Ankunftsgleis in die Maßnahme nahm. Auf dem CSD konnte queeres Leben nazifrei zelebriert werden. Deutschland, aber normal.

In den sozialen Medien hat auch die Polizei Lob erhalten. Die habe sich endlich mal auf die richtige Seite gestellt, heißt es. Und natürlich kann man der Polizei auch mal sagen, wenn sie was richtig macht. Ihr ein paar Lorbeeren schenken, ein paar gute PR-Bilder, wie sie als antifaschistische Verteidigerin von Bür­ge­r:in­nen­rech­ten und Demokratie auftritt. Wer weiß, vielleicht bleibt ja was kleben.

Aber gelegentlich neigen (vornehmlich eher bürgerliche) Teile des progressiven Lagers zu einer Art linken Law-and-Order-Logik, die das Naziproblem zu einem polizeilich zu lösenden Problem zu reduzieren droht. Die Polizei, schließlich eingeschworen auf das Grundgesetz, müsse gegen die Nazis entschieden vorgehen, heißt es dann. Verbote von Demos, Zeitungen und Parteien – in Momenten akuter Gefährdung der Demokratie möglicherweise tatsächlich notwendige Übel – sind derzeit als easy fixes gegen den Faschismus hoch im Kurs.

Sich nicht auf den Staat verlassen

Die Geschichte der politischen Linken lehrt dagegen, dass jeder nachhaltige Antifaschismus von unten kommen muss. Das war schon in Leipzig der Fall. So dürfte die sächsische Polizei die Nazis weniger aufgrund tiefer demokratischer Überzeugungen festgesetzt haben als aufgrund der vielen Antifas, die seit dem Morgen im und um den Hauptbahnhof präsent waren. Sie waren es, die eine Situation erzeugt haben, die die Polizei zum Handeln nötigte. Vor nicht einmal zwei Wochen in Bautzen war es anders – und dieselbe Polizei handelte ausgesprochen nazifreundlich. Und aus Berlin machen derweil mal wieder viele Videos von Polizeigewalt auf einer Palästinademo die Runde.

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Vielleicht spricht aus dem Wunsch, die Polizei auf der eigenen Seite zu wissen, die Angst vor der gegenwärtigen Schwäche des progressiven Lagers. Wo die gesellschaftliche Hegemonie bröckelt, will man stark sein, so stark wie die Polizei. Doch jede Law-and-Order-Logik verteidigt letztlich nur genau die Verhältnisse, die den Faschismus erst hervorbringen. Und wer daran arbeitet, diese Verhältnisse zu ändern, bekommt es oft früher oder später mit wem zu tun? Genau: Mit jener Polizei, die dann plötzlich gar nicht mehr so progressiv auftritt.

Keine linke Organisation weiß das besser als die Rote Hilfe. Immerhin hat sie Erfahrungen mit Polizeiregimen in drei Staatssystemen – von denen auch die demokratischen keineswegs linkenfreundlich waren. Am 1. Oktober 1924 wurde die Rote Hilfe als KPD-nahe Organisation gegründet. 1933 wurde sie von den Nazis verboten und blutig zerschlagen. Nach einigen Neugründungen in der BRD setzt sich die Rote Hilfe seit den 1980ern in ihrer heutigen Form strömungsübergreifend gegen staatliche Strategien der Vereinzelung und Einschüchterung ein.

Solidarität statt Polizeigewalt

Nun, zum Hundersten, wird mit einem zweitägigen Festival (Freitag, 23. 8., bis Samstag, 24. 8.) in Kreuzberg kräftig gefeiert. An beiden Abenden gibt’s ein Konzert im SO36 (Oranienstr. 190, jeweils ab 19 Uhr), am Samstag ab 14 Uhr ein Straßenfest auf dem Rio-Reiser-Platz. Um 16 Uhr wird u. a. mit Ex-RAFler Karl-Heinz Dellwo über „Haftbedingungen und Überleben in deutschen Knästen“ diskutiert. Im Aquarium (Admiralstraße 1-2) ist am Samstag ab 15 Uhr eine Ausstellung zu sehen, gezeigt wird auch der Dokumentarfilm „Solidarität verbindet – 100 Jahre Rote Hilfe“.

Dass auf den Staat in Sachen Antifaschismus kein Verlass ist, zeigt auch der neue Leftvision-Film „Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“, der am Donnerstag (22. 8.) im Freiluftkino Friedrichshain (Ernst-Zinna-Weg im Volkspark, 20:15 Uhr) Premiere feiert. Im Film sprechen fünf Antifa-Aktivist:innen ausführlich über die als „Baseballschlägerjahre“ bekannt gewordenen 1990er-Jahre, in denen nur eine professionelle antifaschistische Bewegung der aufblühenden Neonaziszene tatsächlich entschlossen entgegentrat. Den Trailer gibt es hier zu sehen, Tickets (Normalpreis 9 Euro) können hier gekauft werden.

Dass die organisierte Staatsgewalt auch heute kein Ally im Kampf gegen Faschismus sein kann, macht derweil das Beyond Borders Straßenfest am Samstag (23. 8., ab 11 Uhr) im Görlitzer Park deutlich. Denn auch an den europäischen Außengrenzen ist die einzige Humanität die, die von unten kommt: die zivile Seenotrettung. Um die geht es auf der familienfreundlichen Veranstaltung mit Musik, Tombola, veganem Essen und mehr. Die Loseinnahmen kommen „Yoga & Sport With Refugees“ auf Lesbos und in Athen zugute.

In die Offensive gehen wollen dagegen die Be­woh­ne­r:in­nen im Friedrichshainer Nordkiez. Die Gegend rund um den Dorfplatz, das ist die Kreuzung Rigaer Straße und Liebigstraße, ist zunehmend von kapitalistischer Verdrängung bedroht. Die Mie­te­r:in­nen im einstigen Besetzerkiez werden immer weiter kriminalisiert. Auf der Kundgebung „Reclaim Dorfplatz – gegen Kriminalisierung und Verdrängung“ wird es Redebeiträge zu aktuellen Fällen geben, anschließend wird der Film „Varieté Utopolis – Oder einige Meter Autobahn“ von Matthias Coers gezeigt (Samstag, 24. 8., Dorfplatz, 20:30 Uhr).

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