Bewegungstermine in Berlin: Gegen alle Menschenfeindlichkeit
Manche schweigen über die Massaker der Hamas, andere wollen über zivile Opfer in Gaza nicht reden. Ein entblößender Mangel an moralischer Integrität.
E s gibt Kolumnen, die zu Schreiben großen Spaß macht. Etwa, weil sie ein Thema behandeln, über das man schon immer etwas öffentlich sagen wollte. Oder weil es um Veranstaltungen geht, denen Aufmerksamkeit zu verschaffen einem am Herzen liegt. Das sind die schönen Momente in diesem Job, der ja auch ein großes Privileg ist. Überhaupt öffentlich sprechen zu können, von Menschen gehört zu werden – im ungleichen, aber umkämpften Terrain der bürgerlichen Öffentlichkeit ist das eine Form von Macht, die zur Unterstützung progressiver Zwecke genutzt werden sollte.
Genau dies, die Unterstützung progressiver Zwecke, ist der Sinn dieser Kolumne. Jede Woche verbreiten wir hier Termine aus den sozialen Bewegungen Berlins und Umgebung. Die Kolumne webt die Ankündigung verschiedener Bewegungstermine in eine narrative Überstruktur ein, die einen bestimmten gesellschaftlichen Missstand thematisiert. Natürlich gilt es dabei, möglichst nah am Zeitgeschehen, das heißt aktuell zu bleiben. Und Aktualität bedeutet, möglichst auf die Themen einzugehen, die sich in bestimmten Situationen einfach aufdrängen.
Das sich derzeit aufdrängende Thema ist natürlich der Nahostkonflikt, genauer: dessen jüngste Eskalation nach den schreckenserregenden Massakern der Hamas und der darauf folgenden israelischen Bombardierung Gazas mit Tausenden Toten. Widerlich war es anzusehen, wie sich die Rechten in Deutschland in einem durchschaubaren Manöver zu Vorkämpfer:innen gegen den Antisemitismus aufspielten, indem sie massiv antimuslimischen Rassismus bedienen.
Ein ohrenbetäubendes Schweigen
Genug Anlässe, einen wütenden Text zu schreiben, gibt es also. Wo aber sind die Demotermine, die anzukündigen eine Unterstützung progressiver Zwecke wäre? Es sollte Mut machen, an diese Stelle Veranstaltungen ankündigen zu können, die sich gegen den Krieg und die Terrorherrschaft der Hamas, gegen Netanjahu und für die Befreiung aller verschleppten Geiseln einsetzen. Es sollte stolz machen, wie konsequent und mutig sich das eigene politische Lager in diesen schlimmen Zeiten gegen die Besatzung und die Bomben auf Gaza, aber auch gegen den in Deutschland und weltweit grassierenden mörderischen Judenhass stellt.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Doch diese Veranstaltungen, diese politische Linke, gibt es nicht. Stattdessen ist auf allen Seiten das Schweigen über die zivilen Opfer der jeweils anderen ohrenbetäubend laut.
Auch die nächste große pro-palästinensische Demonstration, die am Samstag (4. 11.) um 14 Uhr am Neptunbrunnen stattfinden soll, schafft es nicht, im Aufruf die am 7. Oktober für ihr Jüdischsein getöteten Menschen zu erwähnen – obwohl auch jüdische Gruppen zu den Initiator:innen gehören. Und auch Islamist:innen wird im Aufruf nicht eindeutig klar gemacht, dass sie auf dem Protest nichts zu suchen haben. Dabei ist mit Islamisten für die Befreiung Palästinas zu demonstrieren ähnlich dämlich, wie mit Nazis für Redefreiheit auf die Straße zu gehen.
Antisemitismus ist kein Importprodukt
Warum schaffen es linke pro-palästinensische Gruppen nicht, neben der israelischen Regierung auch der Hamas den Kampf anzusagen – oder wenigstens die niedergemetzelten Zivilist:innen in Israel zu betrauern? Warum wird auf Kundgebungen in Solidarität mit Israel, die derzeit ohnehin sehr selten stattfinden und noch seltener von Linken organisiert werden, die bedingungslose Unterstützung der israelischen Regierung zur deutschen Staatsräson erklärt?
Dennoch: Die Kritik am Umgang der deutschen Polizei mit Palästinenser:innen, deren Leid, Trauer und Wut öffentlich ausgedrückt werden dürfen muss, ist ein berechtigtes Anliegen. Zu begrüßen ist deshalb, dass solidarische Anwält:innen von Repression betroffenen Jugendlichen kostenlos Rechtsberatung anbieten. Derzeit jeden Freitag (3. & 10. 11., jeweils 17 – 19 Uhr) helfen die Jurist:innen in der Roten Lilly (Emser Str. 114) auch bei anderen Problemen mit dem Migrationsrecht.
Um sich aufzuraffen muss sich die politische Linke vor allem von der Verwirrung befreien, dass Antirassismus und der Kampf gegen Antisemitismus in einem Widerspruch zueinander stehen würden. Geschaffen wird dieses Denken von Rassisten wie Friedrich Merz, der mit Forderungen wie Gesinnungstests bei Einbürgerungen nur seine eigene Geschichtsvergessenheit entblößt. Merz wäre gut mit einer Auffrischung beraten, warum Antisemitismus eben kein „importiertes“ Phänomen ist – ein Wort, das, nebenbei bemerkt, migrierende Menschen und ihre Überzeugungen mit Waren, also mit Dingen, gleichsetzt.
Nie wieder!
Eine Möglichkeit hierfür bietet der vom VVN-BdA organisierte Stadtrundgang zum antisemitischen Pogrom im Scheunenviertel, nördlich des Alexanderplatzes, vor 100 Jahren. Schon 1923 entludt sich hier der gewaltvolle deutsche Antisemitismus. Für die Teilnahme am Spaziergang zu zentralen Orten des Pogroms mit einem Historiker des Jüdischen Museums bittet der VVN-BdA um eine Spende von fünf Euro (5. 11., 12 Uhr, Treffpunkt Rosenthaler Platz Ecke Weinbergsweg). Am Montag (6. 11., 18 Uhr) findet zu dem Thema auch ein Vortrag in der Zentralen Landesbibliothek (Breite Straße 30-36) statt.
Wer es anders als Merz ernst meint mit dem Kampf gegen Antisemitismus, sollte auch an der Mahnwache gegen Antisemitismus vorbeischauen, die bis zum 9. November jeden Tag an der Brunnenstraße Ecke Veteranenstraße stattfindet. In der Brunnenstraße liegt die Synagoge der Gemeinde Kahal Adass Jisroel e.V., auf die am 17. Oktober ein Brandanschlag verübt wurde. Für alle Linken sollte klar sein: Ein solches Verbrechen darf in der Stadt, in der einst der Holocaust geplant wurde, nie wieder geschehen.
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