piwik no script img

Bewegungstermine in BerlinWieder ungemütlich werden

Die Wohnungsfrage ist ungelöst, sie ernsthaft zu bekämpfen, wird nicht mal mehr versucht. Die Bewegung muss mal wieder alles selber machen.

Ja, wenn alle das täten, wie soll unsere Welt dann florier'n?! Foto: IMAGO / Bernd Friedel

D ie Auseinandersetzung über die Wohnungsfrage hat an Schwung verloren. Das liegt natürlich nicht daran, dass die Politik plötzlich die Wichtigkeit des menschlichen Grundrechts auf angemessene Unterkunft erkannt hat und entsprechend handeln würde. Politik, die tatsächlich etwas gegen soziale Probleme tut, gehört bekanntlich ins Reich der Utopie. Also explodieren Miet-, Betriebs- und Heizkosten munter weiter. Immer noch werden Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt und Mie­te­r:in­nen auf die Straße gesetzt, fortwährend wird soziale Infrastruktur verdrängt und die Yuppifizierung vorangetrieben.

Der Grund für das allgemeine Gefühl von Machtlosigkeit und Erschlagenheit liegt genau darin, dass alles weitergeht wie bisher. Das Kapital und die ihm gehörige Politik haben eine Reihe von Siegen errungen, gut für sie, katastrophal für die große Masse der Bevölkerung. Der Mietendeckel und die systematische Anwendung des Vorkaufsrechts sind futsch, die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen wird blockiert. Mit ihrem heroischen Akt der Selbstopferung hat es Franziska Giffey nach der Wahl sogar geschafft, die Mietnervensägen von Grünen und Linken aus dem Senat zu schmeißen.

Es ist deshalb richtig, dass der Aufruf zur kommenden Großdemo des Mietenwahnsinn-Bündnisses am 1. Juni unter dem Motto „Die Miete ist zu hoch“ (Startpunkt 14 Uhr, Potsdamer Platz) von einem wohnungspolitischen „Totalversagen“ spricht. Andererseits ist wohl auch die Idee des Versagens noch zu wohlwollend. Denn klar, angesichts des staatlichen Versorgungsauftrags ist die Mietenpolitik natürlich ein Totalversagen. Legt aber nicht gerade die Systematik dieses Versagens inzwischen eine ganz andere Zielsetzung herrschender Politik nahe?

Erinnern wir uns an die tragende, systematische Rolle, die die Politik beim Ausverkauf Berlins gespielt hat. Die Dokureihe „Capital B“ hat in eindrucksvoller Weise erzählt, wie nach dem Mauerfall die CDU-Riege um Diepgen und Landowsky die Stadt ruiniert hat. Es ist bekannt, wie die Polizei immer wieder auf Geheiß der Politik selbstverwaltete Träume räumen ließ. Spätestens aber die schwarz-rote Blockade der Vergesellschaftung zeigt, dass die Politik eben nicht immer will, aber nie kann. Sie will ganz einfach nicht.

„Nicht fordern – kämpfen!“

Die Mietenbewegung steht damit vor einem ähnlichen strategischen Dilemma wie die Klimabewegung. Beide hatten ihr Momentum: Die Mietenbewegung hat den politischen Raum für die progressiven Ansätze von Rot-Rot-Grün 2016 eröffnet, die Klimabewegung konnte den (viel zu späten) Kohle- und Atomausstieg erkämpfen. Inzwischen sehen sich beide Bewegungen jedoch wieder nur noch mit Blockaden auf allen Ebenen konfrontiert. Auch diese Kolumne kann da kein Patentrezept liefern.

Was aber eher nicht helfen wird: der nächste große Appell an das soziale Gewissen von SPD und CDU, an den sachpolitischen Verstand oder den staatlichen Versorgungsauftrag. Um wieder Momentum zurückzugewinnen, reicht es nicht, zu appellieren und zu überzeugen. Man muss ungemütlich sein, richtig nerven und eine Gegenmacht aufbauen, die die Politik nicht ignorieren kann. An einem solchen Projekt arbeiten im Hintergrund etwa die Ak­ti­vis­t:in­nen von Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die einen zwingenden Gesetzesvolksentscheid vorbereiten.

Lohnenswert in Betracht zu ziehen sind auch die Rezepte, die im anarchistischen Block auf der Mietenwahnsinn-Demo kursieren werden. Der Block sammelt sich unter dem Banner „Nicht fordern – kämpfen!“. Aufgerufen wird zur Besetzung leerer Häuser, der Markierung von Leerstand, der Enteignung von Spekulanten und dem Verbrennen von Räumungstiteln und Mieterhöhungen. Wenn alle das täten, die Welt würde wohl anders funktionieren.

Von anderen Bewegungen lernen

Ein anderer Ansatz ist es, von vergangenen Bewegungen und Kämpfen zu lernen. Der Friedrichshainer Stadtteilladen Zielona Góra (in der Grünberger Str. 73) zeigt zu diesem Zweck am Donnerstag (30. 5., ab 18 Uhr) zwei Filme über die französische Gelbwestenbewegung, die 2018 auch in der deutschen Linken für viele Diskussionen gesorgt hatte. „L’histoire des gilets jaunes par nous“ (dt.: Die Geschichte der Gelbwesten – erzählt von uns selbst) und „Un Moment Sans Retour“ (dt.: Ein Moment ohne Wiederkehr) sind beide kürzlich in Frankreich erschienen. Nach den Filmen soll es eine Diskussion geben.

tazplan

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

In der Regenbogenfabrik (Lausitzer Str. 21a) soll es am Sonntag (2. 6.) ebenfalls darum gehen, wie alles anders gehen könnte. Hier wird der zweiteilige Film „Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wird“ gezeigt. Dieser setzt sich im ersten Teil mit der Kommodifizierung von Wohnraum und im zweiten Teil mit der wohnungspolitischen Situation in anderen Ländern auseinander. Gezeigt werden soll so, dass Immobilienkonzerne enteignet werden müssen. Nach dem ersten Teil (Start 18 Uhr) gibt es eine Debatte mit dem Filmemacher und Soziologen Matthias Coers. Danach (20:30 Uhr) folgt der zweite Teil.

Praktische Solidarität leben

Ein wichtiger Schritt zum Aufbau von Gegenmacht ist es auch, Solidarität praktisch werden zu lassen. Eine Gelegenheit dazu bietet sich am Freitag (31. 5., 11-17 Uhr) in Hellersdorf. Dort müssen Bauarbeiten am Jugendclub La Casa (Wurzener Straße 8, PLZ 12627) getätigt werden, der ein wichtiger politischer Freiraum für Heranwachsende in der Platte ist. Auch Spenden werden gebraucht (IBAN DE50 1009 0000 3742 8940 01, Emp­fän­ge­r:in KuDePo e. V., Verwendungszweck „Dachbaustelle Spende“).

Ebenfalls eine gute Idee: Den Yuppies ihre Träume von eintönigen Häuserfassaden nehmen. Im Rahmen der Ausstellung „Feminist City Utopia“ in der Galerie neurotitan (Rosenthaler Str. 39) findet am Samstag (1. 6., 12-15 Uhr) ein Drop-in-Workshop zu kreativer Fassadengestaltung statt. Zuerst soll ein Entwurf auf Papier vorbereitet und dann an einer Wand ausprobiert werden. So können politische Statements im Stadtbild vorbereitet werden.

Klar ist, dass Widerstand nur mit Solidarität, also zusammen, erfolgreich sein kann. Am Vorabend vom alljährlichen Straßenfest in der Kreutzigerstraße in Friedrichshain, der Fiesta Kreutziga, findet dort eine szenische Erzählung über die Größe und Kraft der Gemeinschaft statt. Titel: „Allein machen sie dich ein“. Vielleicht birgt die Zeitreise zurück zur Anfangszeit der Ostberliner Hausbesetzungen ja ein paar Ideen, wie das mit dem Erhalt und der Erkämpfung von Freiräumen klappen könnte. (Freitag, 31. 5., 19:30 Uhr)

Das Straßenfest Fiesta Kreutziga selbst findet am Samstag (1. 6., ab 14:30 Uhr) statt. Unter dem Motto „Abenteuer statt Frust“ wird das 34-jährige Bestehen der KreutzigA gefeiert. Es gibt ein Kinderfest, Infostände, leckeres Essen, Musik, Cocktails, gezapftes Bier – und vieles mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Bitte selbst bauen und dann günstig vermieten (was auch immer das sein mag) und stattdessen nicht nur auf Demos watscheln und von anderen Dinge fordern, die utopisch sind (bauen um mit der Vermietung Verluste machen oder einem Eigentümer verbieten, sein Eigentum zu nutzen). Solange nur von anderen gefordert wird ohne eigene Verantwortung ist das nicht ernst zu nehmen.

  • Jupp, wenn alle es täten, würde niemand mehr bauen. Zumindest nicht um zu vermieten.

  • Selbst die Umsetzung der Forderungen der Bewegung Würfen das Wohnungsproblem nicht lösen.

    Es gibt einfach zu viele Menschen bei zu wenig Wohnraum. Die Lösung wäre daher entweder den Zuzug beschränken oder den vorhanden Wohnraum neu zu verteilen.

    Beides wird bisher nicht ernsthaft diskutiert.